ICH. Ricky Martin
Anschließend hetzten wir zum Fotoshooting bei der Presse. Von dort aus ging es zum Plattenladen und später in ein Krankenhaus wegen einer Benefizveranstaltung. Danach standen Probe und Soundcheck für die abendliche Show auf dem Programm. Es war total anstrengend. Oft arbeiteten wir vierzehn Stunden am Stück, und das fünf oder sechs Tage hintereinander. Am siebten Tag stiegen wir dann ins Flugzeug oder in den Bus, um die nächste Stadt anzusteuern.
Ich hatte mich bei Menudo derart verausgabt, dass ich in meinem letzten Jahr dann die Schnauze voll hatte. Nach wie vor liebte ich die Auftritte, die Musik, das Gefühl, auf der Bühne zu stehen. Doch ich fühlte mich völlig ausgepowert. Ich konnte einfach nicht mehr. Der Bandmanager bat mich, noch ein Jahr dabeizubleiben, weil einige der anderen Jungs die Band gerade zu diesem Zeitpunkt verließen. Ich verspürte zwar nicht die geringste Lust dazu, aber ich willigte ein. Mein ursprünglicher Vertrag mit der Band lief über drei Jahre, doch ich war damals bereits vier Jahre dabei gewesen. Mit diesem letzten Jahr waren es also insgesamt fünf Jahre.
Um ehrlich zu sein, ich bin nur deshalb geblieben, weil ich die Band wie auch die Crew sehr mochte und großen Respekt vor allen Beteiligten hatte. Nach den vielen gemeinsamen Jahren auf Tour waren wir schließlich zu einer richtigen Familie zusammengewachsen. Auch abgesehen von der rein geschäftlichen Beziehung empfanden wir große Sympathien füreinander. Deshalb wollte ich die anderen zu einem Zeitpunkt, wo sie mich brauchten, nicht hängen lassen. Ich blieb also ein weiteres Jahr in der Band, allerdings zu meinen eigenen Bedingungen. Darauf hatte ich bestanden, und sie hatten es bereitwillig akzeptiert. In meiner ersten Zeit bei Menudo konnten beispielsweise nur zwei von uns, darunter ich, Englisch sprechen. Deshalb wurden mein Bandkollege und ich jedes Mal eingespannt, wenn wir ein Interview auf Englisch geben mussten. Die anderen Bandmitglieder durften währenddessen im Hotelzimmer entspannen und fernsehen. Das fand ich ziemlich unfair – auch ich hätte mich lieber ausgeruht! Deshalb bat ich den Manager, den Job in meinem letzten Jahr von jemand anderem machen zu lassen. Ich wollte nur noch bei den Auftritten dabei sein und sonst nichts. Zum Glück akzeptierten sie meine Bedingungen, und so haben wir es dann auch gehandhabt.
Dies war weder Arroganz meinerseits, noch wollte ich den anderen irgendwelche Schwierigkeiten machen. Ich wollte einfach nur raus aus der Band. Abgesehen davon, dass ich die Plackerei satt hatte, während die anderen Jungs sich mit Sportwagen, Motorrädern und dem ganzen Schnickschnack ein schönes Leben machten. Ich erhielt ein mageres Gehalt von 400 Dollar im Monat. Denn als ich der Gruppe beitrat, beschlossen meine Eltern und ihre Anwälte, mein Geld treuhänderisch zu verwalten, um jegliche Missverständnisse zu vermeiden. Von diesem Konto durfte ich monatlich 400 Dollar abheben. Das restliche Geld würde bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr dort eingefroren bleiben. Ich war sauer, dass ich für meine harte Arbeit so schlecht bezahlt wurde. Sicherlich gibt es eine Menge Leute, die sehr viel härter arbeiten, als ich es damals tat, und noch weniger verdienen. Doch ich war ein Teenager, und mein Vergleichsmaßstab waren nun einmal die anderen Menudo-Mitglieder. Deshalb kam es mir vor, als bekäme ich überhaupt nichts.
In meinen Augen gab es viele Gründe, eine Veränderung in meinem Leben zu suchen: Ich wollte mir den ganzen Stress nicht mehr antun, war sauer, weil ich so kurzgehalten wurde, doch vor allem suchte ich einfach eine neue Herausforderung. Die jahrelange Zusammenarbeit mit Menudo hatte mich in vielerlei Hinsicht verändert. Ich wurde allmählich erwachsen und wünschte mir nichts sehnlicher, als in mich gehen und intensiv darüber nachdenken zu können, was ich aus meinem Leben machen wollte.
Ich verließ Menudo also im Juli 1989. Mein Abschiedskonzert mit der Band fand im Luis A. Ferré Center for Fine Arts in San Juan statt. Dies war für mich der perfekte Ort, um meine Karriere bei Menudo zu beenden. Schließlich hatte ich dort auch mein Debüt mit der Band gegeben. Es war nun Zeit, dieses Kapitel abzuschließen und mich neuen Dingen zuzuwenden.
