ICH. Ricky Martin

ICH - Ricky  Martin


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zu kommen. Aus diesem Grund war ich fest entschlossen, nichts zu tun – oder zu unterlassen –, was mich meinen Platz in der Gruppe kosten konnte. Menudo war nicht nur eine völlig neue Welt für mich, es war eine neue Galaxie! Für unsere Reisen hatten wir einen Privatjet – einen Jumbo 737! Und in den Städten, wo wir auftraten, hatten wir nicht nur eine Hotelsuite oder auch ein ganzes Stockwerk zu unserer Verfügung, sondern das ganze Hotel war für uns reserviert! Manchmal war eine komplette, mit Flipperautomaten und Videospielen äußerst großzügig ausgestattete Etage nur für unsere Unterhaltung bestimmt. Wir lebten in unserem eigenen Disney World – der größte Traum eines jeden Kindes. Wir hatten so viel Spaß! Jeder Tag war ein neues Abenteuer, und ich liebte jede einzelne Sekunde. Wir arbeiteten unheimlich hart, doch wenn dann einmal Entspannung angesagt war, wurden wir wie Könige behandelt.

      Ein anderer Grund, warum ich Menudo so liebte, war der, dass die Band wie eine große Familie war. In unserer Freizeit alberten wir herum, quatschten – und zofften uns auch gelegentlich, wie fünf Brüder. Für mich als Jüngster und Kleinster waren die anderen Bandmitglieder wie ältere Brüder. Wenn wir uns in einer Menschenmenge befanden und die Fans uns vor lauter Euphorie schier niedertrampelten, hatten die anderen Jungs inmitten des wahnsinnigen Getümmels ein Auge auf mich. Dadurch fühlte ich mich als jemand ganz Besonderes.

      Wir tourten durch die ganze Welt, hatten Gigs in Japan, auf den Philippinen, in Europa und Südamerika. Und zum ersten Mal in der Geschichte der Band machten wir auch eine Tour durch die USA. Im Rahmen dieser Tournee hatten wir auch vierundzwanzig Shows in der Radio City Music Hall in New York. Es war der absolute Hammer zu sehen, wie Abertausende von Menschen den gesamten Verkehr auf der 6th Avenue vor der Halle sowie um den ganzen Block herum zum Erliegen brachten. Von der Garderobe aus blickten wir auf ein riesiges Meer von Menschen hinab. Hunderte von Polizisten mussten an der 63rd Street und an der Ecke Lexington Avenue, wo sich unser Hotel befand, eine menschliche Absperrung bilden.

      Unsere Fans waren außer Rand und Band. Sie machten vor nichts Halt. Als wir ein anderes Mal in Argentinien auftraten, tummelten sich vor unserem Hotel mindestens fünftausend Mädchen, mit Buttons, Fotos, Fahnen und all dem anderen Menudo-Zeug. Die Mädchen schrien und kreischten jedes Mal, wenn wir uns an den Fenstern zeigten. Wir brauchten nur einen Arm aus dem Fenster zu halten, und schon brachen sie in Hysterie aus. Sie sangen unsere Songs und bildeten Sprechchöre, so wie man es aus Fußballstadien kennt. Später tauchten dann ein paar Jungs auf. Vermutlich ärgerten sie sich darüber, dass Menudo so viel Aufmerksamkeit von den Mädchen bekam. Sie bildeten eigene Sprechchöre, mit denen sie uns beleidigten und beschimpften. Plötzlich ging einer der Jungs auf die Mädchenschar zu und versuchte, die puerto-ricanische Fahne herunterzureißen. Das hätte er lieber nicht tun sollen! Denn die Mädchen verprügelten ihn derart, dass er es fast nicht überlebt hätte.

      Solche Dinge widerfuhren uns ständig – absolut crazy!

      Die Veränderung war schon ziemlich krass. Vor meiner Zeit bei Menudo hatte ich in Puerto Rico ein einfaches Leben geführt, umgeben von meiner Familie und meinen Freunden. Ich war damals kaum je aus meinem Wohnviertel herausgekommen. Dann wurde ich quasi über Nacht in eine Welt des Ruhms, des Luxus und der Vergötterung durch die Fans katapultiert. Aus mir, dem von meinen Eltern und Großeltern innig geliebten Jungen, war ein internationaler Star geworden, der durch die ganze Welt reiste und auf einigen der wichtigsten Bühnen des Planeten auftrat. Natürlich gab es immer wieder Momente, in denen ich mich verloren fühlte und mir gewünscht hätte, dass meine Mutter oder mein Vater da wären, um mich zu trösten. Während meiner ganzen Zeit bei Menudo waren sie immer besorgt um mich. Wir telefonierten häufig, aber das reichte oft nicht aus. Ich weiß zum Beispiel noch, dass ich während einer Brasilien-Tour eines Nachts meine Mutter anrief und sagte: »Mami, ich kann nicht mehr. Ich bin fix und fertig. Ich will heim.«

      Meine Mutter tröstete mich so gut sie konnte und meinte: »Mein Sohn, wenn du das wirklich willst, mach dir keine Sorgen. Wir sprechen morgen mit den Anwälten und sorgen dafür, dass du nach Hause kommen kannst.« Aber sogleich fügte sie hinzu: »Jetzt ist es zu spät dafür, aber wenn du willst, rufe ich den Anwalt gleich morgen früh an.«

