The Who - Maximum Rock III. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock III - Christoph Geisselhart


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an mitreißende und vertraut klingende Arrangements. Petes einmalige und sehr individuelle Gitarrentechnik war dafür stets die Basis ge­wesen.­ Der hingegen erklärte seine Hinwendung zu den Tasten­instru­menten­ ganz anders: „Ich machte mir zunehmend Sorgen über die Gitarre, weil ich dazu tendierte, immer die gleichen drei oder vier Akkorde zu verwenden.“ ­(Tatsächlich ranken sich die meisten erfolgreichen Townshend-Komposi­tionen um die Akkorde A, D, G, B oder E.) „Manchmal bemerkte ich das sogar überhaupt nicht mehr. Insofern betrachtete ich Keyboards und vor allem Synthesizer als einen Weg, meine eigenen Konditionierungen und Muster zu durchbrechen.“

      Im Fall von „You Better You Bet“, dem ersten Track auf dem Album, ­funktionierte dieser Ansatz offenbar – „ein Popsong, nur ein ganz normaler Popsong“, wie Pete meint, ganz spontan mit Bezug auf Marc Bolan geschrieben, der mit seiner Band John’s Children in den Sechzigern mit den Who auf Tournee gewesen war, später mit T. Rex gewaltigen Erfolg hatte und 1977 bei einem Autounfall umgekommen war. Mit „You Better You Bet“ gelang Pete sein wohl erfolgreichster Who-Hit der achtziger Jahre. Die Single kam, mit „The Quiet One“ von Entwistle auf der B-Seite, in England unter die Top Ten, in den USA in die Top Twenty. Abgesehen von diesen beiden Songs gab es zwar noch weitere interessante Stücke auf Face Dances, „Another Tricky Day“ natürlich oder „How Can You Do It Alone“, das kurz nach Cincinnati das erste Mal aufgeführt wurde und von Petes Begegnung mit einem New Yorker Exhibitionisten erzählt; aber ­insgesamt fehlte dem Album die Magie der sechziger und siebziger Jahre. Was aber nicht nur daran lag, dass Pete seine wohl spannenderen Titel für Empty Glass aufgespart hatte oder lieber auf Synthe­sizern als auf der Gitarre komponierte.

      Das Problem war vielmehr darin zu suchen, dass der typische Who-Sound nicht mehr überzeugend genug aus den Lautsprechern der Plattenkäufer ­polterte.­ Der Who-Sound war nicht nur geprägt gewesen von Johns und Petes sehr besonderer Handhabung ihrer Instrumente oder von Rogers emotio­naler, ungeschliffener Stimme, sondern zu einem mindestens ebenso großen Teil davon, dass Keith wie kein zweiter Schlagzeuger die Melodieführung eines Stücks mit Trommeln und Becken zu unterstützen wusste. Für Petes neue komplexe Arrangements wäre Keiths Fähigkeit, Songs auf dem Schlagzeug zu orchestrieren, umso notwendiger gewesen. Kenney indes war zu dieser Spielweise nicht imstande. Zusammen mit Keyboards und Synthesizern, die auf Face Dances längst nicht so reizvoll und experimentell ein­gesetzt wurden wie auf Who’s Next, wirkte das Album deswegen ungewohnt kühl, fast künstlich.

      Hinzu kamen die unterschiedlichen Vorstellungen, die The Who und ihr neuer Produzent vom Klangbild des Albums hatten. Pete verteidigt Szymczyk bis heute als „sehr guten Produzenten“, alle anderen aber waren vom Schlussmix tief enttäuscht. Kenney weigerte sich sogar, die fertig gepresste Platte während­ der Pressekonferenz in Empfang zu nehmen: „Wenn mir schon der Mix nicht gefällt, brauche ich mir die Platte auch nicht anzuhören“, maulte er.

      Roger nahm dieses hochnäsige Verhalten zum Anlass, den ungeliebten Schlagzeuger weiter scharf ins Visier zu nehmen: „Ich habe nichts gegen Kenney­ persönlich, er ist ein prima Typ, aber ich komme mit seinem Stil nicht zurecht. Daraus habe ich nie einen Hehl gemacht. Er passt nicht zu The Who.“

      Pete und John nahmen Kenney in Schutz, ohne allerdings besondere ­Eintracht zu demonstrieren. John warf Pete vor, dass er den schlechten Mix mit zu verantworten habe; schließlich war Szymczyk auf Petes Wunsch ­Produzent des Albums geworden, und Pete war extra nach Florida geflogen, um beim Abmischen die Wünsche der Band zu artikulieren.

