The Who - Maximum Rock III. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock III - Christoph Geisselhart


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machte nicht bloß „bumm-tschick-bumm-tschick“ wie ­Kenney Jones, den Pete ja unbedingt als Who-Drummer in der Band haben wollte, sondern er spielte komplex wie Keith und versiert wie Ginger Baker. Für Roger stellte sich deswegen die Frage, warum Pete für sein Soloalbum offensichtlich den besseren Schlagzeuger verpflichtet hatte, während er für The Who auf einer zweitklassigen Lösung beharrte.

      Pete ärgerte sich über diesen Vorwurf. Er ärgerte sich noch mehr, als er erfuhr, dass die Who-Filmgesellschaft nach der Produktion von Rogers ­Mc­Vicar­ kein Geld mehr übrig hatte, um seinen geplanten Lifehouse-Film in Angriff zu nehmen, der schätzungsweise zwölf bis fünfzehn Millionen Pfund verschlungen hätte. Regisseur Nicolas Roeg war allerdings sowieso empört über Petes Annäherungsversuche an seine künftige Braut ausgestiegen und wollte mit Lifehouse nichts mehr zu schaffen haben.

      Bis zum Frühjahr hatte Pete – inzwischen wieder bartlos, so dass ihn seine Kinder kaum mehr erkannten – Empty Glass abgeschlossen. Absurderweise widmete er das Album seiner Frau, jenem Menschen, mit dem er sich über die Arbeit an diesem Werk doch entfremdet hatte. Eine weitere seltsame ­Wiedergutmachung war die Widmung für die erste Singleauskopplung „Rough Boys“: Sie ging nicht an Roger, der das Stück abgelehnt hatte, ­sondern an Petes zwei Töchter und an die Sex Pistols.

      Für The Who begannen die wenig Glück bringenden achtziger Jahre offiziell erst am 27. März 1980 mit einem Konzert in der Essener Grugahalle. Chri­stian Suchatzki, unverändert ein begeisterter Who-Fan, war aus München angereist und natürlich live dabei:

      „Den Fans schien mit Keiths Tod erst bewusst geworden, dass ein Who-Konzert etwas Einmaliges, Unwiederbringliches darstellt. Man wusste ja nicht, ob sie noch mal in der gleichen Besetzung auftraten oder gar nicht mehr. Es klingt paradox, aber mit Keiths Ableben erlangten Who-­Konzerte einen höheren Stellenwert. Die Halle konnte deswegen mit zehn­tausend Plätzen mühelos ausverkauft werden, und die Fans verhielten sich dermaßen fanatisch, als würden sie dem letzten Konzert ihres Lebens ­beiwohnen. Von überall wurde ununterbrochen gedrückt und geschoben, so dass man fürchten musste, erbarmungslos zerquetscht zu werden.“

      Die Tragödie von Cincinnati, die kein halbes Jahr zurück lag, schien sich in Deutschland noch nicht herumgesprochen zu haben. In Frankfurt musste die Polizei vier Tage nach dem Auftritt in Essen massiv eingreifen, als nach der Verhaftung von GIs, die Drogen verkauften, eine Massenschlägerei ­ausbrach. In München wirkten The Who bei ihrem ersten Auftritt nach der ­Winter­pause­ noch ein wenig betriebskalt, wie Augenzeuge Christian ­Suchatzki schildert:

      „Man spürte den Wandel sehr deutlich, gegenüber dem Konzert 1975 zum Beispiel. Sie spielten überwiegend dieselben Songs wie früher, aber sie waren nicht mehr die gleichen. Mit Kenney Jones am Schlagzeug und ihrem leicht veränderten Erscheinungsbild, mit Rogers kurzen Haaren und seiner dem Zeitgeist entsprechenden Kleidung verkörperten sie ein Bühnen­image, an das sich langjährige Fans erst noch gewöhnen mussten. Anderer­seits gewannen sie dadurch ein neues, jüngeres Publikum hinzu.“

      Gleich am folgenden Tag stand das Who-Gastspiel in Zürich auf dem Plan. Vor dem Hallenstadion warteten in schönster deutsch-schweizerischer Beharrlichkeit die beiden Who-Argonauten Werni Grieder und Matthias Haß: „Es wurde Mittag, und noch kein Truck war zu sehen“, berichtet Matthias, als wäre es für loyale Who-Fans die selbstverständlichste Sache der Welt, schon die Ankunft der Roadcrew zu bejubeln. Doch dem Tross wiederfuhr, was jeder deutsche Autofahrer fürchtet: „The Who wurden vom Schweizer Zoll auf­gehalten. Aber dann waren sie endlich da. Die englischen Roadies arbeiteten mit einer einmaligen Perfektion; man konnte schon ahnen, was für eine rie­sige Anlage da aufgebaut wurde.“ Matthias Haß bestätigt auch im wesentlichen Christian Suchatzkis Eindrücke vom Vortag:

      „Pete fegte wie gewohnt über die Bühne, während John alles mit stoischer Ruhe aus der linken Ecke betrachtete. Roger wirbelte sein Mikro durch die Luft, dass einem angst und bange wurde. Zum ersten Mal sah ich ­Kenney­ Jones am Schlagzeug, er benutzte zwei Bassdrums und einen chine­sischen Gong wie Keith. Keith zu ersetzen, gelang Kenney aber bei weitem nicht. Rabbit unterstützte die Band vor allem im zweiten Teil, als sie drei Stücke­ aus Who Are You spielten. Zusätzlich verfeinerte eine Bläser­gruppe den Sound. Als Zugabe begannen sie mit einem Song, der seit 1972 nichts an Kraft und Dynamik verloren hatte: ‚Relay‘, gefolgt von ‚The Real Me‘ aus Quadrophenia.“

