Das ist meine Zeit. Howard Carpendale
gesagt, dass sie sich um mich keine Sorgen mehr machen müssten. Sie waren ja ohnehin den ganzen Tag mit ihrer Arbeit beschäftigt. Und ich? Ich lebte mein Leben.
Was bedeutete das?
Alles, was Südafrika zu bieten hatte: Wellenreiten, Rugby, Musik, Strand, Mädchen.
Das könnte ich mir für mein Kind in dem Alter überhaupt nicht vorstellen.
Du bist ja auch kein Südafrikaner. Als ich vierzehn Jahre alt war, habe ich mir über einen Freund eine kleine Wohnung gemietet. Natürlich wollte ich mich in dieser Wohnung in Ruhe mit meinen Mädels treffen. Zwischendurch war ich auch immer wieder mal zu Hause bei meinen Eltern. Sie konnten sich auf mich verlassen. Von ihnen habe ich wohl einen der wichtigsten Werte im Leben gelernt: Vertrauen zu haben.
Aus erzieherischer Sicht können wir wohl von zwei Welten sprechen, oder?
Stefan, es gab keine Erziehung. Es gab mit meinem Dad und meiner Mum zwei sehr tolle Menschen. Sie haben alles dafür getan, dass es uns an nichts fehlte. Ich hatte immer das Gefühl, dass wir ein Team waren. Alle Entscheidungen für uns Kinder waren wohlüberlegt und genau richtig. Meine Mutter und ich, wir haben uns häufiger umarmt und gedrückt. Mein Vater war kein kalter Typ, aber es gab höchstens mal einen kleinen Schulterklopfer als Anerkennung. Wie ich bereits erwähnte, war es ihm als Politiker immer sehr wichtig, dass die Carpendale-Familie nach außen hin ein makelloses Ansehen hatte. Selbst meine Vornamen Howard und Victor stammen von Vaters Bruder, der im Krieg gefallen war. Mein Dad war früher ein sehr erfolgreicher Sportler. Vielleicht war er bis zu meinem zehnten Lebensjahr in sportlicher Hinsicht von mir enttäuscht. Als meine Erfolge kamen, war er unendlich stolz auf mich. Er stand immer am Spielfeldrand und schaute zu. Mit fünfzehn, sechzehn Jahren war ich sportlich ganz weit vorne und gehörte zu den erfolgreichen Cricketspielern. Und nicht nur das. Ich spielte auch in der ersten Rugby-Mannschaft. Mein Leben in Südafrika war Sport.
Gut, als Sportler warst du gesetzt. Und wie war es mit der Schule?
Meine Noten waren nicht schlecht, und ich kam ohne Probleme durch. Zusätzlich entwickelte sich eine weitere Leidenschaft, die mein Selbstbewusstsein enorm steigerte.
Nun kommen wir wohl zur Musik?
Ja, ich durfte mich schon auf der Schule als kleiner und geliebter Star fühlen, denn während mein Ansehen als Sportler wuchs, wurde ich auch der Sänger von The Strangers. Das war meine erste richtige Band, und wir wurden in Durban sehr schnell populär.
Na, jetzt klingt es wirklich wie in einem Film.
Für mich war es auch so. Und ich habe es in vollen Zügen gelebt.
Wenn deinem Vater das tadellose Ansehen der Carpendales so wichtig war – hat er dann nicht auch erwartet, dass du politisch oder unternehmerisch in seine Fußstapfen trittst?
Nein. In dieser Hinsicht hat er mich völlig in Ruhe gelassen. Er wünschte mir nur eine sehr erfolgreiche Karriere – in welcher Branche auch immer. Der Name war ihm stets wichtig. Irgendwann, als ich musikalisch langsam ins Profilager aufstieg, habe ich ihn angerufen, um ihm mitzuteilen, dass ich den Künstlernamen Brett Dale tragen wolle. Da war er unendlich enttäuscht – und hat mir klar zu verstehen gegeben, dass ich dann nicht mehr nach Hause zu kommen bräuchte. Meine Idee mit dem Künstlernamen war damit nach einer Woche erledigt.
Wie war eigentlich dein Verhältnis zu deinen Schwestern?
Beide waren älter als ich – Anne vier Jahre, Jean acht Jahre. Anne und ich hatten nie ein herzliches Verhältnis. Wir haben uns oft gestritten. Jean und ich waren uns wesentlich näher.
Und Jean hat sich dann mehr um ihren kleinen Bruder gekümmert?
Sie war auch oft weg, aber unterm Strich war sie zumindest diejenige, die am meisten zu Hause war. Als „kümmern“ konnte man das aber sicher nicht bezeichnen.
Hast du noch Kontakt zu den beiden?
Leider sind beide viel zu früh gestorben, sodass viele Fragen, die wir vielleicht aneinander gehabt hätten, nicht mehr gestellt werden konnten. Ich habe auf meine ganz persönliche Art meinen Frieden mit der Erinnerung geschlossen und vermisse nichts.
