You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson. Jermaine Jackson

You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson - Jermaine  Jackson


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es keine bessere Motivation geben können. Manchmal war es durchaus von Vorteil, dass wir so naiv waren, was die Unterhaltungsindustrie betraf; oft war uns gar nicht bewusst, welch große Bedeutung bestimmten Ereignissen eigentlich zukam. Unser Bus hielt unter der Leuchtreklame des Apollo, die hochkant und tief orangefarben wie ein Sonnenuntergang in die Nacht hinausleuchtete.

      Das Erste, was uns drinnen auffiel, waren die vielen Fotos von Musikerlegenden, die hier die Wände schmückten. Wir gingen eine Reihe von Fluren entlang, und irgendwann fiel uns auch der schäbige Teppich auf. Joseph sagte daraufhin, wir sollten uns einmal vorstellen, wer alles schon über ihn hinweggeschritten sei und in wessen Fußstapfen wir damit traten. Wir hatten unsere eigene Garderobe, in der es einen von Glühbirnen eingefassten Spiegel und einen verchromten Kleiderständer auf Rollen gab. Und die Mikrofone kamen elektronisch gesteuert aus dem Bühnenboden – ganz die moderne Technik des Raumfahrtzeitalters.

      In der Garderobe kletterte Michael mit Jackie auf einen Sitz und drückte das Fenster auf, um hinauszusehen. „Da unten ist ein Basketballplatz!“, rief Jackie. Das fanden wir alle sehr aufregend. Am liebsten wären wir sofort nach draußen gerannt, um ein paar Körbe zu werfen, aber nun kam Joseph herein, und wir alle nahmen wieder Haltung an und taten so, als seien wir ganz konzentriert. Dann wurde es ernst. Ich weiß nicht, ob Joseph jemals merkte, wie leicht wir die ganzen Shows innerlich nahmen. Ihm war natürlich bewusst, dass Harlem eine ganz andere Nummer war als Chicago. Das Publikum im Apollo verstand etwas von Musik und wusste, wie gute Unterhaltung auszusehen hatte. Wenn man da patzte, dann verwandelte sich unwilliges Raunen schnell in Buhrufe, gefolgt von Wurfgeschossen wie Getränkedosen, Obst und Popcorn. Wenn es hingegen gut lief, sprangen die Leute auf, sangen, klatschten und tanzten. Wenn im Apollo jemand von der Bühne ging, musste er anschließend niemanden fragen, ob er gut gewesen sei.

      Bevor wir auf die Bühne kamen, spürten wir die Schwingungen, die von dem ausverkauften Saal ausgingen. Michael und Marlon stellten sich vor Tito, Jackie, Johnny und mir in den Schatten am Bühnenaufgang, und wer auch immer es war, der da vor uns spielte, er kam nicht gerade gut an. Die Buhrufe waren laut und gnadenlos. Dann landete die erste Dose auf der Bühne, ein Apfelbutzen flog hinterher. Marlon drehte sich erschrocken zu uns um. „Die schmeißen ja Sachen nach ihm!“

      Joseph warf uns diesen Blick zu, in dem zu lesen stand: „Ich hab’s euch ja gesagt.“

      Im Backstage-Bereich hinter dem Vorhang, vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen, war ein Stück eines alten Baumstamms aufgestellt, ein Teil des berühmten „Tree Of Hope“, der einst am sogenannten Boulevard Of Dreams, der 7. Avenue, zwischen dem alten Lafayette Theater und Connie’s Inn gestanden hatte. Es war ein uralter Aberglaube schwarzer Musiker, dass es Glück brachte, diesen Baum zu berühren oder, bevor er gefällt wurde, unter seinem Blätterdach zu spielen. Für afroamerikanische Künstler war er inzwischen zum Symbol der Hoffnung geworden, ähnlich wie der Baum vor unserem Haus für uns unsere brüderliche Einheit versinnbildlichte. Und daher legten Michael und Marlon natürlich ihre Hände auf den Hoffnungsbaum, aber ich bezweifle, dass Fortuna bei dem Auftritt, den wir nun absolvierten, besonders stark gefordert war.

      An jenem Abend ließen wir das Apollo erbeben, und es dauerte nicht lange, da sprangen die Zuschauer von ihren Sitzen. Ich glaube nicht, dass wir in der Zeit, bevor wir zu Motown wechselten, je eine bessere Show ablieferten, und am Ende gewannen wir die Endausscheidung des Superdog Amateurwettbewerbs. Offenbar hatten wir das Management beeindruckt, denn wir wurden erneut gebucht, dieses Mal für einen bezahlten Auftritt. Im Mai 1968 spielten wir im Apollo am selben Abend wie Etta James, die Coasters und die Vibrations. Wir wussten, dass wir auf höchster Ebene überzeugt hatten. Was wir jedoch noch nicht wussten, war, dass ein Fernsehproduzent im Publikum saß, der sich Notizen machte und sehr an uns interessiert war.

      Nun kam ein kleiner jüdischer Anwalt ins Spiel. Offenbar hatte Richard Aarons in New York an Josephs Hoteltür geklopft und seine Dienste angeboten. Der elegante, lässige Richard, der immer korrekt im Anzug erschien, wurde uns vorgestellt als „der Mann, der uns dabei helfen wird, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.“ Da Richards Vater der Vorsitzende einer Musikergewerkschaft in New York war, hatte er in der Tat blendende Kontakte.

