You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson. Jermaine Jackson

You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson - Jermaine  Jackson


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heranmarschieren, bis er in die Mitte springt und sie im Tanz vereint.

      Oprah Winfrey fragte unseren Vater 2010, ob er es bedauere, wie er uns damals „behandelte“ – es hörte sich an, als habe er in Guantanamo Waterboarding praktiziert. So eine Frage lässt sich heute, in einer ganz anderen Zeit, leicht mit diesem verurteilenden Unterton stellen, aber hätte Oprah sich 1965 so geäußert, in einer schwarzen Community, die von Bandenkriegen erschüttert wurde, dann wäre sie es gewesen, die schief angesehen worden wäre, und nicht Joseph. Damals war es eben so. Joseph war ein harter Kerl, der mehr zum Manager taugte als zum Vater, mit einem stahlummantelten Herz, aber seine Entschlossenheit resultierte aus den besten Motiven. Der Einzige, der das je bedauerte, war Michael. Er hatte sich eher den Vater gewünscht, der jedoch vielfach durch Abwesenheit glänzte, als den stets präsenten Manager. Aber eine Sache lässt sich nicht bestreiten: Unser Vater hat neun Kinder in einem von Kriminalität, Drogenmissbrauch und Bandenkriegen geprägten Viertel großgezogen und sie zu erfolgreichen Künstlern gemacht, ohne dass eines von ihnen auf die schiefe Bahn geriet.

      Bevor ich Recherchen für dieses Buch anstellte, hatte ich gar nicht richtig mitbekommen, wie viel Unsinn über Josephs Strenge geschrieben worden ist: Es hieß, er habe Michael einmal eine ungeladene Pistole an den Kopf gehalten, er habe ihn, obwohl er Angst hatte, in einem Wandschrank eingeschlossen, er sei ihm im Dunkeln, mit Küchenmessern bewaffnet, entgegengesprungen, weil er es angeblich liebte, seine Kinder zu erschrecken, er habe Michael brutal in einen Stapel Instrumente geschubst, und einmal habe Michael über La Toya hinwegsteigen müssen, als er sich die Zähne putzen sollte, weil sie von Joseph ausgeknockt auf dem Badezimmerfußboden lag. Es ist leider eine traurige Wahrheit, dass Geschichten über Prominente, wenn sie nicht offiziell bestritten oder gerichtlich verfolgt werden, von Außenstehenden immer weiter ausgeschmückt werden, bis aus einem Gerücht irgendwann ein Faktum geworden ist. Weil ich dafür eintrat, Josephs Verhalten im Kontext zu betrachten, warf man mir vor, mit seiner Haltung zu sympathisieren oder sie zu entschuldigen, aber ich war wirklich dabei und weiß die Sache einzuschätzen. Ich habe gesehen, was wirklich geschah, und das passt nicht zu der Darstellung meines Vaters als Monster.

      Die Leute zitieren mir gegenüber gern Michaels Fernsehinterview mit Oprah Winfrey von 1993 oder die Dokumentation des Journalisten Martin Bashir von 2003. Sie haben gehört, dass Michael übel wurde oder er in Ohnmacht fiel, wenn er an Joseph dachte, dass Joseph mich fertigmachte und Michael regelrecht prügelte oder schlug, dass unser Vater grausam war oder gemein und dass es Michael zufolge „schlimm war … richtig schlimm“. Das alles stimmt. Man kann nicht leugnen, dass Michael höllische Angst vor unserem Vater hatte und dass diese Angst irgendwann in Abneigung umschlug. Es war 1984, glaube ich, als er mich eines Tages einmal ansah und mich fragte: „Würdest du weinen, wenn Joseph tot wäre?“

      „Ja“, antwortete ich, und es schien ihn zu überraschen, wie sicher ich mir war.

      „Ich weiß nicht, ob ich es täte“, sagte er.

      Michael war der sensibelste von uns Brüdern, der zerbrechlichste, und ihm war Josephs Art am meisten fremd. Seinem jungen Verstand erschien Josephs Vorgehensweise nicht als streng, sondern als lieblos. Das verstärkte sich noch, als er nach dem Umzug nach Kalifornien seinen neuen Freunden (jungen wie alten) erzählte, was Joseph getan hatte, und die allesamt schockiert und entsetzt reagierten. „Das ist Kindesmisshandlung, Michael“, sagten sie. „Das darf er nicht mit dir machen. Du kannst ihn deswegen bei der Polizei anzeigen!“ Falls Michael es vorher nicht sowieso schon genauso gesehen hatte, dann tat er es spätestens ab jetzt. Joseph hatte ein enormes Problem damit, seinen Jähzorn in Schach zu halten, und niemand von uns würde seine Kinder heute noch auf diese Weise bestrafen. Aber wenn er uns wirklich misshandelt hätte, dann würde heute niemand von uns mehr mit ihm sprechen. Michael hatte über lange Jahre den Kontakt abgebrochen, aber das änderte sich während der Proben für das „This Is It“-Konzert 2009. Er hatte Joseph verziehen und hielt nicht mehr daran fest, dass wir von Joseph „misshandelt“ worden seien.