Gibt es denn noch Familie in Südafrika?
Ja, Jeans Töchter leben noch dort, und wir schreiben uns oft E-Mails. So bekomme ich immer aus erster Hand mit, was gerade in Südafrika passiert, wie die Atmosphäre im Land ist.
Deine Söhne Wayne und Cass sind nicht zusammen aufgewachsen. Wie gestaltete sich ihre Erziehung?
Wayne hatte drei Menschen an seiner Seite, die ihn unterschiedlich geprägt haben: Claudia, Donnice und mich. Also zwei Mütter, ein Vater. Claudia kann perfekt und einfühlsam mit Kindern umgehen. Als Lehrerin musste sie jeden Tag kritische Momente bewältigen und zwangsläufig teilweise auch die Erziehung anderer Kinder übernehmen. Übrigens ein Talent, das ich an ihr sehr bewundere. Donnice war von Anfang an die Freundin, die Wayne immer zur Seite stand.
Bei Waynes Erziehung gab es zwei entscheidende Situationen für mich. Er war zwölf Jahre alt, als wir intensiv über das Thema Drogen gesprochen haben. Ich bat ihn damals: Falls er mit Drogen in Berührung kommen würde, dann sollte er sie das erste Mal gemeinsam mit mir ausprobieren. Das hat ihn sehr geprägt. Jedenfalls haben wir bis heute nie gemeinsam einen Joint geraucht – und er wohl bis heute auch nicht allein. Die zweite Situation war bei einem Tennismatch in Spanien. Ich saß auf der Tribüne. Bei einem Ballwechsel verletzte sich Waynes Gegner und lag am Boden. Waynes erste Frage in meine Richtung lautete: „Dad, wer hat jetzt den Punkt gemacht?“ Wenn man, besonders ein Sportler, unfair ist, geht bei mir die rote Lampe an. Nach dem Match habe ich Wayne zu mir gerufen. Er stand vor mir. Zum ersten und letzten Mal habe ich ihm eine geknallt. Mein Bauchgefühl löste diese Reaktion aus. Für Wayne war das eine Lehre fürs Leben. Er hat mir das auch nie übel genommen. Fairness bedeutet ihm heute sehr viel.
Und wie war das mit Cass?
Da waren wir alle in einer anderen Lage. Hier hatte Donnice den größten Part zu erfüllen. Ich war sehr oft in Deutschland und habe meine Karriere gelebt, während sie auf allen Ebenen für Cass da sein musste. Aber immer, wenn ich zu Hause war, lebten wir wie eine ganz normale Familie.
Hat dich dein Vater jemals geohrfeigt?
Wie sagt man auf Deutsch so schön: Er hat mir den Hintern versohlt, weil ich zu meiner Mutter „Shut up!“, also „Halt den Mund!“, gesagt hatte. In der Schule war es schlimmer, und die Schläge waren härter.
Ich dachte, in Südafrika war alles locker und entspannter.
Aber nicht in der Schule, ganz im Gegenteil. Dazu muss ich vielleicht zum besseren Verständnis ein wenig die Struktur erklären. Im letzten Schuljahr wurde ich von den Lehrern zum Prefect gewählt. In Südafrika gilt das als eine der höchsten Auszeichnungen, die du als Schüler erhalten kannst. Von allen Schülern wurden zehn Ausgewählte ernannt, die für die anderen die Verantwortung übernahmen.
Sozusagen als Aufpasser? Worauf?
Ein Prefect hat die Aufgabe, darauf zu achten, dass alle Schüler die Schulordnung einhalten. Am Wochenende war es zum Beispiel Pflicht, die Schuluniform zu tragen, wenn man durch die Stadt lief. Wenn ich also am Wochenende jemanden ohne Uniform sah, musste ich das am Montag dem obersten Prefect melden. Der bestrafte die Betreffenden dann mit jeweils mindestens zwei Stockhieben auf den Hintern. Ich bin stolz darauf, dass ich nach wenigen Monaten meinen Prefect-Posten abgab, weil ich den Job einfach unwürdig fand. Ich wollte meine Kameraden nicht mehr verpfeifen.
Und daraus entstand für dich kein persönlicher Nachteil?
Nein, es wurde akzeptiert. Wobei – es wäre mir auch egal gewesen. Es fühlte sich für mich nicht gut an. Es gab genügend andere, die die Aufgabe sehr gewissenhaft erfüllt haben. Als ich vor ein paar Jahren den Film Das Experiment mit Moritz Bleibtreu sah, erinnerte ich mich sehr an die damalige Zeit und daran, was Macht an der falschen Position auslösen kann.
Wenn wir schon beim Thema Schule sind: Wie fällt deine Bilanz für Wayne und Cass aus?
Mit