Immer weiter. Lloyd Bradley

Immer weiter - Lloyd  Bradley


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Reisen in meinem Leben habe ich nur wenige Menschen getroffen, von denen ich aufrichtig behaupten kann, dass sie es wert sind, als „Helden“ bezeichnet zu werden: weder im Musikbusiness noch im – darf ich es sagen? – Leben im Allgemeinen. Mitunter fällt einem gar nicht auf, dass man Heldenhaftes vollbringt, während man sich um die Notwendigkeiten und Bedürfnisse des täglichen Lebens kümmert. Zumeist geht es schlichtweg darum, eine Aufgabe zu erledigen, etwas Geld zu verdienen, gelobt zu werden (oder auch nicht), um sich dann der nächsten Aufgabe widmen zu können. All dies gehört zum scheinbar nie enden wollenden Prozess, mit dem man seine Lebensgrundlage zu sichern versucht.

      Doch 1979 durfte ich eine ebensolche Heldin kennenlernen. Die ganze Welt, so schien es, war gerade damit beschäftigt, die Schallplatten zweier enorm erfolgreicher Popgruppen zu kaufen: Abba und Boney M. Ihre kommerziellen Reichweiten waren schlicht atemberaubend. Sie waren für das Musikbusiness, was Muhammed Ali und Joe Frazier in der Welt des Boxens darstellten. So wie schon die Beatles vor ihnen, besaß jedes einzelne Mitglied der beiden Gruppen seine jeweils eigenen Fans, die fast schon bereit gewesen wären, für sie zu sterben. Auch wenn es heute nicht mehr ganz so arg sein dürfte: So war das damals eben.

      Ich liebte die Musik beider Gruppen und war und bin immer noch der Meinung, dass die Schönste von ihnen die anmutige, amazonenhafte Marcia Barrett von Boney M. war. Sie hatte einfach eine gewisse Jenseitigkeit, Spiritualität und Freundlichkeit an sich, durch die sie sich von all den anderen abhob.

      Damals wusste ich noch nicht genau, wie viel Marcia tatsächlich zum Sound von Boney M. beitrug. Das sollte ich erst viel später herausfinden. Doch diese Zeiten konnten einen schon verwirren: Durch das Aufkommen neuer Aufnahmetechnik und der überaus großzügigen Unterstützung von Session-Sängerinnen aller Art, konnte sich das, was man zu Gehör bekam, letztlich stark von dem unterscheiden, was einem auf der Bühne oder der Plattenhülle visuell präsentiert wurde. Doch so wie mit den meisten Dingen im Leben ist es oft nur eine Frage der Zeit, bis alles ans Tageslicht kommt: Ohne Liz’ Beitrag schmälern zu wollen – es war die Liebe in Marcias Stimme, die hauptsächlich dafür verantwortlich war, dass sich weltweit so viele Millionen Boney-M.-Platten verkauft haben und auch weiterhin verkaufen werden.

      Ich glaube fest daran und sehe in diesen Worten eine Art Mantra: „Das, was für dich ist, muss zu dir kommen.“ Nachdem ich mit meiner Band The Equals am großen Erfolg hatte nippen dürfen, verschwand ich sieben Jahre lang in der Anonymität. Der Weg zurück an die Spitze der Charts war steinig und gelang mir als Solokünstler erst mit meinem Song „Living on the Frontline“. Tatsächlich war dies eine sehr unsichere Phase meines Lebens. Außerdem hatte ich nie eine Solokarriere angestrebt. Damals wurde die karibische Community in Großbritannien durch die Caribbean Times mit Nachrichten versorgt, die jedes Jahr eine Award-Show veranstaltete, bei der die erfolgreichsten Künstler aus den Bereichen Musik, Film und Fernsehen ausgezeichnet wurden. So gelangte ich in den Orbit des Weltstars Marcia Barrett. Boney M. wurden von unserer oftmals verunglimpften schwarzen, karibischen Community ausgezeichnet, doch nur Marcia Barrett war erschienen, um den Preis entgegenzunehmen. Nicht nur ich, sondern auch alle anderen, die der Veranstaltung beiwohnten, waren beeindruckt. Selbstverständlich waren mehr Fotografen als sonst vor Ort, die inständig auf ein Lächeln seitens Marcia hofften. Sie wären ohne mit der Schulter zu zucken heimgegangen, ohne dem vielleicht besten britischen Mimen seiner Zeit, Norman Beaton, der später in der Sitcom Desmond’s Fame auftrat, und natürlich auch meiner Wenigkeit ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

      Als Marcia begriff, was da vor sich ging, ließ sie ausrichten, dass sie für keine Fotos mehr zur Verfügung stünde, sollten darauf nicht auch Norman als auch ich zu sehen sein. Ich war ihr extrem dankbar dafür und mein Respekt ihr gegenüber nahm daraufhin ein Ausmaß an, das ihre Plattenverkäufe, die damals schon fast außerirdisch anmuteten, noch bei weitem überstieg.

      Und wie begeistert war ich, als ich ein paar Jahre später einen Anruf von Marcia erhielt! Ich war zu diesem Zeitpunkt auf Barbados sesshaft geworden und Marcia war nicht glücklich mit ihrer Situation bei Boney M. Plötzlich rief mich diese wunderbare Person und Künstlerin an, um zu fragen, ob ich es in Erwägung ziehen könnte, ihr Solo-Album zu produzieren.

