The Who - Maximum Rock III. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock III - Christoph Geisselhart


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      Pete über die lukrativen, aber auszehrenden Plattenverträge 1979/1980

      „Ich kam mir oft genug wie im Gefängnis vor – nach wilden Partys in zerstörten Hotelzimmern.“

      Roger Daltrey über seine Rolle als McVicar

      Je länger Keith Moon tot war, desto mehr schien sich seine Abwesenheit bemerkbar zu machen. Eine seltsame Schwere begleitete die Band, eine Art von alptraumhafter Benommenheit, die nach der Tragödie von Cincinnati fast mit Händen zu greifen war. Wie sehr hätte man in dieser Situation Keiths Unbekümmertheit brauchen können!

      Mit der Fortsetzung der Tournee verblassten die Eindrücke des Unglücks natürlich; seine Folgen blieben jedoch unübersehbar. Das erste Konzert fand am Tag danach statt, passenderweise im Memorial Auditorium von Buffalo. Es begann unter strengen Sicherheitsvorkehrungen mit fast zwei Stunden Verspätung, um allen Fans Gelegenheit zu geben, in Ruhe einen Platz zu finden. The Who, die wegen der Ereignisse spät angekommen waren, verzichteten auf den obligatorischen Soundcheck. Gleichwohl lieferten sie laut Augen­zeugen­berichten „eine der besten Shows, die die Stadt je gesehen hat.“

      Der emotional immer noch stark aufgewühlte Roger widmete das Konzert den Opfern der Katastrophe vom Vorabend. Die Band erfuhr sehr große Loyalität und Unterstützung von Fans und Medien, in den USA sogar noch mehr als in Großbritannien. Einige Veranstalter und Kommentatoren sahen sich freilich in der Auffassung bestärkt, dass die sogenannte „britische Rowdyband“ einen Risikofaktor darstellte. In ihren Köpfen geisterte die Vorstellung einer ekstatischen Gewaltorgie herum, bei der die durch Rockmusik aufgepeitschten Fans in der Arena des Coliseums außer Kontrolle geraten waren. Man erinnerte sich an Townshends rituelle Gitarrenvernichtung und schloss daraus, dass die Toten von Cincinnati Opfer einer in unverantwortlicher Weise mitreißenden Bühnenshow geworden waren. Dass die Menschen vor den Toren der Halle zerdrückt worden waren, weil die städtischen Ordnungskräfte ­versagt hatten, wurde über das Vorurteil von drogenberauschten heidnischen Musikern, die nicht minder berauschte Jugendliche aufwiegeln, übersehen.

      Die Band und ihr Management standen jedenfalls nach Cincinnati unter noch argwöhnischerer Beobachtung, zumal sie in Schadensersatzprozesse verwickelt wurden, die sie zum Teil noch jahrelang beschäftigten. Obwohl alle Klagen und Regressansprüche nach und nach und ohne Wenn und Aber ­ab­gewiesen­ wurden, litt der Ruf der Gruppe darunter. Vielleicht noch mehr als die Band litten aber die Fans unter den oft ermüdenden und ernüchternden ­Schutzmaßnahmen, die fortan bei allen Konzerten ergriffen wurden.

      „Sofort nach Cincinnati verdoppelten, verdreifachten, vervierfachten wir die externen Sicherheitskräfte, teilweise auch, um Schuldzuweisungen abzuwehren“, erzählt Pete. „Das war ja das Problem in Cincinnati gewesen: die externen Ordnungskräfte, Leute, die wenig Erfahrung mit Rockkonzerten hatten, deren mangelhaften Kenntnisse und Kommunikation. Aber nach einer Weile beschwerten sich die Kids. Überall, wohin sie blickten, ­standen Bullen. Das verdarb ihnen den Abend. Sie dachten, okay, es geschah in Cincinnati, aber doch hier nicht. In Seattle beklagte sich sogar eine Zeitung über allzu viele Sicherheitskräfte, die Jugendlichen von Seattle ­hätten sich schließlich immer anständig betragen. Ehrlich gesagt finde ich, dass man das Festival Seating ziemlich zu unrecht für alle Probleme ­verantwortlich machte. Das war eine schlimme Überreaktion. Ich mag Festival­-Seating. Wenn ich zu einem Konzert gehe, will ich nicht an einem blöden nummerierten Sitz festkleben und mir jedes Mal Beschwerden anhören, sobald ich aufspringe. Ich will herumgehen können oder tanzen oder mir eine Cola holen, mich nach vorne durchkämpfen oder von hinten zuschauen. Auch von meiner Position von der Bühne herab kann ich sagen, dass man mit Festival Seating die beste Stimmung erzielt.“

      Auch Richard Barnes monierte die teils übertrieben wirkenden Sicherheitsvorkehrungen:

      „Bei vielen Konzerten nach Cincinnati waren Hunderte von Polizisten und Sicherheitskräften im Einsatz. In manchen Örtlichkeiten konnte man kaum sich kaum vom Sitz erheben, ohne dass man von Ordnern bedroht wurde. In einer Halle hatte die Polizei Spezialkräfte mit Hunderten von Hunden um die Bühne herum platziert, als The Who hereinkamen.“

      Liest man die Berichterstattung über die auf Cincinnati folgenden zehn Kon­zerte dieses Tourabschnitts, findet man allerdings nicht viele Anhalts­punkte für eine niedergedrückte oder verhaltene Stimmung im Auditorium. Im Gegenteil, die Fans ließen sich von überbesorgten Ordnern und bis­weilen unsinnigen Polizeiaufmärschen in ihrer Euphorie kaum bremsen. Musika­lisch boten die Who stets ausgezeichnete Vorstellungen; sie sprühten vor Spie­l­­freude und überraschten ihre Anhänger mit vielen spontanen Einlagen und Variationen. Die ­Setliste zeugt von enormem Selbstvertrauen der Band und von einer Sicherheit, die nicht zuletzt dem soliden Kenney Jones zu verdanken war.

