Superhelden. Grant Morrison

Superhelden - Grant Morrison


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und Vita-Strahlen. Bevor das Serum in Massen hergestellt werden konnte, wurde sein Entwickler von Nazi-Agenten ermordet, was den neuerdings bullenstarken Steve Rogers zu Uncle Sams einzigem neuen Supersoldaten machte.

      Jede Ausgabe von Captain America war kinetisch, brutal überdreht und reißerisch. Jedes Cover zeigte eine neue, kurz bevorstehende Abscheulichkeit: Ein Mädchen, ihre Bluse ist in Fetzen gerissen, windet sich auf einem mittelalterlichen Foltergerüst, während ein anzüglich grinsender Buckliger – vorzugsweise mit Hakenkreuz-Tätowierung – ihren Ausschnitt mit einem glühenden Schüreisen bedroht. Captain America betritt die Szene auf einem Motorrad durch die Wand, zertrümmert auf seinem Weg ein Porträt von Hitler und wehrt gleichzeitig eine Salve Kugeln mit seinem Stars-and-Stripes-Schild ab, während sein getreuer Teenager-Partner Bucky Nazis mit der raubtierhaften Begeisterung eines wild boy aus der Feder von William S. Burroughs niedermäht. Es galt ausnahmslos immer irgendeine Kombination aus kochendem Öl, tollwütigen Gorillas, Vampiren oder schlangenzähnigen Japanern zu überwinden. Jeder Quadratzentimeter der Illustrationen zeigte einen Moment der grotesken Bedrohung oder einer draufgängerischen Heldentat.

      Kirby setzte auf seine außergewöhnlichen Zeichenkünste, um ein Auskommen für seine Familie zu verdienen, und meinte es ernst, als er mit seinem Comic-Buch auf einem überfüllten Markt aufkreuzte. Während Superman die Führer der Achsenmächte zu einem Internationalen Tribunal fliegen wollte, stand Captain America für eine viel befriedigendere Fantasie. Kirby setzte darauf, dass sich die Bilder von amerikanischen Superhelden, die Hilter die Zähne rausprügelten, gut verkaufen würden, und sollte damit Recht behalten. Mit Captain America schenkten Simon und Kirby den amerikanischen Truppen einen Helden, den sie einen der ihren nennen konnten.

      Superhelden-Geschichten wurden universell und für jeden zugänglich gestaltet, aber zumeist, das muss man zugeben, wandten sie sich primär an Jungs und junge Männer. Möglicherweise hat sich dadurch der hartnäckige Mythos entwickelt, dass alle Superheldinnen vollbusige Playmates mit einer unnatürlich verschnürten Taille und überlangen Beinen auf hohen Absätzen sind. Obwohl es wahr ist, dass die Superheldenkostüme den Zeichnern erlauben, im Grunde nackte Körper in Bewegung zu Papier zu bringen, gab es tatsächlich unter den weiblichen Vertretern der Superheldenzunft mehr unterschiedliche Körpertypen als bei den männlichen Kollegen.

      Die erste Superheldin – welche Überraschung – war keine wohlgeformte Sahneschnitte in hohen Stiefeln, sondern eine Hausfrau mittleren Alters namens Ma Hunkel. Bei ihrem Debüt (All-American #20, 1940) trug sie eine Decke als Umhang und einen Kochtopf als Helm. Als alter Hausdrachen mit dem Körperbau eines Backsteinklos war sie der erste Superheld der „realen Welt“ – ohne Superkräfte, in einem selbstgebastelten Outfit und einem strikt lokalen Wirkungsbereich. Ma Hunkel, auch bekannt als The Red Tornado, war die erste Parodie auf das Genre der Superhelden, welche den hochtrabenden Idealismus von Siegel und Shuster aufs Korn nahm. Der Mainstream hat Ma Hunkel zwar vergessen, trotzdem ist sie immer noch Bestandteil des DC-Universums und hat nun eine Enkelin namens Maxine Hunkel, eine redefreudige, realistisch proportionierte und sympathische Teenagerin, die sich geschickt gegen das Klischee der Superdummchen auflehnt.

      Aber natürlich produzierte die Comic-Industrie inmitten der Kriegswirren auch eine ansehnliche Truppe von Sexbomben und kompromisslosen Damen mit Namen wie Spitfire und Miss Victory, oder die seltsam tröstliche Pat Parker, eine Kriegskrankenschwester. Sie war angetrieben von dem Begehren, sich wie ein Showgirl zu kleiden und in lebensbedrohlichen Missionen auf die Schlachtfelder Westeuropas zu begeben. Sie war bereit, es mit ganzen Panzerdivisionen aufzunehmen, um einen sich vor Schmerzen krümmenden Soldaten zu retten. Was ihre Aktionen so besonders tapfer machte, war der Umstand, dass diese Krankenschwester ohne Superkräfte auskommen musste und sich in ein höchst unpraktisches Kostüm zwängte. Aber so absurd sie auch scheinen mochte, sie war stets ein vorbildliches Beispiel für Willen, Einsatz und für die Tatkraft der Frauen.