      Richard stellte sofort eine professionelle Pressemappe zusammen, die neben unseren Steeltown-Hits einige lobende Zeitungskritiken sowie Werbematerial enthielt und von einem Brief begleitet wurde, in dem er ausführlich darlegte, wieso die Jackson 5 eine Chance verdienten. Die Mappe verschickte er an Labels wie Atlantic, CBS, Warner und Capitol. Zusätzlich schickte Joseph persönlich ein solches Promotion-Päckchen an Motown Records in Detroit, an Mr. Berry Gordy höchstpersönlich adressiert; er hoffte, damit an Gladys Knights Empfehlung anzuknüpfen. Zu Mutter sagte er immer wieder: „Ich werde die Jungs bei Motown unterbringen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue!“

      Viele Wochen später, als wir theoretisch immer noch bei Steeltown Records unter Vertrag standen, kam Joseph mit einem Umschlag herein, und als er ihn öffnete, rutschte unser Demoband auf den Tisch … abgelehnt und zurückgeschickt von Motown.

      Das Beste an den Auftritten in den Clubs des sogenannten Chitlin’ Circuits war das aufregende Gefühl, dass wir ständig im Schatten der ganz Großen unterwegs waren. Wir hatten schon in der Garderobe von Gladys Knight gesessen und auf derselben Bühne gestanden wie die Delfonics, die Coasters, die Four Tops und die Impressions. Im Regal Theater in Chicago kam es dann zu zwei weiteren, sehr bewegenden Treffen.

      So lernten wir zum Beispiel Smokey Robinson kennen. Heute weiß ich nicht mehr, ob wir darauf warteten, dass Smokey zum Soundcheck auf die Bühne kam, oder ob wir gerade selbst kurz vor unserem Auftritt standen – auf alle Fälle hatte Joseph uns versprochen, dass wir den größten Songwriter aller Zeiten kennenlernen würden, wenn wir eine Weile warteten und ganz brav seien. Das war wirklich einer der wenigen Augenblicke, in denen wir weiche Knie bekamen: Der Gedanke, gleich einem unserer großen Helden vorgestellt zu werden, machte uns nervöser als eine bevorstehende Bühnenshow.

      Schließlich kam Smokey tatsächlich auf uns zu und blieb stehen, um sich mit uns zu unterhalten. Wir konnten kaum glauben, dass er sich wirklich Zeit für uns nahm. Aber da war er, in einem schwarzen Rollkragenpullover und schwarzen Hosen, er lächelte breit, schüttelte uns die Hände und fragte, wer wir seien und was wir machten. Michael war immer sehr daran interessiert, wie andere Künstler an ihre Musik herangingen, und er bestürmte Smokey mit Fragen. Wie schreiben Sie Ihre Songs? Wann fallen Ihnen denn all diese Melodien ein? An die Antworten kann ich mich heute nicht mehr erinnern, aber ich bin sicher, dass Michael sie sich genau einprägte. Smokey sprach gute fünf Minuten mit uns. Und worüber redeten wir, nachdem er sich verabschiedet hatte? Über seine Hände. „Habt ihr gemerkt, wie weich seine Hände waren?“, flüsterte Michael.

      „Ist doch kein Wunder“, sagte ich. „Der hat doch nie was anderes getan, als Songs zu schreiben.“

      „Sie waren weicher als Mutters Hände!“, staunte Michael.

      Als wir wieder zu Hause in Gary waren, war das auch prompt das Erste, was wir Mutter berichteten. „Mutter! Wir haben Smokey Robinson getroffen, und du glaubst nicht, was der für weiche Hände hat!“

      Als wir schließlich auch Jackie Wilson kennenlernen durften, erreichten wir damit die nächste VIP-Ebene: Er lud uns nämlich in seine heilige Garderobe ein. Sie war deswegen „heilig“, weil er für uns der schwarze Elvis war, bevor der weiße ins Rampenlicht getreten war – einer der großen Entertainer, wie es sie in jeder Generation nur einmal gibt. Jackie und seine Revue traten regelmäßig im Regal Theater auf, und den ganzen Tag über redeten wir von nichts anderem, als dass wir ihn abends zu Gesicht bekommen würden. Joseph sprach mit ein paar Leuten und setzte alle Hebel in Bewegung, damit es tatsächlich klappte: „Okay! Aber nur fünf Minuten!“ Dieses Privileg hatten wir sicherlich wie so oft dem Umstand zu verdanken, dass wir noch so jung und niedlich waren. Und das muss ich unserem Vater wirklich lassen: er wusste, wie man Türen öffnete.

      Wie bei Jackie Wilson. Wir traten im Gänsemarsch aus dem dunklen Korridor in das helle Licht der Glühbirnen rund um den Garderobenspiegel, vor dem Jackie saß. Er hatte uns den Rücken zugewandt, um seinen Hals lag ein zusammengerolltes Handtuch, damit sein weißes Hemd keine Flecken von der Schminke und dem Eyeliner bekam, die er


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