      Nach ihrem Abstecher auf den Kontinent legten The Who eine zwei­wöchige Atempause ein. Erst dann ging es zum dritten Tourneeabschnitt mit der erneuerten Besetzung nach Nordamerika. Für das Auftaktkonzert in Vancouver, Kanada, lagen nach Presseberichten unfassbare achthunderttausend Anfragen mit mehr als drei Millionen Ticketwünschen vor. Diese Zahlen ­wurden später­ im Guinness Buch der Rekorde veröffentlicht, so dass man sie glauben muss. Die sechzehntausend Glücklichen, die eine Karte bekommen ­hatten, feierten die Musiker wie gottgleiche Helden, und der 14. April 1980 wurde zum „Who Day“ von Vancouver verklärt.

      In diesem Sinne ging die Reise weiter. The Who querten den amerikanischen Kontinent von Nordost nach Südwest, von Kanada nach Kalifornien, wo allein die drei Shows in Oakland fast eine halbe Million Dollar Gage ­einspielten. Bei einem dieser Auftritte in Oakland machte Annie Leibovitz ihr berühmtes Foto von Petes blutiger Gitarristenhand für den Rolling Stone. Von der Westküste zog der Tross weiter nach Salt Lake City in Utah, nach Denver in Colorado, nach Kansas City, St. Louis (Missouri), Ames (Iowa), Saint Paul (Minnesota), Chicago (Illinois) und wieder über die Grenze nach Toronto und Montreal. Hier endete der Triumphzug am 7. Mai. Die Band kehrte nach London zurück und verdaute die Erlebnisse.

      Die vielleicht wichtigste Erfahrung dieser Tournee betraf wieder einmal Pete. Fast zeitgleich mit dem Auftakt in Vancouver war sein Soloalbum erschienen, und Atlantic hatte „Rough Boys“ (mit Kenney Jones am Schlagzeug) als Single veröffentlicht. Die Kritiker waren begeistert. Hier präsentierte sich ein außergewöhnlich sensibler, ernsthafter Künstler, der über die Entdeckung ­seiner eigenen Unzulänglichkeit reflektierte und dabei eine erstaunliche Kraft und Tiefe an den Tag legte. Das Album stieg innerhalb kürzester Zeit in den Charts bis auf Rang fünf und wurde das künstlerisch und kommerziell erfolgreichste Soloprojekt, das je ein Who-Mitglied verwirklicht hat.

      Fragen nach einer eigenen Tour mit bezahlten Musikern irritierten Pete erkennbar. Noch aber distanzierte er sich ausdrücklich von jeder Anregung, mit eigenem Material und einer eigenen Band auf Konzertreise zu gehen. Wie sollte er auch? Vor der Who-Tournee hatte er schon begonnen, die Demos fürs nächste Who-Album aufzunehmen; die Bandkollegen und die Platten­firma warteten begierig auf erste Ergebnisse.

      Die ersten Reaktionen von Roger, John, Kenney und Rabbit auf die neuen Songs fielen allerdings sehr verhalten aus, wie Pete berichtet: „Als ich ihnen die Demos vorspielte, sagte keiner ein Wort, nichts, gar nicht. Schließlich meinte­ Rabbit: ‚Ich mag diesen und jenen Song, und da gibt es ein paar gute Abschnitte.‘ Er versuchte positiv zu sein, weil er die unheilschwangere Stille bemerkte. Ich nahm bloß das Tonband und ging raus.“ In einem anderen Interview, mit dem Magazin Q im Jahr 1996, beschrieb er die Szene ein wenig anders, aber ebenso ernüchternd:

      „Ich kam direkt aus L. A. und marschierte sofort ins Studio zu einer Who-Session. Ich ging nicht mal vorher heim, um meinen Mädchen guten Tag zu sagen. Ich ließ das Tonband laufen und hörte schon bald das Geflüster: ‚Es ist okay, aber nicht gerade großartig.‘ Und Kenney, der neu in der Band war, sagte als erstes: ‚Du hast das beste Material für dein Soloalbum verwendet.‘ Innerlich kochte ich und dachte, wer glaubst du, dass du bist?! Du bist bloß in dieser Scheißband, weil ich dich drin haben wollte! Egal. Ich therapierte mich, indem ich mich zu Bobby Pridden umdrehte und sagte: ‚Kannst du mir schnell etwas Koks kaufen gehen?‘ Der meinte verblüfft: ‚Aber du hast doch nie Koks genommen?‘ Ich sagte: ‚Jetzt tu ich es, also geh raus und besorg mir welches.‘ Das tat er dann. Er besorgte mir das grauenhafteste Kokain, das mit LSD versetzt war …“

      Die chemische Frustbewältigung hielt nicht lange vor. Das Problem war, dass die meisten Kritiker und Fans, obwohl des Lobes voll für Petes Soloalbum, auf denselben naheliegenden Gedanken kamen wie seine Who-Kollegen. Pete mochte noch so sehr betonen, dass Empty Glass viel zu experimentell und zu


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