      Heute wird die Ära des braven Taktgebers Kenney oft negativ gesehen, was nicht fair ist, da sich die Probleme der Gruppe weniger an seiner Person festmachen lassen, sondern nach Keiths Tod vor allem mit Petes persönlicher Entwicklung zusammenhingen. Sicherlich hätte man sich Keiths Clownereien bisweilen gewünscht, doch die Who-Fans empfingen den uneitlen, boden­ständigen Kenney überwiegend mit Begeisterung, in England dank seiner glaubwürdigen musikalischen Vergangenheit sowieso, in den USA wegen ­seines kraftvollen, gradlinigen Stils und seines bescheidenen Auftretens.

      Auf der Bühne zeigten sich The Who also wieder einmal als starke energie­geladene Einheit mit einem großartigen Repertoire an unsterblichen ­Klassikern und einigen sensiblen, komplexen Neukompositionen. Hinter den Kulissen­ freilich herrschten alles andere als Eintracht und Euphorie. Der Burgfriede nach Kenneys Verpflichtung zwischen Pete und John auf der einen Seite und Roger auf der anderen wurde unter dem Druck der wechselvollen Ereignisse und wegen der unterschiedlichen Gepflogenheiten auf Tour schnell ­wieder sehr brüchig. Tourbegleiter Richard Barnes notierte:

      „Roger geht meistens eigene Wege. Er raucht und trinkt nicht und ist versessen auf Sport. Eine der fünf Limousinen im Who-Konvoi ist stets strikt rauchfrei wegen Roger. Tabakrauch greift seine Stimme an, und deswegen geht Roger Rauchern aus dem Weg, wenn immer es möglich ist. Er benötigt volle acht Stunden Schlaf, auch aus diesem Grund beteiligt er sich kaum an späten Partys oder an Ausflügen in Diskos. Er lebt nach einem völlig anderen Zeitplan als der Rest der Gruppe. Pete, Kenney und John hin­gegen machten ziemlich viel Party während dieser und der beiden USA-Tourneen von 1980. John und Kenney traf man fast immer an der Hotelbar, und an freien Tagen trieben sie sich in Klubs herum und versuchten, Rogers ­Enthaltsamkeit auszugleichen. Während der ersten Tournee schien Roger besonders zum Ziel der Späße seiner Kollegen zu werden. Vor allem natürlich weil er nie zugegen war, aber auch wegen seines Ernährungsbewusstseins, seiner extremen Sorge ums Geld und seiner Unfähigkeit, sich zu ­entspannen. Er hatte eine eigene Masseuse dabei, die ihn nach jeder Show durchwalkte. Auch über Rogers Geschäftstüchtigkeit wurden viele Witze gerissen. Wenn die Band zum Beispiel zu spät aus den Garderoben kam, sagte jemand von der Crew: ‚Ich krieg’ die Jungs schon raus.‘ Und dann rief er: ‚Roger! Auf der Bühne liegt ein Fünfzig-Dollar-Schein!‘ Einmal war ich dabei, als sich Roger bei Bill Curbishley darüber beklagte, dass ihm diese Witze über seine Knauserigkeit allmählich auf den Geist gingen. Ein betretenes Schweigen entstand. Dann sagte Bill: ‚Aber Roger, du bist nun mal geizig.‘ Roger konnte aber auch sehr großzügig sein. Wenn jemand hart gearbeitet hatte, ließ er sich oft eine besondere Belohnung einfallen. Er kümmert sich ständig um irgendwelche Aspekte der Tour. Sehr oft waren seine Befürchtungen auch gerechtfertigt, und er ist wirklich der ­einzige in der Gruppe, der kontinuierlich über die Tournee und ihre Probleme nachdenkt. Rogers ganze Obsession gilt dem Tee. Doug Clark, sein persönlicher Assistent, trug immer ein T-Shirt mit dem Aufdruck ,Tasse Tee, Doug?‘ Das waren Rogers Lieblingsworte; Doug musste ihm zu den unmöglichsten Gelegenheiten Tee aufbrühen. Roger hatte sogar einen briti­schen Wasserkocher mit einem amerikanischen Adapter dabei, damit er sich auf seinem Hotelzimmer nach allen Regeln der Kunst Tee machen konnte. In den USA tunkt man ganz banal einen Teebeutel in heißes Wasser.­ Aber Roger bestand darauf, dass Doug den Tee korrekt zubereitete, und so wurde Doug oft während der Konzerte losgeschickt, um eine Tasse Tee nach britischer Art zu aufzubrühen.“

      Für Pete, John, Kenney und Rabbit, die zu jener Zeit allesamt harte Trinker


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