The Who - Maximum Rock III. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock III - Christoph Geisselhart


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ein, arbeitete etwas oder flog für ein paar Wochen in die USA (meist nach Kalifornien ins Warner-Plattenstudio). Dann kam ich heim und machte einen völligen Entzug durch, höchstens mal ein Glas Wein zum Sonntagsbraten. Dann ging ich wieder für ganze Monate fort, arbeitete und kam zurück … Schließlich entfremdeten wir uns, und ich begann an­derswo Trost zu suchen. Ich stieß ziemlich viele alte Freunde vor den Kopf und fand ein paar neue Freunde. Ich begann lose Beziehungen mit Teilzeitfreundinnen. Ich konnte in jeden Nachtklub von London gehen, und jeder ­wusste,­ wer ich war. Ich ­verbrachte sehr wenig Zeit zu Hause. Damit begann alles. Karen und ich ­entschieden, dass es am besten wäre, wenn ich meine Probleme dauerhaft woanders hinbrachte.“

      Pete bezog ein eigenes Apartment über einem Schuhgeschäft an der King’s Road und lebte, wenn er genug vom Stadtluxus hatte, in seinem Landhaus in Berkshire, wo er auch sein Studio eingerichtet hatte. Aus dem verantwortungsbewussten Rockstar-Familienvater wurde Schritt für Schritt ein heftig trinkender Partylöwe mit wechselnden Damenbekanntschaften. An die Stelle echter Beziehungen zu alten Freunden traten oberflächliche Bekanntschaften aus der Londoner Schickeria. Zeitungsfotos zeigen ihn oft sturzbetrunken am Arm einer namenlosen Blondine aus einem Nachtklub torkeln, und nach Konzerten war die Situation häufig noch chaotischer:

      „Oft wachte ich in einem Raum voller Mädchen auf, die ich noch nie gesehen hatte, einfach weil ich die Nacht zuvor so betrunken gewesen war, dass ich sie nicht hinausgeworfen oder sie nicht höflich darum gebeten hatte zu gehen, oder was auch immer das richtige Verhalten gewesen wäre. Ich lebte damals gegen die meisten Prinzipien, die ich durch Baba kennen gelernt und als bereichernd empfunden hatte. Meher Baba wandte sich sehr eindeutig gegen Drogen. Und weil ich mich nicht an diese Prinzipien hielt, verbannte ich ihn für einige Zeit aus meinem Leben.“

      Richard Barnes berichtet, dass er mit Pete noch während der USA-Tournee einen Besuch im Baba-Zentrum Myrtle Beach machen wollte. Sie mieteten sogar einen eigenen Learjet, um dorthin zu fliegen, doch „Pete setzte nie einen Fuß ins Zentrum. Er verbrachte die ganze Zeit damit, etwa eine Meile vom Baba-Zentrum entfernt im Hilton Hotel etwas Schlaf zu finden. Pete war damals extrem unglücklich. Ich erinnere mich, dass ich ihn schon in der ersten Nacht während der Tournee, in New York, halb betrunken auf dem Boden ­liegend fand, sein Ohr gegen einen Kassenrekorder gepresst, aus dem mit ­voller­ Lautstärke ‚Private Life‘ vom noch unveröffentlichten Album der Pretenders­ plärrte.“

      Die seltsame Szene könnte allerdings auch einen anderen Hintergrund gehabt haben. Pete suchte einen Produzenten für sein Soloalbum, und er hatte Chris Thomas dafür ins Auge gefasst, der bereits erfolgreich mit den Pretenders und den Sex Pistols gearbeitet hatte. In diese Richtung wollte auch Pete seinen musikalischen Stil entwickeln, mit Tempo, draufgängerisch, mutig nach vorn. Inhaltlich beschäftigte er sich vor allem mit dem, was in seinem Leben zu kurz kam: mit Spiritualität und Tiefe. Der Titel des Albums, Empty Glass, geht deswegen laut Pete nicht etwa auf seine kompromisslosen Trinkgewohnheiten zurück, jedenfalls nicht auf so eindeutige Weise, wie das naheliegend erscheint, sondern auf eine Parabel des Sufi-Dichters Hafiz, der im 14. Jahrhundert gelebt hatte:

      „Er verglich die Liebe Gottes mit Wein, und dass wir danach schmachten, von Gift befreit zu werden; dass das Herz wie eine leere Tasse ist. Du hältst Gott dein Herz hin, und die Hoffnung, die Gottes Gnade ist, wird diese Tasse füllen. Du stehst in der Kneipe, eine nutzlose Seele, die darauf wartet, dass dir der Barmann einen Drink bringt – und der Barkeeper ist Gott. Auch Baba hat das Herz oft mit einem Glas verglichen, das Gott allerdings nicht mit seiner Liebe füllen kann, sofern es mit Eigenliebe gefüllt ist. Spiritualität bedeutet für mich, dass man sich mit ­Fragen beschäftigt, nicht mit Antworten. Ich halte es nach wie vor für eine sehr romantische Vorstellung, sein Glas hinzuhalten und zu sagen: ‚Gott, wenn du da bist, mach es voll!‘ Das Glas ist leer, weil du es geleert hast. Dein Ich war darin. Deswegen meinst du, dass du nichts wert bist, dass alles sinnlos ist – doch in Wahrheit schaffst du nur Raum für Gott. Du gibst ihm die Möglichkeit, das Glas neu zu füllen; also tritt beiseite, geh aus dem Weg. Bitte um ­Führung.“

      So gewagt und rätselhaft diese Sätze klingen: Es war ein sehr gefährlicher Weg, den Pete einschlug. Ein Mensch, der mit solcher Konsequenz die mystischen Pfade der Erkenntnis beschreitet, benötigt normalerweise einen erfahrenen ­spirituellen Lehrer an seiner Seite, einen lebendigen, leibhaftigen ­Lehrer wohlgemerkt, der den Adepten persönlich auffangen kann, wenn es notwendig ist, um die Kontrolle über sein Alltagsleben zurückzugewinnen. Doch Meher Baba war seit zehn Jahren tot, und Pete hatte ihn nie persönlich kennen gelernt. Wer konnte Pete helfen, wenn die dunkle Nacht kam, die jeder nach Erkenntnis Suchende­ zu durchstehen hat?

