Immer weiter. Lloyd Bradley
zu großen Hits und für die Öffentlichkeit verkörperten Liz und ich den Sound von Boney M. Klugerweise ließ sich Frank daraufhin auf kein Risiko ein, indem er uns ersetzte. Vielleicht hätte sich sonst ja der Sound verändert und die Hits wären ausgeblieben.
Als wir uns auf Boney M. einließen, besaß keiner von uns ein professionelles Management. Persönlich hatte ich bis dahin keinen Bedarf dafür gehabt. Als ich nach Deutschland gekommen war, hatten sich die Agenturen, bei denen ich unter Vertrag stand, um alles gekümmert, und ich hatte ihnen vertraut. Schrittweise lernte ich, die Verträge für meine Auftritte zu verstehen und um was ich mich diesbezüglich kümmern musste. Dabei handelte es sich um ziemlich simple Werkverträge. Nun hatten wir aber jemand, der unsere Interessen vertrat. Frank war der Produzent von Boney M., was nicht dasselbe ist wie ein Manager, und profitierte von der Kreativität der Gruppe. Allerdings war er in einer Position, in der er alles, was uns betraf, entschied – und in der Regel tat er das zu seinem eigenen Vorteil. Daraus ergaben sich mitunter heikle Situationen, und wenn wir einen Manager gehabt hätten, der sich für uns eingesetzt hätte, wäre sicherlich alles ein wenig angenehmer für uns gewesen. Aber so schien alles immer sehr spontan und improvisiert. Hätte ein Plan dahintergesteckt, hätten wir mehr Zeit gehabt, unsere Lage richtig einzuschätzen.
Es lief ja bei Boney M. nicht wie bei den meisten Gruppen ab, deren Mitglieder sich in jungen Jahren kennenlernten und sich dann gemeinsam, als Menschen und als Künstler, entwickelten. Wir wurden von jemandem zusammengestellt, als wir bereits erwachsen waren. Ich war 27, als ich der Gruppe beitrat. Tatsächlich war ich die Älteste und drei oder vier Jahre älter als Liz und Maizie. Alle vier waren wir ausgereifte Persönlichkeiten und vertraten unsere eigenen Meinungen. Jeder verfolgte mit Boney M. auf individuelle Weise eigene Ziele. Oftmals wurden wir über längere Zeiträume regelrecht zusammengepfercht. So viel Zeit miteinander zu verbringen, war nicht gerade einfach.
Manchmal kam es mir so vor, als ob wir so wenig gemeinsam hätten, dass wir uns nur auf der Bühne richtig verstanden. Aber es stimmt nicht, dass wir gar nicht miteinander konnten oder andauernd gestritten hätten. Wir gerieten nie verbal aneinander. Das versuchte ich stets zu vermeiden. Ich kam ja nicht aus einer Straßengang! Manchmal herrschte jedoch eine unbehagliche Atmosphäre, die viel lauter als ein handfester Streit sein konnte. Natürlich hatten wir unsere Differenzen. Aber wir lernten, sie beiseite zu schieben und das Beste aus der Gelegenheit zu machen, die man uns bot. Natürlich gingen wir uns mitunter auch auf die Nerven. Ein paar meiner Eigenschaften irritierten die anderen wohl ebenso, wie ihre Schrullen mich nervten. Aber wir wussten, dass wir uns dieses Leben nun einmal ausgesucht hatten. Wir waren Profis. Vier Schwarze aus der Karibik, die in Deutschland und der restlichen Welt unterwegs waren und sich sehr schnell einen Namen machten. Ich freute mich sehr für uns alle und ich glaube, dass die anderen das anfangs ebenso empfanden.
Selbstverständlich hatten wir auch Spaß. Man muss schon ein ganz besonders betrübter Mensch sein, um die Situationen, die sich uns eröffneten, nicht genießen zu können. Die Fototermine und Video-Dreharbeiten verliefen immer sehr amüsant, da sie uns die Möglichkeit gaben, uns zu entspannen. Wenn uns beim Fotografieren irgendwelche Szenarien vorgeschlagen wurden, erkannten wir darin stets die lustigen Aspekte. Wir wussten zwar, dass das eine ernste Angelegenheit war und es dazugehörte, zu vermitteln, worum es bei Boney M. ging, aber wenn man ein paar dieser Kostüme zum ersten Mal sah, musste man einfach lachen. Als wir an unserem ersten Album arbeiteten und nur mit einer sehr kleinen Truppe auf Tour gingen, machte uns das Reisen großen Spaß. Nichts macht eine Fahrt auf der Autobahn kurzweiliger als ein paar gute Witze. Damals herrschte immer großes Gelächter bei uns im Wagen. Überall – egal, wohin wir fuhren – erwartete uns immer etwas Neues. Deshalb fragten wir uns stets, was wohl als nächstes auf uns zukäme. Wir kamen aus dem Staunen kaum heraus.