      Nach dem Gespräch mit ihr beruhigte ich mich und fiel in einen erholsamen Schlaf. Und am nächsten Morgen hatte ich völlig vergessen, warum ich am Vorabend so verzweifelt gewesen war. Ich rief in aller Frühe meine Mutter an und sagte: »Mami, es geht mir wieder gut! Mach dir keine Sorgen. Du brauchst die Anwälte nicht anzurufen. Es ist alles in Ordnung.«

      Durch die Reaktion meiner Mutter fühlte ich mich gleich viel besser. Hätte ich mich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich entschieden, aus der Band auszusteigen, wäre das eine ziemlich komplizierte Angelegenheit gewesen. Wahrscheinlich wäre ich wegen Vertragsbruch verklagt worden, und die Nachricht hätte sich wie ein Lauffeuer in den Medien verbreitet. Die Leute hätten mir alle möglichen Fragen gestellt, und es hätte Gerüchte darüber gegeben, warum ein Bandmitglied die Gruppe zu einem Zeitpunkt verließ, wo doch alles anscheinend perfekt lief. Heute ist mir klar, dass ich mir mit einem vorzeitigen Ausstieg aus der Band riesige Probleme eingehandelt hätte. Doch trotz der möglichen Konsequenzen war meine Mutter bereit, die Sache in die Hand zu nehmen. Ihr war nur wichtig, dass ich nicht mehr so niedergeschlagen war wie in jener Nacht am Telefon.

      Ich machte also weiter. Ebenso wie alle anderen Menschen, die morgens aufstehen und zur Arbeit gehen müssen, hatte auch ich Augenblicke der Erschöpfung und der Angst. Doch die Euphorie, die mich permanent umgab, war ein ständiger Ansporn für mich. Ich spürte, dass etwas Außergewöhnliches mit mir geschah. Und deshalb wollte ich trotz gelegentlicher Krisen nichts von alldem missen.

      Kontakt zu anderen Kids

      Meiner harten Arbeit verdanke ich es, dass ich viele großartige Erfahrungen machen konnte und viele großartige Menschen kennengelernt habe. Dieser Zusammenhang wurde mir besonders deutlich bewusst, als wir UNICEF-Botschafter wurden. Die Bandmanager wollten unsere Reisen in die ganze Welt optimal nutzen. Deshalb luden wir in unserer Funktion als Botschafter unterprivilegierte Kinder, deren Realität eine völlig andere war als unsere, zu unseren Shows ein. Oft waren es Waisen oder Kinder, die auf der Straße lebten und schon sehr früh in ihrem Leben großes Leid erfahren mussten.

      Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt fand unser »kleinstes« Konzert vor rund 70 000 Zuhörern statt. Zugleich stellten wir bei unserem Auftritt im Morumbi-Stadion in São Paulo mit 200 000 Besuchern einen Weltrekord auf. Doch sobald wir dann Zeit mit diesen Kindern verbrachten, um ein wenig Freude in ihr Leben zu bringen, existierte der ganze Glamour – Privatjets, Luxushotels, Privatköche, eigene Bodyguards, Privatlehrer, Assistenten und so weiter – gar nicht mehr. Die Organisatoren sagten damals zu uns: »Hört mal zu! Ihr werdet jetzt Kinder kennenlernen, die nicht weniger wert sind als ihr. Nur führen sie ein völlig anderes Leben.« Die Chance, mit diesen Kindern zusammen zu sein, empfinde ich als eine der wertvollsten Erfahrungen überhaupt, die ich Menudo zu verdanken habe. Ich lernte, das Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Diese Lektion ist für einen Heranwachsenden, der von Reichtum und Luxus umgeben ist, von größter Bedeutung.

      Mir wurde damals klar, wie viele Kinder vor allem die Schattenseiten des Lebens kannten. Das war nicht einfach für mich. Es war wohl so etwas wie ein Realitätsschock, doch die Erfahrung hat mir sehr viel gegeben. Es war auch deshalb etwas Besonderes, weil ich der Jüngste in der Band war – ich war damals zwölf. Das zweitjüngste Bandmitglied war vierzehn Jahre alt. Es ist ein großer Unterschied, ob man zwölf oder vierzehn ist. Und fast alle Kinder, die wir zu unseren Shows einluden, waren so alt wie ich oder noch jünger. Deshalb gelang es mir innerhalb kürzester Zeit, eine besondere Beziehung zu ihnen aufzubauen. Sie hatten eine völlig andere Lebenserfahrung als ich, und so konnte ich unglaublich viel von ihnen lernen.

      Es war nicht so, dass ich ein schlechtes Gewissen bekam, weil es mir in materieller Hinsicht so viel besser ging als diesen Kindern. Im Gegenteil: Ich fühlte mich gut, weil ich etwas mit ihnen teilen konnte. Aber zugleich wurde mir bewusst, dass sie viele Dinge besaßen, die ich nicht hatte – zum Beispiel Freiheit. Alles im Leben ist relativ, und was für dich das Normalste der Welt ist, kann für einen anderen etwas sehr Wertvolles sein. Diese Kinder hatten trotz ihrer materiellen Armut die Freiheit, jederzeit dorthin gehen zu können, wo sie wollten. Und so sehr ich es auch genoss, auf der Bühne


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