Nach der Show kehrte ich nach Hause zurück, ohne die geringste Ahnung zu haben, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Klar, ich musste die High School beenden, doch was meine Karriere betraf, war meine Zukunft völlig ungewiss. Nun hatte ich mich erst einmal wieder an das Zusammenleben mit meiner Familie zu gewöhnen. Das ist zweifellos für jeden Teenager eine schwierige Sache. Doch in meinem Fall, denke ich, machten es mir die Umstände noch schwerer, mich anzupassen. Schließlich war es mittlerweile fünf Jahre her, dass ich das letzte Mal mit ihnen zusammengelebt hatte. Und die Erfahrungen, die ich bei Menudo machte, hatten mit meinem Leben zu Hause, im Schoß der Familie, nicht das Geringste zu tun. Ich fühlte mich ausgeschlossen, einsam, verloren.
Viele Leute glauben, dass mich der Song »Livin’ La Vida Loca« am besten charakterisiert. Das ist allerdings ein Irrtum. Der Song, der mein Leben am treffendsten beschreibt, stammt aus der Feder des großartigen Künstlers und Komponisten Ricardo Arjona. Das eigens für mich geschriebene Stück hat den Titel »Asignatura Pendiente« (»Anstehende Aufgabe«). Der Songtext schildert auf brillante Weise jenen Tag im Jahr 1984, an dem ich Puerto Rico zum ersten Mal verließ: Deine winzige Hand winkt zum Abschied / An jenem verregneten Nachmittag in San Juan / Mit den Küssen, die ich mitnehme. Ohne mir dessen bewusst zu sein, ließ ich am Tag meiner Abreise aus Puerto Rico diejenigen zurück, die mich liebten. Ich ließ meine Kindheit zurück. Ich blickte nach vorn und sah nichts als blauen Himmel und ein gewaltiges Universum unzähliger Möglichkeiten. Jetzt, wo ich wieder zu Hause war, sah derselbe Himmel grau und verschwommen aus, und die unzähligen Perspektiven, die sich mir zuvor eröffnet hatten, lösten sich in Luft auf.
Der Text von Arjonas Song beschreibt die Herausforderung und das Geheimnis des Erfolgs. Erfolg ist ein zweischneidiges Schwert. Denn für jede Sache, die man tut, muss man eine andere opfern. Für jeden Weg, den man einschlägt, bleibt ein anderer unerforscht. Das ist das Gesetz des Lebens. Ich habe mich bewusst für die Bühne entschieden. Ich wollte vor einem Publikum auftreten, den Applaus hören und bewundert werden. Dieses Gefühl erfüllt und beglückt mich ungemein. Doch heute weiß ich, dass die Liebe meiner Fans manchmal ihren Preis hat. Ihre überwältigende Liebe ist etwas Wunderbares, doch die Intensität des Ruhms kann manchmal auch schmerzlich sein.
In meinem Land gibt es das folgende Sprichwort: »No hay mal que por bien no venga« (»Es gibt kein Übel, das nicht auch zu etwas Gutem taugt«). Ich finde, wir sollten uns stattdessen lieber einen Spruch zu Eigen machen wie diesen hier: »Heute entscheide ich mich für den Weg, der schon immer meiner war.« Es als Fehler zu betrachten, dass ich Puerto Rico an jenem Tag verließ, hieße, all die wundervollen, außergewöhnlichen Dinge, die danach geschahen und die mir entgangen wären, wenn ich zu Hause geblieben wäre, zu ignorieren. Ich denke, es war weder völlig richtig noch völlig falsch, meine Heimat verlassen oder die Zeit bei Menudo verbracht zu haben. Es war richtig und falsch zugleich. Ich musste das tun, was ich tat, um dorthin zu gelangen, wo ich heute bin.
Wir werden alle unterschiedlich schnell erwachsen. Einige Menschen haben das Glück, unter der Anleitung und der liebenden Fürsorge ihrer Eltern aufzuwachsen, andere müssen sich den Umständen anpassen und schon sehr früh in ihrem Leben erwachsen werden. Ich gehöre zu den Letzteren. Im Alter von zwölf Jahren bot sich mir eine Chance, die mein ganzes Leben auf den Kopf stellte: Menudo. Es war eine der erfolgreichsten Bands der Musikgeschichte, und als ich schließlich ein Teil davon wurde, ging ein Traum in Erfüllung. Menudo war alles, was ich mir je gewünscht hatte. Doch wie alle großartigen Dinge im Leben war auch diese Erfahrung mit vielen Opfern verbunden: Ich musste meine Familie, meine Schule und meine Freunde zurücklassen – alles, was mir vertraut war. Ich opferte meine Jugend und meine Unschuld. Aber obwohl mir heute klar ist, dass ich mir diese Dinge niemals wieder zurückholen kann, bereue ich definitiv nichts. Es war zwar ein schwieriger Prozess, aber darum geht es schließlich beim Erwachsenwerden: Du stellst dich den Herausforderungen, die das Leben für dich bereithält, und wächst an ihnen.
Als ich damals das erste Mal nach Hause zurückkehrte, war mir selbst noch nicht bewusst, wie mich meine neuen Erfahrungen verändert hatten. Meine Entwicklung war noch längst nicht abgeschlossen. Zwar war ich in vielerlei Hinsicht schon sehr erwachsen – ich hatte intensiv gelebt, war viel gereist und hatte jede Menge Erfahrungen gesammelt. Jedoch war mir damals nicht klar, welchen spirituellen Weg ich einschlagen sollte, um zu mir selbst zu finden. Während meiner Zeit bei Menudo hatte ich eine Menge gelernt und mich in geradezu beängstigendem Tempo entwickelt. Ich lernte nicht nur zu singen, zu tanzen und all die anderen Dinge, die man für eine