Immer weiter. Lloyd Bradley
sang sie in einer Gruppe namens Malcolm’s Locks, die ihr damaliger Freund Malcolm Magaron, der ebenfalls bei den Les Humphries Singers gewesen war, gegründet hatte. Sie hatten ein paar Platten in Deutschland aufgenommen, aber an diesem Abend erzählte sie mir, dass sie nicht an ihren Erfolg glaubte und ernsthaft mit dem Gedanken spielte, wieder nach England zurückzukehren, wo sie wieder als Session-Sängerin im Studio arbeiten könnte. Als ich nun in Bezug auf Boney M. an sie dachte, wusste ich nicht einmal, ob sie sich überhaupt noch in Deutschland aufhielt. So schlug ich Katja vor, dass sie am besten die beiden Schwestern in ihrer Wohnung kontaktierte, da sie wohl immer noch studierten.
Wie sich herausstellte, war Liz tatsächlich zurück nach London gezogen, doch Katja gelang es mithilfe ihrer beiden Schwestern mit ihr in Kontakt zu treten. Ich weiß gar nicht, ob sie oder Frank Liz irgendwo vorsingen ließen, aber schon ein paar Wochen später stiegen sie und ich in einem Hotel in der Nähe des Frankfurter Flughafens ab, da wir unweit von dort in Frank Farians Studio in Offenbach aufnehmen sollten. Sie war aus London eingeflogen und ich war aus Hamburg angereist. Am nächsten Tag wurden wir ins Studio chauffiert, wo wir sofort mit den Gesangsparts für die erste richtige Boney-M.-Single begannen – „Daddy Cool“.
Obwohl die Platte erst Mitte 1976 einschlagen sollte, passierte all dies bereits zu Jahresbeginn, gerade mal ein paar Wochen, nachdem ich die anderen kennengelernt hatte und mit ihnen in die Niederlande gefahren war, um „Baby Do You Wanna Bump?“ zu performen. In diesem Tempo ging es bei Frank Farian immer zur Sache. Die Begleitmusik war bereits im Kasten. Zwar war noch nicht alles ganz fertig, aber es gab schon jede Menge Aufnahmen, zu denen wir singen konnten. Wir standen nun also da und Frank erklärte uns, was er sich von uns wünschte. Das war seine bevorzugte Arbeitsweise: Die Sänger kamen erst ziemlich am Ende zum Zug.
Das bedeutete, dass Liz und ich uns erst gerade wieder getroffen hatten, uns nun in einem uns völlig fremden Studio befanden, gemeinsam mit einem Produzenten, den wir nicht wirklich kannten und der kein Englisch sprach. Uns wurde ein Songtext in die Hände gedrückt, zu dem wir schon ein paar Minuten später Harmonien beisteuern sollten. Wir wurden also quasi ins kalte Wasser geworfen, aber auf so etwas muss man sich eben in der Musikbranche einlassen. Vermutlich hätten wir uns gröbere Sorgen gemacht, wenn Frank nicht die Spannung etwas aufgelockert hätte – wenn auch völlig unabsichtlich. Als er den Song mit uns durchging, steuerte er den tiefen Gesang bei. Er hielt sich dabei den Bauch und sang „Crazy like a fool …“ mit einer rauen Stimme. Liz und ich sahen uns an und kämpften dagegen an, laut loszuprusten. Der Typ war vielleicht ein guter Produzent, aber mit Sicherheit kein guter Sänger.
Nach relativ kurzer Zeit – auch wenn es mir nur wie wenige Tage vorkam, muss es länger gedauert haben, da ich zwischenzeitlich nach London zurückgekehrt war – war „Daddy Cool“ fertig abgemischt und wurde veröffentlicht. Daraufhin trafen Liz und ich uns mit Bobby und Maizie, um zusammen auf Tour zu gehen und die Single zu bewerben. Uns wurde mitgeteilt, wir müssten die Tour in Zusammenarbeit mit einer Organisation namens DDU (Deutsche Diskotheken-Unternehmer) abwickeln. Dabei handelte es sich um einen geschäftlichen Zusammenschluss deutscher DJs und Diskothekenbesitzer, mit denen Frank Farian zusammenarbeitete. Das taten die meisten deutschen Pop-Produzenten damals – alle Mitglieder der Organisation öffneten ihre Nachtclubs für neue Gruppen, neue Platten und neue Ideen. Wir performten zu Musik vom Band, da die Clubs nicht viel bezahlten – 400 D-Mark pro Show, was sogar damals fast nichts war. Aber zumindest sahen uns die Leute nicht nur in ein paar Clubs in den Großstädten. Der DDU gehörten auch Discos in jeder Kleinstadt an, was uns eine maximale Publicity garantierte, denn die Clubs waren stets mehr als nur gut gefüllt. Der Nachteil bestand nur darin, dass wir ständig unterwegs waren, und obwohl die Clubbesitzer im Geld schwammen, wurden wir mit einem Hungerlohn abgespeist. Doch unterm Strich konnte die DDU ebenso wichtig für den Erfolg einer neuen Gruppe oder einer neuen Platte sein wie das Airplay im Radio. Farian nahm an, einen guten Sound kreiert zu haben, und wusste, dass ihm eine attraktive Gruppe zur Verfügung stand, um ihn zu präsentieren, weshalb er es kaum abwarten konnte, uns hinaus in die weite Welt zu schicken.
