Das ist meine Zeit. Howard Carpendale

Das ist meine Zeit - Howard Carpendale


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Um meine Ansichten zum Schlager besser verständlich zu machen, möchte ich aber noch einmal viel weiter ausholen.

      Okay.

      Ich bin in Südafrika in einer englischen Gegend aufgewachsen. Unsere Stadt Durban hätte gut und gern ein Teil von England sein können. Die Engländer haben die gleichen Sportarten und die gleichen Filme geliebt wie wir. Unser Leben, vom Wetter einmal abgesehen, war sehr mit den englischen Verhältnissen zu vergleichen. Ich war mit coolen Jungs zusammen. Wir haben zusammen Musik gemacht, aber das Wort Schlager kannten wir gar nicht. Das Einzige, was bei uns vielleicht in eine ähnliche Richtung ging, das war die Afrikaans-Musik; diese Leute haben wir ein bisschen belächelt. Als ich nach Deutschland kam, habe ich sehr schnell verstanden, was mit Schlager gemeint ist.

      Wie definierst du denn den Begriff Schlager?

      Schlager kann manchmal verdammt gut sein. Eine Definition habe ich für mich bis heute nicht finden können. Schlager ist für viele eine etwas einfache Art von Musik. Simpel, meistens drei Harmonien und Texte, die nicht groß anregen. Es wird sehr oft über das Wetter, die Sonne und die Sterne gesungen.

      Und über die Liebe.

      Ja, aber es gibt viele verschiedene Arten, über die Liebe zu singen. Die Liebeslösung in Schlagern entspricht oft der Variante „Ich bin für dich da“. Bei Schlagern kann ich meistens von vornherein erahnen, wie sich das Lied entwickelt. Ich denke, generell hat der Schlager kein gutes Image, obwohl ich gewisse Songs durchaus immer noch mag.

      Welche Beispiele fallen dir aus der aktuelleren Zeit ein?

      Es gibt sehr gute und clevere Nummern, die perfekt gemacht sind. DJ Ötzis „Stern“ ist so ein Song. Eine Zeile wie „Du hast mich tausendmal belogen“ von Andrea Berg spricht die Massen an. Und Helene Fischers „Atemlos durch die Nacht“: Da hat sie den Nerv der Nation getroffen wie niemand zuvor. Das Gesamtpaket war einfach stimmig. Eine Helene Fischer, die mit dieser Nummer total explodierte. Die Zeit war reif für einen großen Hit von ihr.

      Der millionenfach verkauft wurde.

      Ja, und das ist auch absolut verdient. Aber zurück zu meiner Ausgangssituation: In den Siebziger- und Achtzigerjahren war ich auch ein Schlagersänger. Es gab keine andere deutsche Musik. Wenn ich deutsch singen wollte, musste ich Schlager singen. Ich habe zwanzig Jahre lang voll mitgemacht, aber ich war dabei doch überzeugt, dass meine Erfolge wie „Hello Again“, „Nachts, wenn alles schläft“ oder „Ti amo“ alle ein bisschen anders waren. Diese Lieder waren einen Tick moderner als das, was man sonst hörte. „Carpendale war immer fünf Sekunden voraus“, hat zum Beispiel einmal Thomas Anders in einem Interview gesagt.

      Die Songs haben an Kraft bis heute nicht verloren.

      Und soll ich dir was sagen? Sie machen mir heute auch wieder richtig Spaß. Auf meiner Tour 2015/2016 hatten wir die Songs natürlich im Programm – und die Leute gingen voll mit. So, wie ich es jetzt gerade in meinen Konzerten erlebe, hat es eine ganz neue Dimension erreicht. Ich sehe in die Gesichter aus unterschiedlichen Generationen – und sehe die Freude, die diese Songs auslösen. Ein großer Dank gilt hier auch meinem langjährigen Musical Director, André Franke, der die Songs modern und zeitgemäß arrangiert.

      Ganz am Anfang deiner Karriere hast du den Beatles-Hit „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ gecovert. Auch ein Schlager …

      Ja – und dann auch noch gesungen von der größten Gruppe aller Zeiten. Warum das Original in Deutschland nicht als Schlager durchging, weiß ich auch nicht so recht. Wir reden von einer Musik, die sehr simpel ist. Simpler als „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ geht es nicht. Für mich ist das ein englischer Schlager. „Ti amo“ von Umberto Tozzi ist Pop, die deutsche Version von mir ist Schlager. Das habe ich nie verstanden.

      Es wird wirklich ein Unterschied zwischen der italienischen und deutschen Version gemacht?

      Von manchen, ja – besonders von den Radioleuten. Ich habe jahrelang versucht zu verstehen, warum von einigen Radiostationen Umberto Tozzis italienische Version lieber gespielt wird als meine. Manche Verantwortliche haben mir erzählt, dass sie den italienischen Text nicht verstehen, die Melodie aber toll finden. Was soll das denn? Ich kann doch nicht sagen, dass ich einen Titel deswegen mag, weil ich ihn nicht verstehe.