      Seine wichtigsten persönlichen Beziehungen waren fast alle gestört, seit er von seinem Zuhause ausgezogen war, und Pete experimentierte überdies zu jener Zeit wieder mit harten Drogen, zum ersten Mal wieder seit seiner beängsti­genden LSD-Erfahrung während des Heimflugs vom Monterey-Festival­ zehn Jahre vorher. Pete nahm vor allem die Jetset-Droge Kokain, wie er un­umwunden eingesteht:

      „Anfang 1980 beging ich den Fehler, Kokain zu konsumieren. Ich wurde sofort davon abhängig, weil ich mich so wohl dabei fühlte. Ich lasse mich sehr gern stimulieren. Die Klarheit half mir durch den Nebel der Trunkenheit. Man ernüchtert augenblicklich, sobald man sich eine Linie reinzieht; dann trinkt man wieder, nimmt eine weiteres Tütchen, wird nüchtern … und wiederholt diesen Zyklus, bis man am Ende des Tages nicht mehr kann.“

      Es heißt, dass sich Pete durch seine unglückliche, da einseitige Liebes­beziehung zu einer jungen Schauspielerin zum Kokain verführen ließ. Ihr Name: Theresa Russell. Pete hatte die attraktive und erfolgreiche Amerikanerin über den britischen Regisseur Nicolas Roeg kennen gelernt, ohne zu wissen, dass die beiden seit Roegs Film Blackout – Anatomie einer Leidenschaft (1979), in dem Theresa Russell an der Seite von Art Garfunkel spielte, ein Paar waren. „Ich kannte Nic als sehr glücklichen älteren Familienvater, der gelegentlich glamouröse Schauspielerinnen an seiner Seite hatte“ erzählt Pete.

      Pete wollte seinen in Kalifornien lebenden Landsmann, der spätestens seit dem Klassiker Wenn die Gondeln Trauer tragen (1973) als Regisseur von Weltruhm galt, für die Verfilmung seines Lifehouse-Drehbuchs gewinnen, und die erst ­dreiundzwanzigjährige Theresa Russell war von Petes Skript begeistert:

      „Sie setzte Nic regelrecht unter Druck. Was ich nicht wusste, war, dass sie ihn zu heiraten gedachte. Eines Tages rief ich in seinem Apartment an, wohl wissend, dass Nic gerade wegen einer Beerdigung nach London geflogen war. Seine Freundin nahm ab und sagte: ‚Oh, Pete, tut mir so leid, Nic ist gerade nach London unterwegs.‘ Und ich sagte: ‚Mist, so ein Pech, ich bin gerade auf dem Weg in die andere Richtung und wollte ihn treffen. Aber egal, wenn ich ankomme, rufe ich noch mal an.‘ Dann flog ich schnell über den Atlantik, besessen von der Idee, dass ich sofort handeln musste, da sie offensichtlich schon zusammen lebten. Ich wollte nur sie sehen und ­herausfinden, was da los war. Wir gingen gemeinsam mit einigen ­Freunden aus und schauten uns The Wall an und betranken uns. Bei dieser Gelegenheit nahm ich das erste Mal in meinem Leben Kokain; sie kokste ein ­bisschen. Ich verliebte mich hoffnungslos in sie, teilweise wohl auch wegen des Kokains, ohne dass sie mich irgendwie ermutigt hätte. Es war Valentinstag, und ich hüpfte in ein Auto und kaufte ihr Tequila und massen­haft ­Blumen, aber sie ließ mich nicht mal rein, sie wollte mich nicht sehen. Ich brach völlig zusammen. Ich hatte den spektakulärsten Gefühlsausbruch und wurde ein regelmäßiger Drogenkonsument. Ich trug bis zu diesem Zeitpunkt bereits eine Menge emotionalen Ballast mit mir herum, Cincinnati, Keiths Tod und dazu mein Alkoholproblem, ich trank, trank, trank; aber diese Sache ließ die Angelegenheit vollends umkippen.“

      Hier wird klar, dass Pete kein Vergnügungsjunkie war, der aus Lange­weile trank und kokste, sondern er dass er eine ernsthafte Lebenskrise durchlitt, aus der er keinen anderen Ausweg sah, als seine Gefühle mit Alkohol und Kokain zu regulieren. Er arbeitete hart, um seine Verpflichtungen gegenüber der Band, sich selbst und den Plattenfirmen zu erfüllen, und auch hier setzte er Drogen und Alkohol gezielt ein, um seine Produktivität zu steigern. Er hatte nie etwas anderes gelernt. Seit er achtzehn war, verband er seinen Beruf, die Musik, das Schreiben, die Auftritte vor Publikum, mit Alkohol und anderen Drogen. Sie halfen ihm, seine Frustrationen zu betäuben und den Druck auszuhalten,


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