      Der Titel und das Cover drücken den uneinheitlichen und artifiziellen Charakter des Albums recht deutlich aus. Ursprünglich hätte es ganz unoriginell The Who heißen sollen, doch dann unterhielt sich jemand mit Pete über Frank Herberts Science-Fiction-Trilogie Dune (Der Wüstenplanet, 1965 bis 1978), in der chamäleonartige Figuren auftauchen, die Face Dancers heißen und ihr Gesicht verändern. Ungefähr zur gleichen Zeit beobachtete Pete eine seiner Freundinnen vor dem Spiegel, wie sie im Takt zur Musik ein Streichholz zwischen den Zähnen hin und her schob, während sie sich gleichzeitig Lidschatten auftrug, und er sagte, ohne groß nachzudenken: „Face dances – dein Gesicht tanzt.“ Pete erinnert sich: „Das muss mir irgendwie ­hängen geblieben sein. Herberts erste Trilogie habe ich wirklich geliebt.“

      So kam das Album in letzter Minute immerhin zu einem starken und ­vieldeutigen Titel. Für die Covergestaltung hatten The Who überdies den renommierten Pop-Art-Künstler Peter Blake beauftragt, der einst das legen­däre Beatles-Album Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band gestaltet hatte. Blake kam auf die Idee, die bekanntesten britischen Maler zu bitten, Porträts der vier Who-Musiker zu erstellen. Der wohl berühmteste der angesprochenen Künstler, Francis Bacon, lehnte ab; alle anderen sagten zu, und so konnte Blake je vier Bildnisse von jedem Who-Musiker präsentieren, die nicht nur auf dem Cover erschienen, sondern der originalen Vinylscheibe auch noch als ­Falt­poster beigelegt wurden.

      Die feudale Aufmachung trug sicherlich dazu bei, dass Face Dances schon kurz nach der Veröffentlichung am 6. März in die Hitlisten schoss. In Großbritannien erreichte das Album Rang zwei; laut Richard Barnes fehlten nur neun verkaufte­ Exemplare zum Spitzenplatz, den Adam And The Ants mit Kings Of The Wild Frontier hielten; in den USA endete der Vormarsch auf Rang vier.

      Die Großbritannientournee neigte sich unterdessen ihrem Ende zu. The Who boten nicht immer gute Vorstellungen, wie Richard Barnes berichtet. Pete war oft zu betrunken, um seine Parts im Einklang mit der Band zu ­spielen,­ was besonders während einer Vorstellung in London offensichtlich geworden war, als The Who ihren von allen musikalischen Bindungen losgelösten Gitarristen allein auf der Bühne zurückließen. Pete nutzte das zu einem ­peinlichen Soloauftritt, für den sich sogar die Roadies schämten.

      Der Who-Komponist geriet während der Tournee immer mehr aus dem Tritt. John war zwar auch ständig betrunken und feierte die Nächte durch, aber er spielte davon völlig unberührt hervorragend. Allerdings laut. So laut, dass sich Roger beschwerte und der alte Konflikt zwischen dem Sänger und ­­dem Bassisten neu aufbrach. Kenney trank inzwischen kaum weniger als Pete und John und bemühte sich, Roger keine Angriffsfläche zu bieten, was Roger in seiner öffentlichen Kritik am angeblich einfallslosen Schlagzeuger allerdings eher beflügelte­ als hemmte.

      Außerdem machte sich Roger Sorgen um Petes Zustand. Nach ihrer Inseltour waren weitere Konzertserien geplant, doch Roger war klar, dass sein Partner die destruktive Lebensweise nicht lange würde durchstehen können. Pete schlief kaum noch, trank wie ein Fisch, kokste und schluckte Aufputsch-­­­pillen wie weiland Keith Moon. Pete hatte aber weder die ochsenhafte Konstitution von John noch die selige Unbeschwertheit von Keith. „Da war ja nicht bloß seine Sauferei“, erinnert sich Roger, „sondern Pete steckte noch dazu tief im Drogensumpf.“

      Irgendwann erkannte auch Pete, in welcher Verfassung er sich befand, ­woraufhin er Bill Curbishley anwies, die Europatournee abzublasen. Der Manager freilich tat nichts dergleichen, sondern hoffte, dass Pete seine ­Meinung wieder ändern würde, wie er das meistens tat. Der Kartenvor­verkauf schritt munter voran, bis Roger und Pete gemeinsam die Notbremse zogen, worauf eine wahre Welle von Erstattungsanträgen auf die europäischen ­Veranstalter zurollte. 1981 sollte es nur noch ein einziges Who-Konzert geben: die vom deutschen Fernsehen europaweit übertragene Rockpalast-Show am ­28. März in der Grugahalle von Essen.

      Dieses Konzert im Rahmen der ehrwürdigen WDR-Rocknächte haben angeblich fünfzig Millionen Menschen gesehen, und nachdem ich mir die Aufzeichnung davon noch einmal angesehen habe, muss ich sagen – leider. ­Leider hat mich meine Erinnerung nicht getrogen, ich fand es schon 1981 kein gutes Konzert. Schon optisch nicht. Rogers neckisches Lederjäckchen zu unecht wirkenden und schlecht sitzenden Achtzigerjahre-Jeans war die erste Enttäuschung. Das gesamte visuelle Zentrum, bei den Who sonst immer ein Augenschmaus, wirkte schwach. Kenney hockte irgendwie behäbig und überhöht hinter einem viel zu großen weißen Schlagzeug. Er erschien wie ein fremder Planet im auseinanderstrebenden Who-Universum und kraftmeierte fantasielos über die Kesselpauken. Pete sah zwar mit seiner schwarzen Retro-Tele­caster von Schecter über der Schulter und der coolen nachtblauen Marinejacke stark aus, aber er hampelte herum wie der Klassenkasper. Die Show wirkte hohl und wenig organisch, obwohl Roger und Pete kurz vor dem Auftritt übereingekommen waren, die Anzahl der neuen Songs deutlich zurückzunehmen und zumindest für dieses


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