      Und dann gab es noch die berühmteste unter den Superheldinnen. Wonder Woman war eine Kreation von William Moulton Marston, dem Mann, der auch den nicht unumstrittenen Lügendetektortest, der immer noch in Verwendung ist, erfand. Marston war Professor an den Universitäten Columbia und Tufts und am Radcliffe College – und Berichten aus dieser Zeit zufolge sogar ein guter – sowie außerdem Autor von einigen Arbeiten auf dem Gebiet der Populärpsychologie. Wie andere Vordenker sah auch Marston das Potenzial der Comics darin, komplexe Ideen in der Form von aufregenden, gewalttätigen und symbolischen Dramen zu transportieren. Er beschrieb diesen Umstand in einem Artikel mit dem Titel Don’t laugh at the Comics (Lacht nicht über die Comics), welcher 1940 in der populären Frauenzeitschrift Family Circle erschien, was schließlich dazu führte, dass ihn DC als pädagogischen Ratgeber anheuerte.

      Seine Frau Elizabeth war auch Psychologin und soll den Superheldinnen-Charakter vorgeschlagen haben. Beide waren begeisterte Verfechter einer fortschrittlichen Einstellung zu Sex und Beziehung. Sie teilten sich eine gemeinsame Liebhaberin namens Olive Byrne, die angeblich auch das optische Vorbild für Harry Peters originale Entwürfe von Wonder Woman gewesen sein soll. Gemeinsam entwickelten Marston und Peters (inspiriert durch Elizabeth und Olive) eine Fantasiewelt von faszinierender Tiefe.

      Der Comic rund um Wonder Woman übertrumpfte spielend sein Konkurrenz in puncto Einfallsreichtum und unnachgiebiger Hingabe.

      Aber anders als traditionelle Pin-ups, waren die Girls in Wonder Woman athletisch und kraftvoll. Sie trugen Tiaras und Togas, während sie sich auf Gladiatorenkämpfe auf dem Rücken eines genetisch veränderten Monster-Känguruhs einließen. Wonder Woman war im herkömmlichen Sinne sexy – es gab sie auch als Pin-up für den Spind –, aber in den meisten Panelen balgte und prügelte sie sich wie eine Königin der Kampfkünste und überholte zum Spaß Autos im Sprint.

      Die erste Folge, Introducing Wonder Woman von 1941, beginnt mit den Absturz eines Air-Force-Flugzeuges auf einer nicht verzeichneten Insel, die ausschließlich von schönen, leicht beschürzten Frauen bewohnt wird, die in der Lage sind, den Piloten zu tragen, als ob er ein Kind wäre. Der Mann, es handelt sich um Captain Steve Trevor vom Armeegeheimdienst, war der Erste, der jemals seinen Fuß auf Paradise Island setzte, und prompt verliebte sich die Tochter der Königin, Prinzessin Diana, in ihn.

      Ein zwei Seiten langer, illustrierter Text enthüllte die Geschichte der Amazonen, seitdem sie von Herkules versklavt worden waren. Durch ihre Patronin Aphrodite ermutigt, befreiten sie sich selbst und segelten auf eine magische Insel, wo sie eine neue weibliche Zivilisation gründeten, fernab von der Grausamkeit, der Gier und der Gewalt, welche die „Welt der Männer“ kennzeichneten. Auf der Paradiesinsel entfalteten die unsterblichen Frauen ihre fabelhafte Alternative zur patriarchisch geprägten Gesellschaft.

      In dieser ersten Ausgabe suchte Hippolyta, die Amazonen-Königin, Rat bei Aphrodite und Pallas-Athene, die ihr mitteilten, dass Trevor von den Göttern geschickt wurde. Anscheinend war es Zeit für die Amazonen, sich der Welt zu öffnen und sich dem Kampf gegen die Tyrannei der Achsenmächte anzuschließen. Trevor musste man zurückschicken, damit er seine Mission erfüllen konnte – aber man entließ ihn nicht ohne Begleitung.

      „IHR MÜSST DIE STÄRKSTE EURER WUNDEFRAUEN MIT IHM MITSCHICKEN! AMERIKA – DIE LETZTE HOCHBURG DER DEMOKRATIE – UND DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER FRAUEN BRAUCHEN EURE HILFE!“

      Sogleich wurde ein Wettbewerb zur Ermittlung der passendsten Kandidatin ausgerufen. Dieser bestand u.a. darin, Rotwild nieder­zusprinten, und gipfelte im Lieblingssport dieser unsterblichen Gesellinnen: einer Art Russischem Roulette, bei dem die Finalgegner einander mit geladenen Revolvern beschossen (woher die rigorosen Kriegsgegnerinnen diese Feuerwaffen hatten, blieb im Unklaren). Es wurden Kugeln auf die Gegnerin gefeuert, welche diese mit ihrem Armband abwehren musste, um das Spiel für sich zu entscheiden. Die Verliererin musste eine Fleischwunde an der Schulter hinnehmen. Am Ende blieb eine Siegerin übrig: eine maskierte Brünette, die sich in einer unerwarteten Wendung als Prinzessin Diana herausstellte.

      „UND SO GAB DIANA – WONDER WOMAN – IHRE ERBRECHTE UND IHRE UNSTERBLICHKEIT AUF, VERLIESS DIE PARADIESINSEL, UM DEN VON IHR GELIEBTEN MANN ZU BEGLEITEN. NACH AMERIKA, DAS SIE LIEBEN UND BESCHÜTZEN UND ALS IHRE NEUE HEIMAT ANNEHMEN WIRD!“

      Jedoch lauerten in dieser Welt spärlich verschleierte triebhafte Elemente. Man kann nur betonen, dass die Amazonen


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