      Mein Studio war zwar noch nicht ganz fertiggestellt, aber mit Sicherheit schon so weit, um uns Musik machen zu lassen. Also lud ich sie zu mir ein. Außerdem ließ ich meinen guten Freund und Bassisten Marcus James von meiner Tourband Frontline Orchestra aus Großbritannien kommen. Wir verbrachten eine tolle Zeit damit, Musik zu machen und Marcia an meinem Familienleben teilhaben zu lassen. Meine ganze Familie liebte ihre unkomplizierte Art – obwohl der Umfang ihrer Garderobe selbst Imelda Marcos ins Staunen versetzt hätte. Wir waren wie eine Familie: Marcia und meine Frau Anne kochten im Haus und unter freiem Himmel und wir unternahmen furchtbar anstrengende Radausflüge auf den hügeligen Straßen von Barbados, bei denen Marcia uns Männern, die sich durchaus für fit hielten, jedes Mal die Grenzen aufzeigte.

      Der Schock war unermesslich, als ich einige Zeit später, nach ihrer Rückkehr in ihre damalige Heimat Florida, hörte, sie würde gegen jenen unnachgiebigen Feind des Menschen, den Krebs, ankämpfen – und es wäre sehr ernst. Meine Familie und ich beteten für sie und wir alle sorgten uns sehr, vor allem auch um Marcus, der mittlerweile mit Marcia verheiratet war.

      Tief in meinem Herzen wusste ich, dass es Marcia wäre, wenn es jemanden gäbe, der diese Krankheit bezwingen kann. Aber wie oft?

      Lasst es euch von ihr selbst erzählen und euch von meiner Heldin mit Hoffnung erfüllen.

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      Am 9. Dezember 1978 bestiegen Boney M. ein Flugzeug in Richtung Sowjetunion, zu der Russland damals gehörte, um eine Reihe von Konzerten in Moskau zu geben. Zu dieser Zeit wurde uns langsam klar, wie berühmt wir eigentlich waren. Das mag seltsam anmuten, da wir praktisch von Anfang an Hits überall in Europa, Australien, Neuseeland und Kanada hatten landen können. Doch in Wahrheit hatten wir einfach nicht genug Zeit gehabt, um alles eingehend verarbeiten zu können. Wir nahmen die Single „Daddy Cool“ auf, gingen sofort im Anschluss daran auf Tour, um sie zu bewerben, und kehrten dann direkt ins Studio zurück, um an der nächsten Single zu arbeiten – und dann wiederholte sich alles gleich noch einmal. Wir konzentrierten uns nur auf die Boney-M.-Welt und nicht auf die große, weite Welt als solche.

      Natürlich wussten wir, dass sich die Platten gut verkauften. Im Laufe des Jahres 1978 wurde uns auch bewusst, wie sehr sich Boney M. im Pop-Alltag, der uns alle umgab, etabliert hatten, was vor allem auf Deutschland zutraf, wo sich unser beruflicher Mittelpunkt befand.

      Im Verlauf dieses Jahrs gewöhnten wir uns daran, Restaurants und Bars zu betreten und dort von „Daddy Cool“, „Ma Baker“ oder „Rasputin“ begrüßt zu werden. Am Ende dieses Jahres sahen wir einander bloß noch an, nickten und lächelten. Vielleicht waren wir gegenüber unserem Status als Promis ein wenig gleichgültig geworden. Womöglich hielten wir uns auch nicht für besser als all die anderen Acts, die im Radio gespielt wurden. Schließlich lief ja immer auch ein Song vor und ein Song nach uns. Dieser Ausflug in die Sowjetunion machte uns jedoch klar, wie groß wir wirklich geworden waren.

      So wie bei allem, was wir taten, kam es uns vor, dass dieser Trip sehr rasch zustande gekommen war, weshalb mir gar nicht genug Zeit blieb, mir detaillierte Gedanken darüber zu machen, was wir tun würden. Als die Limousine mich abholte, um mich zum Flughafen Heathrow zu bringen, fühlte es sich an wie ein ganz normaler Trip in irgendein x-beliebiges Land. Es war ein wenig chaotisch, als wir uns zum Abflug bereitmachten, aber das war nicht ungewöhnlich. Erst nachdem wir abgehoben hatten und ich mich mit einem Glas Champagner auf meinem Sitzplatz in der ersten Klasse entspannte, die ganz allein für uns reserviert war, konnte ich mir Gedanken darüber machen, was uns bevorstand. Für mich war dies der Höhepunkt unserer Karriere. Die Verkaufszahlen unserer Alben, die ausverkauften Tourneen, die Magazin-Titelseiten, die gebrochenen Rekorde und die Gold- und Platinauszeichnungen waren absolut fantastisch, aber das hier war etwas ganz Besonderes. Keine andere westliche Pop- oder Rock-Gruppe war bis dahin in der Sowjetunion aufgetreten. Weder die Beatles noch die Rolling Stones oder die Bee Gees. Nicht einmal Abba, die damals die größte Musikformation in ganz Europa waren. Nein, Boney M. waren die Ersten, die


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