      2001 hielt Michael vor Studenten der Universität Oxford eine Rede über Eltern und Kinder. Die Worte, die er damals fand, haben bis heute ihre Gültigkeit: „Heute betrachte ich die Härte meines Vaters als Liebe, eine unperfekte Liebe zwar, aber eben trotzdem Liebe. Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, mich gesegnet zu fühlen. An die Stelle des Zorns ist bei mir nun Vergebung getreten … Versöhnung … und Vergebung. Vor fast zehn Jahren habe ich eine Stiftung namens Heal The World gegründet. Um die Welt zu heilen, müssen wir uns zuerst selbst heilen. Und um Kinder zu heilen, müssen wir zunächst das innere Kind in uns allen heilen. Deswegen möchte ich meinem Vater vergeben und aufhören, ihn zu verurteilen. Ich möchte frei sein, um für den Rest meines Lebens eine neue Beziehung zu meinem Vater aufzubauen, die nicht von den Kreaturen der Vergangenheit beherrscht wird …“

      Auch wenn Michael später oft erzählte, wie viel Angst er vor Joseph gehabt habe – er trieb die Dinge gern auf die Spitze. Zwischen seinem sechsten und zehnten Lebensjahr trieb ihn sein Verlangen nach Süßigkeiten zu Taten, die in seiner Welt dem Versuch gleichkamen, in die Höhle des großen bösen schlafenden Bären zu schleichen. Jeden Morgen vor der Schule, wenn Joseph nach einer Wechselschicht noch schlief, schickten wir Michael ins Schlafzimmer, damit er in den Taschen von Josephs Hosen, die auf dem Boden lagen, nach Münzen angelte.

      Jackie, Tito, Marlon und ich standen dicht an die Wand gedrückt da, ermahnten uns gegenseitig zum Stillsein und versuchten nicht zu lachen, wenn Michael langsam über den Boden durch die leicht geöffnete Tür in die Dunkelheit kroch. Ich hielt Wache und achtete darauf, ob sich der große Berg unter den Laken rührte. Und schnell war Michael wieder draußen, hielt triumphierend etwas Kleingeld hoch, und dann rannten wir aus dem Haus und kreischten vor Vergnügen, weil uns wieder einmal ein guter Coup geglückt war. Manchmal brachten unsere Raubzüge nur eine enttäuschende Sammlung von Cents zutage, aber manchmal war auch ein bisschen mehr zu holen, und es waren ein paar Vierteldollar dabei.

      Während unserer Kindheit hielten wir uns für die mutigsten Kinder überhaupt, bis Mutter uns später einmal verriet, dass sie und Joseph im Bett lagen, sich mit offenen Augen ansahen, die Augenbrauen hoben und lächelten, wenn sie Michael hereinkriechen hörten …

      Michaels Lust auf Süßes führte schließlich zu dem einen entsetzlichen Augenblick, von dem er später sagte, dass für ihn kurz die Welt stillstand. Es war Winter, und es lag dicker Schnee. Er hatte keine Lust gehabt, selbst in die Kälte hinauszugehen, und daher Marlon überredet, für ihn loszuziehen und Kaugummi zu kaufen.

      Wenig später, als wir drinnen spielten und Mutter in der Küche war, trommelte ein Nachbarskind an die Tür und schrie: „Marlon ist tot!“ Er war von einem Auto erfasst worden.

      Mutter rannte nach draußen und kreischte: „Wo?! Wo?!“

      Ich stand auf dem Gartenweg und sah ihr nach, wie sie durch den Schnee die Straße entlanglief. Hinter mir stand Michael, der, von Schuldgefühlen überwältigt, wie angewurzelt an der Schwelle verharrte. „Oh Gott, was habe ich getan? Ich habe ihn zum Kaugummikaufen geschickt … Erms, das alles ist meine Schuld.“

      Ein Auto war auf der schneeglatten Straße ins Schleudern gekommen und hatte Marlon verletzt. Er lag noch unter der Stoßstange des Wagens auf der Straße, als Mutter ihn fand; einige Leute aus der Straße hatten sich bereits um ihn gekümmert. Er hatte Kopfverletzungen davongetragen und kam ins Krankenhaus, wo er einige Tage blieb. Als Mutter nach Hause kam und sagte, dass er wieder gesund werden würde, brach Michael vor Erleichterung in Tränen aus. Er war restlos überzeugt gewesen, dass sein Bruder tot sei, nur seinetwegen und dass er deswegen später als Strafe nicht in Gottes Paradies kommen werde.

      Diese Überlegung wurzelte darin, dass bei uns zu Hause die Lehren des Königreichsaals ebenso viel Gewicht hatten wie die Lehren der Unterhaltungsbranche. Die Ironie dieser Kombination wurde uns gar nicht bewusst. Als Kinder stellten wir nichts in Frage: Ich glaube, das haben wir nie gelernt. Michael glaubte es, wenn die Ältesten predigten, dass nur 144 000 Menschen von Jehova gerettet und nach dem Armageddon in ein neues Paradies gebracht würden. Wieso nur 144 000 von den vier Millionen praktizierenden Zeugen Jehovas, die es in den USA gab? Wir fragten nie. Der Einfluss Jehovas war eine Konstante des Lebens in der Jackson Street 2300, der vielleicht nie genug Gewicht beigemessen worden


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