Da standen wir also nun – mitsamt einem Roadmanager, einem Ford Transit sowie unserer Ausrüstung. Unsere Bühnenklamotten steuerten wir selbst bei. Wir wurden auf typische Farian-Art in dieses Projekt hineingehetzt, hatten aber nur zwei Songs, „Daddy Cool“ und „Baby Do You Wanna Bump?“, um damit eine Show zu bestreiten. Die DDU wollte allerdings ein bisschen mehr für ihre 400 Mark Gage. Frank wusste, dass ich als Solo-Act bereits über ein Repertoire verfügte, das sehr gut aufgenommen worden war. Deshalb ergänzten wir die beiden Boney-M.-Songs durch meine Coverversionen und zwei oder drei eigene Titel aus meinem Programm und gingen damit auf die Bühne. Alles lief so hektisch ab, dass wir mein Tonbandgerät mit auf Tour nehmen mussten, weil Frank selbst keins besaß.
Dass wir bei diesen frühen Auftritten auf mein Repertoire zurückgriffen, führte direkt zu einem der größten Hits von Boney M., „Belfast“, der in ganz Europa an die Spitze der Hitparaden schoss. Die Nummer befand sich auf dem Tonband, also performten wir sie. Der Song kam beim Publikum auf diesen Touren extrem gut an, was der Roadmanager auch Frank mitteilte. Frank selbst ließ sich nämlich nur selten auf Tour blicken. Als wir populärer wurden, behielt er den Song als Bestandteil unserer Live-Show. Er kam auch weiterhin gut an, weshalb er ihn schließlich auf dem Album Love for Sale und auch als Single veröffentlichte. Warum auch nicht? Es war einfach ein guter Titel und ich freute mich sehr, dass die beiden Urheber, Drafi Deutscher und Joe Menke, jene Anerkennung ernteten, die ihnen dafür auch zustand. Da ich ihn auch für mein Soloalbum Come Into My Life aufnahm und immer noch live singe, hatte ich auch nie das Gefühl, man hätte ihn mir weggenommen.
Genau das war aber der Fall! Doch ich realisierte das damals nicht, weil ich mir noch immer nicht ganz im Klaren darüber war, ob ich Teil einer Gruppe sein wollte oder nicht, und als ich die deutschen Autobahnen in einem kleinen Ford Transit auf und ab fuhr und in heruntergekommenen Motels übernachtete, befand ich mich bereits auf einer Reise, die die nächsten zehn Jahre meines Lebens dominieren und einen umfassenden Effekt auf alles, was danach noch kommen sollte, haben würde.
Wenn wir uns nicht gerade auf Achse befanden, um „Daddy Cool“ zu bewerben, kümmerten Liz und ich uns um die Aufnahmen zum ersten Boney-M.-Album, das den Titel Take the Heat off Me tragen sollte. Wir begannen mit der Arbeit an den anderen Tracks schon recht früh im Jahr 1976, ziemlich bald, nachdem wir die Promo-Aufgaben rund um „Daddy Cool“ abgeschlossen hatten. Wir nahmen einen Monat lang auf und wohnten in dieser Zeit im Steigenberger Airport Hotel, von wir ins Studio nach Offenbach kutschiert wurden. Da wir noch keine Tantiemen erhielten, zählten wir zu den Produktionskosten, weshalb Frank für alles aufkam: Flüge, Hotelrechnungen, Verköstigung … Wir mussten nur aufkreuzen und singen. Das war schon in Ordnung, es war eben ein Job und kein Urlaub, und so stellten wir uns schnell auf diesen Ablauf ein. Wir begaben uns am Vormittag von unseren Zimmern – damals waren das noch keine Suiten – hinunter ins Foyer, wo ich mir oft noch etwas zu essen holte. Dann gingen wir in die Sauna oder in den Pool, um uns völlig zu entspannen, bevor wir uns startklar für die halbstündige Fahrt ins Studio machten. Am frühen Nachmittag begannen wir mit der Arbeit, die sich in der Regel bis neun oder zehn Uhr abends hinzog. Abhängig davon, wofür Frank uns benötigte, konnten wir aber auch schon mal bis 23 Uhr im Studio bleiben.
Franks Arbeitsweise deckte sich mit jener, auf die er schon bei „Baby Do You Wanna Bump?“ gesetzt hatte. Zuerst wurde die Musik fertiggestellt, dann kamen wir hinzu, um unseren Gesang beizusteuern. Dieser Ansatz war die Blaupause, nach der praktisch alle Boney-M.-Aufnahmen entstanden. Wir kannten die Songtexte bereits, um sie durchzugehen und uns Gedanken dazu zu machen, aber die Musik bekamen wir – einen Song nach dem anderen – erst zu hören, wenn er uns dazuholte. Nachdem wir uns die Musik eingeprägt hatten, ging er alles noch einmal mit uns durch. Er erklärte, wie er sich den Gesang für jeden einzelnen Part vorstellte, wo die Harmonien hingehörten, wie die Stimmen die Melodie tragen sollten und wie der Refrain klingen müsse … Ich fand diese Methode fantastisch, da sie sicherstellte, dass wir nicht unsere Zeit verschwendeten. Da wir erst geholt wurden, wenn alles bereits unter Dach und Fach war, wurden wir sofort mit der vollen Intensität der Vibes des jeweiligen Tracks konfrontiert.
Wenn er uns im Studio versammelte, stand er hinter dem Mischpult und erteilte Anweisungen: „Sing mal diese Harmonie …“ Oder: „Sing