The Who - Maximum Rock III. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock III - Christoph Geisselhart


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die auf Tee, ausgewogener Ernährung, Sport, Massage und regelmäßigem Schlaf beruhte, immer wieder eine Steilvorlage für ironische Kommentare. Pete und John waren begnadete Spötter, und bekanntlich lacht man in einer Gruppe auf Kosten der nicht Anwesenden besonders herzlich.

      Doch nicht nur in der Wahl des passenden Getränks oder am Schlafbe­dürfnis schieden sich die Geister in der Band. Der Antagonismus zwischen Pete und Roger entzündete sich vielmehr neu an der grundsätzlichen Ausrichtung ihrer Musik und der Zukunft der Band. Jeder der beiden Leitwölfel verkörperte einen anderen elementaren Aspekt, der zum Fortbestand beitrug. Pete, der sich mit seinen Kollegen so leutselig die Gläser teilte, der fürs soziale Arbeitsklima zuständig schien und die Songs schrieb, hatte in Wahrheit eine viel größere Distanz zur Band als Roger, der immer zuerst an The Who dachte.

      Pete überlegte ja unterdessen ernsthaft, wie viel Zeit und welches Material er in seine eigene Karriere investieren durfte, konnte, vielleicht sogar musste. Ende 1979 wurde bekannt, dass er einen gesonderten Plattenvertrag mit dem New Yorker Label Atlantic abgeschlossen hatte, das zum Unterhaltungsriesen Warner Brothers gehörte. Warner-Chef Mo Ostin war ein großer Who-Fan und mit Pete gut bekannt. Der Vertrag sah vor, dass Townshend in den nächsten sechs Jahren drei Alben als Einzelinterpret herausbrachte. Das bedeu­tete, dass er plötzlich sehr konkret vor der Entscheidung stand, welche Songs er für die Who nutzen sollte und welche für sich selbst.

      Roger beobachtete diese kreative Abnabelung des Songwriters zumindest mit Sorge, wenn nicht gar mit Argwohn. Offen konnte er nichts dagegen einwenden, denn er selbst hatte noch einen Plattenvertrag mit MCA, wo auch The Who seit 1965 in den Staaten ihre Platten veröffentlichten. Roger schuldete MCA sogar noch eine LP, und nachdem auch John, der allerdings ­gerade ohne Solovertrag war, und selbst Keith schon eigene Alben heraus­gebracht hatten, konnte man Pete schwerlich verbieten, seine kreativen ­Einfälle nicht auch für eigene Projekte zu nutzen.

      Im Unterschied zu Roger und auch zu John war Pete jedoch der unentbehrliche kreative Motor von The Who, und falls er seine Songs von anderen­ Musikern nach seinen Vorstellungen einspielen ließe, mochte das Resultat durchaus den Aufnahmen mit der Gruppe sehr ähnlich werden. Wenn Roger Kompositionen von Paul McCartney oder Leo Sayer sang, hatte das dagegen­ viel weniger Auswirkungen auf die Band.

      Roger war seit seiner Verkörperung von Tommy das einzige Who-Mitglied, das Pete auf Augenhöhe begegnen konnte. Seine von den Kollegen oft ­be­lächelte grundsolide Arbeitsauffassung und Lebensführung war in Wahrheit die Basis für eine erstaunliche Professionalität und Produktivität. Roger lebte so ausschließlich für seinen Beruf wie ein Leistungssportler. Er hatte kon­se­­quent eigene Platten veröffentlicht und erfolgreich an seiner Filmkarriere gearbeitet. Die der Band gehörende Produktionsgesellschaft The Who Films Ltd. drehte seit Sommer 1979 in Shepperton an McVicar, einem Film über Englands berühmtesten Ausbrecher und Gefängnisintellektuellen. Roger hatte die Filmrechte der Autobiografie gekauft, die John McVicar während seiner Haft ­verfasst hatte, und identifizierte sich stark mit dem rebellischen Individua­listen, den Scotland Yard einst als „gefährlichsten Mann Großbritanniens“, als „Public Enemy Number One“, gesucht hatte.

      „Wir durchliefen beide die gleiche Art von pubertären Fantasien“, erklärt Roger. „Mit fünfzehn hatte ich dasselbe Ego. Wie er wollte ich viel Geld haben. Ich wollte ,the Face‘ sein, der Rädelsführer, die Nummer eins, und ich wollte das tollste Auto fahren. Auch ich war ein Straßenkämpfer. Ich machte das Gleiche durch wie er, aber mit Hilfe der Rockmusik. Ich ­­musste­ nicht in einem gestohlenen Auto vor einer Bank lauern, um einen Adrenalin­stoß zu bekommen. Das erlebte ich auf der Bühne. Aber wenn ich nicht zum Rock’n’Roll gefunden hätte, wäre ich wahrscheinlich eine Art John McVicar geworden. Teil einer Band zu sein, bedeutete­ meine Befreiung.“

      Aus diesem Grund hielt Roger stets an den Who fest. Er meinte, dass die Band ihn vor einem fragwürdigen Schicksal im Arbeiter- und Kriminellen­milieu bewahrt hatte, und dafür war er unendlich dankbar. Einige seiner ­früheren Kumpel aus Shepherd’s Bush hatten inzwischen unerfreuliche Bekanntschaft mit Gerichten und Haftanstalten gemacht; andere mühten sich Tag für Tag mit schlecht bezahlter Lohnarbeit in Fabriken ab. Dass auch er unter ungünstigen Umständen wahrscheinlich ein solches Leben hätte führen ­müssen, vergaß Roger nie. Dafür schluckte er manches herunter, dafür ertrug er den Spott seiner Kollegen, und dafür kämpfte er jeden Tag auf der Bühne und hinter den Kulissen des Who-Konzerns.