      Viele Hits von Coldplay oder anderen sehr erfolgreichen internationalen Bands oder Künstlern gehören dann wohl auch in die berühmte Schublade?

      Ich bin der Meinung, ja. Viele Popsongs sind Schlager. Deswegen suche ich schon lange nach einer Definition für den Begriff. Und wie wir beide ja gerade bemerken, auch jetzt fällt es uns schwer.

      Mir wurde mal erklärt, dass zum Schlagerbereich alle Songs gehören, die man auf der Straße nachpfeifen kann.

      Okay. Wie man sieht, ist das einfach ein sehr dehnbarer Begriff. Und wer bestimmte Songs nicht in die Schlager-Schublade legt, nur weil sie auf Englisch gesungen werden, der macht es sich zu einfach. Die Schlagerbranche in Deutschland hat vielleicht ähnlich zu kämpfen wie Bayern München. Die Spieler können national und international als deutscher Verein noch so tollen Fußball spielen – sie werden trotzdem von vielen ausgepfiffen. Wenn die Bayern in der Champions League gegen Barcelona oder Madrid spielen, dann drücken in Deutschland nicht alle Fußballfans den Bayern die Daumen. Das verstehe ich nicht.

      Hat sich denn das Image des Schlagers jetzt, beispielsweise durch den riesigen Erfolg von Helene Fischer, verbessert?

      Helene Fischer hat durch ihre Art und ihr Aussehen sicher dazu beigetragen. Viele Menschen lieben sie – egal, ob sie deutsche Schlager singt oder nicht. „Atemlos durch die Nacht“ wird trotzdem von vielen Radiosendern nicht gespielt. Diese Arroganz kotzt mich an. Dieses selbstherrliche Verhalten mancher Radiosender gibt es nur in Deutschland. Manche spielen das Lied und reden trotzdem hämisch darüber.

      Also: Der deutsche Schlager erlebt derzeit überhaupt keine Hochkonjunktur, er ist eher im Sinkflug. Ich kann mir nicht erklären, warum vielfach in den Medien von einem Schlagerboom gesprochen wird. Im Frauenbereich haben wir in dem Segment und auf erfolgreichem Niveau aktuell doch nur Helene Fischer, Andrea Berg und Beatrice Egli. Bei den Männern fällt mir allenfalls Andreas Gabalier ein, der aber mit seinem Volks-Rock’n’-Roll einen ganz anderen Stil kreiert. Im Gegensatz zu früher ist das sehr ernüchternd. In den alten Zeiten mit der ZDF-Hitparade und anderen Sendungen tummelten sich im Schlagerbereich weit mehr als hundert erfolgreiche Kollegen.

      Von einer Renaissance deutscher Musik kann also keine Rede sein?

      Moment. Für die deutsche Popmusik trifft das schon zu. Ein ­Andreas Bourani zum Beispiel ist sehr gut im Geschäft. Man könnte eine lange Liste mit tollen Künstlern anfügen, wie Revolverheld, Sarah Connor, Xavier Naidoo und vielen mehr. Und diese deutsche Popmusik kann sich in aller Welt sehen lassen. Die Kompositionen sind international, und die Texte sind weitaus besser als in den meisten englischen Songs. Genau dieser Trend motiviert mich sehr – genau diesen Weg geht meine Musik. Deutsche Musik macht so viel Spaß wie noch nie, und ich bin davon überzeugt, dass sie eine tolle Zukunft vor sich hat. Die TV-Sendung Sing meinen Song trägt übrigens immens dazu bei. Durch dieses Format hat das Publikum wirklich mal eine Chance zu sehen, was einen guten Künstler ausmacht. Vor allem wird deutlich, dass Hits nicht ausreichen, um erfolgreich zu sein.

      Vor dem Hintergrund deiner Ansichten über den Schlager verstehe ich gerade nicht, warum du trotzdem bei der einen oder anderen Schlagerparade auf die Bühne gehst.

      Weil ich mich dafür keineswegs schäme. Dort präsentiere ich meine Hits. Ich singe auch „Das schöne Mädchen von Seite 1“ – allerdings in einer Rap-Version. Diese Songs wecken heute noch große Emotionen bei den Menschen. Das Publikum dort will die Songs hören und sich einfach amüsieren. Und Stefan, weißt du was? Der Schlager von damals hatte schon was ganz Besonderes.

      In Ordnung. Und heute?

      Heute sind meine Produktionen mutiger und überraschend. Die Texte sind zeitgemäß und mit viel mehr Tiefgang; man sollte auch zwischen den Zeilen lesen. Die Tatsache, dass die Fans meinen neuen Wegen und meinem neuen Stil folgen, freut mich sehr.

      Aber Hand aufs Herz: Dein Akzent gehört doch zum


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