Wir hatten alle viel Spaß, aber wenn uns Boney M. nicht zusammengebracht hätte, hätte sich wohl keiner aus der Gruppe mit den anderen Mitgliedern abgegeben. Das ist nicht weiter tragisch oder schrecklich – wir waren eben alle sehr unterschiedliche Charaktere. Auch wenn Liz und ich beide aus Jamaika stammten, trug das nicht viel zur Kameraderie zwischen uns bei. Das spielte vielleicht eine Rolle, wenn wir uns in jamaikanischem Dialekt unterhielten, wenn wir besonders aufgeregt waren oder nicht wollten, dass irgendwer verstand, was wir besprachen. Anfangs fühlte ich mich ihr noch näher als den anderen, da wir beide die Leadsängerinnen waren, und so verbrachten wir viel Zeit zusammen. Wir verstanden uns soweit recht gut, unterhielten uns und lachten viel. Aber das spielte sich fast immer im Rahmen unserer Arbeit ab. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, dass sie sich mir gegenüber distanziert gab und sich eher Maizie als mir anvertraute. In vielerlei Hinsicht war Liz ebenso eigenständig wie ich. Wir verstanden es beide, auf uns aufzupassen. Ich, weil ich mich bereits in jungen Jahren um meine Mutter und meine Schwester hatte kümmern müssen. Liz ging es hingegen mehr darum, voranzukommen – sie dachte einfach mehr an sich selbst. Ich hatte den Eindruck, dass sie mich für niemand hielt, der ihr bei ihrer Karriere sonderlich hilfreich sein könnte.
Maizie war ein echter Scherzkeks und kannte jede Menge Witze. Man konnte es gut in ihrer Gesellschaft aushalten, da sie immer so witzig drauf war. Sie war stets in der Lage, unsere Stimmung aufzuhellen oder die Blase von jemandem, der sich besonders wichtig vorkam, platzen zu lassen. Da sie nicht so viel Gesangsarbeit zu bewältigen hatte wie Liz und ich, konnte sie vielleicht auch besser ausspannen und alles ein bisschen mehr genießen. Allerdings war sie auch ziemlich clever und aufgeweckt. Zwar hatte sie keine überragende Gesangsstimme, aber war sich dessen auch stets bewusst. Allerdings hatte Frank sich mit ihr über die Songtexte unterhalten, woraufhin sie sich die Mühe machte, sich von mir ein paar der Zeilen eines der einfacheren Songs, „Got a Man on My Mind“, beibringen zu lassen. Da wir alle gemeinsam auf der Bühne standen, war ich der Meinung, dass es doch nett wäre, wenn sie ein bisschen mehr in den Gesang involviert wäre. Auf Tour besuchte ich sie in ihrem Zimmer, um die Texte einzustudieren: „Walk around in circles/without peace and little sleep … la, la, la, la, la, la, la …“ Wir machten auch tatsächlich Fortschritte, aber das war auch schon das Ende von Maizies Gesangsstunden.
Maizie besaß auch einen tollen Geschmack, was Klamotten betraf. In der Regel war sie makellos zurechtgemacht. Ich würde gerne behaupten, dass sie sich ein bisschen was bei mir abgeguckt hatte, doch damit würde ich mich wohl ein wenig überschätzen.
Beim Dating beriet ich sie aber tatsächlich: Sie sollte ultra-vorsichtig und diskret sein – und das war sie auch. 1976 konnten die Medien sehr voreingenommen sein, vor allem gegenüber schwarzen Frauen, und besonders in Deutschland.
Und Bobby war einfach Bobby. Er war so, wie er tanzte: Spontan und überlebensgroß – und er gab sich immer die größte Mühe, für Unterhaltung zu sorgen. Ihm fiel fast zu allem etwas Lustiges ein, und manchmal brüllten wir regelrecht vor Lachen. Aber er konnte auch anders: Wenn er etwa verschlief, was nicht selten vorkam, und man an seine Tür klopfte, um ihn zu wecken, bekam man eine Kanonade von Schimpfwörtern zu hören. Ich ließ dann aber auch nichts anbrennen, was er immer amüsant zu finden schien.
Obwohl Frank Bobby beim ersten TV-Gig in den Niederlanden hatte auftreten lassen, hatte er ihn, als er anfing ernsthaft nach Leuten für Boney M. zu suchen, noch vor Liz und mir unter die Lupe genommen und ihm einen Korb gegeben. Ich habe keinen blassen Schimmer wieso. Vielleicht suchte Frank ja nach jemandem, der singen konnte. Vielleicht wollte er auch Mike zurück, der auf dem ersten Foto zu sehen gewesen war. Irgendwann begriff er aber doch, wie viel Bobby beizutragen imstande war und wie gut er mit uns anderen zusammenarbeitete. Also akzeptierte er die Tatsache, dass er einfach nur tanzte.
Zwischen uns gab es nur ganz selten einmal eine einstudierte Choreographie. Wir alle gingen jedes Mal einfach auf die Bühne und stimmten uns erst dann ab. Manchmal besprachen wir Mädels, was wir bei „Ma Baker“ oder „Brown Girl in the Ring“ machen wollten. Das taten wir aber nur für bestimmte Fernsehsendungen. Nicht einmal in solchen Situationen konnte man sich mit Bobby absprechen. Er war ganz auf sich allein gestellt, und wenn er etwas machen wollte, tat er das einfach. Das passte wirklich gut zum Image von Boney M.: Wir Mädels wirkten mitunter sehr kultiviert, während der Typ um uns herum völlig durchdrehte. Wenn irgendetwas, was er auf der Bühne trieb, besonders großen Applaus erntete, oder wenn er selbst damit besonders zufrieden war, baute er es am nächsten Abend gleich wieder ein. Oder auch nicht. Niemand konnte