      Aus diesem Bewusstsein, für das Richtige einzutreten, zog er die Glaubwürdigkeit und innere Stärke, die Pete oft fehlte. Dessen Konzepte waren ­vorwiegend geistiger Natur. Seine Kreativität wurzelte im emotionalen Chaos, in den nur halb aufgearbeiteten Traumata seiner Kindheit und in seiner frühen Jugend, als er ein verklemmter, gehänselter Außenseiter mit Omni­potenz­fantasien gewesen war. Die Angst vor Einsamkeit – beziehungsweise die unstillbare Sehnsucht nach Gemeinschaft – hatte ihn zur Rockmusik geführt und nicht zur Kunst oder in die Literatur, wohin er von seiner Veranlagung sicher ebenfalls gepasst hätte. Jetzt trieb ihn der kreative Eifer zu einer neuen Art von Selbstbestätigung und Selbstverwirklichung, zu grö­ßerer künstlerischer ­Freiheit und in die Nähe gefährlicher Abgründe.

      Die unheilvolle Verknüpfung von Alkohol und Arbeit machte fast allen in seiner Umgebung Sorgen. Als die Who Mitte Dezember 1979 nach ­London­ zurückkehrten, um Weihnachten zu Hause zu verbringen, drohte das ­Privatleben der drei Partygänger Pete, John und Kenney zu kollabieren. Die trinkfreudigen Who-Instrumentalisten hatten während der Tournee die Vorzüge des Rockstardaseins bis zur Neige ausgekostet und ein kleines Heer von Groupies hinter sich hergezogen; selbst der brave Kenney ließ sich von den Verlockungen in Gestalt von willigen amerikanischen Girls überwältigen und musste als Folge erleben, wie ihm sein vormals geordnetes Familienleben immer mehr entglitt.

      Was das Vernaschen von Groupies betraf, war Roger keine Ausnahme, wie er offen bekannte – abgesehen davon, dass er die Ladies nach einem leichten Gurkensandwich mit einer Tasse Tee diskret auf sein Zimmer bestellte und sie vor dem Zubettgehen zur Sicherung des Nachtschlafs wieder hinauswarf, wie Keiths getreuer Konzertbegleiter Dougal Butler berichtete. Aber Roger hatte die berufsbedingte Untreue sozusagen mit seiner Frau abgesprochen und einen Kodex vereinbart, der ihre Ehe stabil hielt. Er trennte innerlich streng ­zwischen Privatleben und seiner Rockstarexistenz:

      „Ich habe eine unglaubliche Frau. Natürlich vögle ich herum. Und sie weiß es. Wenn sie das auch macht, sage ich: ‚In Ordnung, aber lass es mich nicht wissen.‘ Das ist typisch männlich, ich weiß, ich bin ein chauvinistischer Dreckskerl. Ich habe vermutlich die beste Frau im ganzen Musikgeschäft. Sie ist alles, was ich mir von einer Frau wünsche. Wahrscheinlich ist sie die klügere von uns beiden, und das ist gut so. Sie geht nie mit auf Tour, weil sie das nicht möchte.“

      Pete, John und Kenney vermochten die emotionalen Aspekte des Rockmusikgeschäfts nicht so klar zu unterscheiden. Alle drei hatten Beziehungen mit ­jungen Verehrerinnen angefangen. John ließ sich von einer quirligen Amerikanerin namens Maxine sogar ständig begleiten, wenn er in den USA unterwegs war. Er hatte die hübsche Freundin, die noch nicht viel älter als zwanzig war, schon 1978 vor Keiths Tod im Prominentenlokal Rainbow Bar von Los Angeles kennen­ gelernt, wo sie als Kellnerin arbeitete und wo Keith die Jahre zuvor seine kalifornischen Exzesse ausgelebt hatte. Aus der Liaison war bald eine so ernsthafte Verbindung geworden, dass Alison Entwistle in der fröhlichen, dunkel gelockten Maxine eine ernste Bedrohung erkennen musste.

      Die Ehen aller drei Who-Musiker gerieten gegen Jahresende immer ­­stärker unter Druck. Auf Tournee wie Götter von dienstbaren Mädchen umschwärmt, die ihnen jeden erfüllbaren Wunsch von den Augen ablasen, mussten sie sich zu Hause gleichberechtigten Partnerinnen stellen, die ihnen Vorhaltungen wegen ihrer schlechten Gewohnheiten und ihrer langen Abwesenheit machten.­ Und alle mussten feststellen, dass ihre Kinder sie kaum mehr erkannten – eine Erfahrung, die Pete schon einmal zur Umkehr bewogen hatte. Dieses Mal genügte sie jedoch nicht, wie Pete in seinem schon erwähnten Traktat­ über Alkoholismus schrieb:

      „Karen sagte mir: ‚Deine Trinkerei beginnt unsere Familie zu bedrohen. Ich möchte das nicht.‘ Ich antwortete: ‚Karen, ich kann nicht aufhören zu trinken, ich schaffe es nicht. Vor allem nicht, wenn ich arbeite.‘ Darauf


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