The Who - Maximum Rock III. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock III - Christoph Geisselhart


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tiefere Stimme und ohne Johns typischen Basssound. Auch „Let My Love Open The Door“, das ein Top-Ten-Hit in den USA wurde, sowie die dritte Singleauskopplung „Little Is Enough“, ebenfalls ein ordentlicher Charterfolg, hätten von den Who eingespielt werden können. Dazu kamen „Jools And Jim“, ein maschinengewehrartiger Überfall im zeitgemäßen New-Wave-Uptempo, und das fetzige Stück „Cat’s In The Cupboard“ mit seiner lebhaften­ britischen Metaphorik (die Katze im Schrank), mit Simon Phillips furiosen Drums und mit kräftigen Mundharmonikasoli, die nicht Roger blies, sondern Peter Hope-Evans. Diese Songs hätten hervorragend ins Who-Repertoire gepasst. Auch „Gonna Get Ya“, eine fast funkige Übertragung von für die frühen­ Who typischem Rhythm & Blues auf den schnörkelloseren, synthe­tischeren Sound der achtziger Jahre, wäre für Roger mit Sicherheit eine willkommene Herausforderung geworden.

      Die Stimmung im Who-Lager war infolgedessen recht angespannt, als die Band zur letzten Konzertreise des Jahres aufbrach, zu einer vierwöchigen Mammut­tournee mitten im Sommer. Die Auftrittserie begann diesmal gleich in Kalifornien. Schon der erste Gig in San Diego bewies, wie brüchig die Gemeinschaft und der innere Zusammenhalt der Musiker trotz des riesigen Zuschauerzuspruchs, der eine weitere finanzielle Segnung in Millionenhöhe mit sich brachte, geworden war.

      „Petes Kokain- und Alkoholkonsum hatten ziemliche Auswirkungen auf die Vorstellung“, erzählt Augenzeuge Richard Barnes. Und hinter der Bühne drosch Pete aus „schierem Übermut“, wie er später meinte (alle anderen ­meinten:­ benebelt von Koks und Cognac), seine Hand gegen die Betonwand. Er brach sich dabei mehrere Knochen. Für den Rest der Tournee spielte er deshalb mit einer Gipsmanschette, die ihn allerdings weniger behinderte als die durch Drogen und Alkohol induzierte und zugleich wieder verdrängte mentale Erschöpfung. Barnes erinnert sich:

      „Er nahm jede Menge Aufputschmittel, um die Tour durchzustehen. Gelegentlich spielte er brillant; aber öfter war Pete auf der Bühne so daneben, dass er nur für sich selbst spielte, einfach weitermachte, wenn die an­deren schon aufgehört hatten. Viele seiner Gitarrensoli am Ende eines Songs klangen­ deswegen mehr als merkwürdig, sie brachten Roger ziemlich aus der Fassung, weil er mitten auf der Bühne stand und nicht wusste, was als nächstes geschehen würde. Einmal dachte ich, Pete machte das, um Roger zu ärgern, aber er spielte meist nur selbstbezogen vor sich hin, ohne die anderen zu beachten. Nach den Shows von Amphetaminen wach gehalten, redete er ohne Unterlass. Er verließ immer als letzter den Auftrittsort und war backstage oder im Hotel immer das Zentrum der Aufmerk­samkeit. In einer Nacht faselte er stundenlang mit einigen Fans, die ihr Glück kaum fassen konnten, Pete Townshend gestellt zu haben. Bisweilen war er sehr witzig, aber wenn er mit Drogen vollgepumpt und betrunken war, stolperte er herum und lallte und verschüttete Drinks und wirkte überhaupt nicht mehr pfiffig oder klug. Niemand wagte ihm das zu sagen – dass er einen Narren aus sich machte. Schließlich versuchte ich ihm klar zu machen, was er sich antat. Doch er meinte, er könne damit umgehen und habe die Situation im Griff. ‚Ich will kein beschissener Schwächling sein‘, verkündete er. ‚Keith schaffte es auch. Warum soll er die ganzen Lorbeeren ernten?‘ Und jede Nacht, wenn er zu ‚Drowned‘ improvisierte, sang er: ‚Ich will nicht sterben, ich will nicht sterben. Ich habe keine Angst davor, aber ich will einfach nicht sterben.‘“

      Für Außenstehende war Petes Drama völlig unbegreiflich. Er war einer der erfolgreichsten Künstler der Rockelite, reich, gesund, klug, berühmt, geliebt, ­verheiratet mit einer schönen, liebenswerten und verständnisvollen Frau, Vater zweier reizender begabter Töchter, umgeben von Kollegen, die ihn bewunderten und verehrten, gestützt von der reifen Philosophie eines Erleuchteten und ­dessen Jüngern – wie war es nur möglich, dass dieser Günstling der Götter, ein von den Musen geküsster Erwählter, so den Boden unter den Füßen verlor? Pete selbst scheint sich seinen Absturz auch nicht recht erklären zu können:

      „Bevor Keith starb, war ich davon überzeugt, dass alle meine persönlichen Probleme, egal ob es meine Sauferei war oder Schwierigkeiten mit der ­Familie,­ einzig daher rührten, dass ich mit The Who auf Tour war. Darauf­hin verbrachte ich zweieinhalb Jahre zu Hause, blieb weg von der Tournee, obwohl mich die Band ständig bedrängte. Aber dann stellte ich fest, dass sich meine Probleme mitnichten verbessert hatten. Manche waren sogar schlimmer geworden.“

      Geister und Dämonen schienen über seinem Haupt zu schweben. Waren es die Toten von Cincinnati? Oder ein hingeschiedener Trommelanarchist, dessen­ Apartment am Curzon Place immer noch Pete gehörte, da er Keith das Geld dafür geliehen hatte? Vermutlich wirkten die Geister beider Fraktionen mit unglücklichen Folgen zusammen. „Ich hasste das Gefühl, Mitglied einer absteigenden Band zu sein, die für den Tod von elf Menschen in Cincinnati verantwortlich war“, sagt Pete. „Wir waren eine Band, die ihre eigenen Anhänger­ auslöschte. Wir waren dick im Geschäft, und jeder, der sich uns in den Weg stellte, wurde ausgeschaltet. Das schien niemanden zu stören. Ich aber konnte spüren, wie es mich allmählich umbrachte.“

      In dieser Situation rächte es sich, dass Pete den Tod seines kongenialen musikalischen Partners Keith so vorschnell ins Positive umzubiegen versucht hatte. Auch die Fans nahmen ihm die merkwürdigen Distanzierungen (und einige Aussagen zu Cincinnati) kaum ein Jahr, nachdem er eilig Keiths Nachfolger installiert hatte, ein wenig krumm. In Wahrheit war Keiths Tod das Schlimmste, was Pete als Who-Songwriter passieren konnte. Denn Moon war nicht nur am Schlagzeug unersetzlich. Er war ohne Zweifel Petes heimliche Quelle der Inspiration gewesen, die Matrix, auf der er seine kreativen Ideen erproben konnte, das leibhaftige Abziehbild von The Who und von Rock’n’Roll, oder was die meisten darunter verstanden. Und Keith war immer auch Pete Townshends größter Bewunderer gewesen, einer, mit dem er immer losziehen konnte, ein irrwitziger Seelenverwandter, dessen Loyalität keine Grenzen kannte und der doch ganz anders auftrat als alle ­anderen Bewun­derer, die der reife, oft gesetzt und distanziert wirkende Popintellektuelle Townshend anzog.

      Keith Moon, diese eminent wichtige Kontrastfigur, war für den Who-Kompo­nisten sogar so unersetzlich, dass er dessen Lebensstil und die autodestruktive innere Haltung zwanghaft zu adaptieren begann. Der Ungeist von Keiths Untergang übernahm immer stärker Gewalt über Petes Persönlichkeit, wie Tourneebegleiter Richard Barnes berichtete:

      „Petes Verhalten erreichte seinen negativen Höhepunkt während des Heimflugs. An Bord der Concorde war eine attraktive blonde Stewardess. Jedes Mal, wenn sie vorbei ging, sprang Pete betrunken von seinem Fensterplatz auf und versuchte, nach ihr zu grabschen. Ebenso oft erhob er sich und setzte zu Brandreden an, mit denen er nicht selten seine Mitreisenden attackier­te. Dann fand er Gefallen an meinem Essen, schob sich eine Handvoll Hummer in den Mund, kaute alles durch und spuckte die Reste über uns aus. Bill Curbishley und seine Frau saßen auf der anderen Seite des Gangs und ignorierten Petes Ausfälle genauso wie mein Flehen um Beistand. Die hübsche blonde Stewardess erhielt einen neuen Arbeitsplatz ­hinter dem Vorhang, und unsere Platznachbarn wurden umgesetzt. Alle Stewards lächelten und taten so, als wäre alles völlig normal, selbst als ich Pete fast in den Schwitzkasten nehmen musste. Der Chefsteward wollte für den Piloten ein Autogramm. Pete setzte mit wackliger Hand an, holte zu einem Schnörkel aus und kritzelte etwa fünf Minuten lang Kreise, bis große Spiralen das Papier bedeckten. Der Steward war beeindruckt, welche Mühe Pete auf seine Signatur verwandte. Einige Kids hatten Pete bei der Abschlussparty in Toronto ein Päckchen Kokain hingestreckt, und Pete hatte sich das Pulver in die Nase und über den Kopf gestreut. Die Mit­reisenden dachten vermutlich, er habe Talkumpuder im Gesicht und in den Haaren, ohne zu wissen, dass dieser Staub wenigstens hundert Dollar wert war. Roger und ich waren sehr besorgt und wollten nicht, dass Pete so zu seiner Familie zurückkehrte, über und über mit Wein, Brandy, Kokain und Essensresten besudelt. Roger fand ein sauberes T-Shirt in ­seiner Tasche, das ich mitnahm, damit Pete sich umziehen konnte. Leider warf er das Shirt aus dem Autofenster, als wir den Flughafen verließen.“

      Wer diese Szenen auf sich wirken lässt, fühlt sich unweigerlich an Keiths ­Tollheiten erinnert. Seinerzeit war besonders Pete immer froh und dankbar gewesen, wenn die Tournee vorüber war und er dem Wahnsinn, den der ­un­berechenbare­ Drummer ständig verbreitete, für einige Zeit den Rücken kehren­ durfte. Diesmal waren die anderen erleichtert, als sie Pete daheim ­ab­lieferten­ – in einem Zuhause, das beinahe ebenso zerrüttet war wie früher Keiths Familienleben.

      Roger,


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