Immer weiter. Lloyd Bradley

Immer weiter - Lloyd  Bradley


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abstimmen wollten, schließlich waren wir alle gute Tänzerinnen. Es konnte also vorkommen, dass Bobby einer von uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand und wir die Bewegungen des jeweils anderen kopierten. Am nächsten Abend brachte man sich dann erneut bei einem bestimmten Part eines Songs in Stellung, doch Bobby befand sich plötzlich auf der anderen Seite der Bühne. Er hatte sich in irgendetwas anderes, das ihm eingefallen war, so hineingesteigert, dass er die kleine Einlage komplett vergessen hatte. Zudem bestand auch immer die Gefahr, sich beim Tanzen mit Bobby blaue Flecke und Schrammen zu holen, wenn es mit ihm durchging und seine Tanzschritte zu heftig und enthusiastisch ausfielen. Mein Mann und ich suchen, wenn wir uns Wiederholungen unserer TV-Auftritte ansehen, mit Vorliebe nach Stellen, an denen wir fast aus dem Takt geraten, weil wir so überrascht von einer von Bobbys Einlagen sind. Ich denke dann: „Wenn wir schon überrascht waren, wie muss es dann erst auf das Publikum gewirkt haben?“ Er versuchte, auf der Bühne mitzusingen. Da ich am Ende unserer Bühnenaufstellung stand, stellte er sich neben mich. Ich gab ihm den Ton vor, indem ich ihm die Töne, die er singen sollte, vorsummte. Manchmal traf er sie auch, dann wieder nicht – und mitunter gab er sich auch keine Mühe. Aber darin bestand eben Bobbys Beitrag – in einem Gefühl vollkommener Freiheit.

      Das Publikum liebte ihn jedenfalls. Vielleicht war es am einfachsten, sich mit ihm als einzigen Mann in der Gruppe zu identifizieren. Anfangs dachten die Leute wohl auch, er sei dieser ominöse Boney M. – und wir wären bloß seine Begleitsängerinnen. Er wirkte auf der Bühne wie ein Pulverfass, das jederzeit explodieren konnte. Niemand wusste genau, was er geboten bekommen und wann es wirklich zur Sache gehen würde. Er war eine große Bereicherung für die Gruppe, weil wir über eine hingebungsvolle Anhängerschaft verfügten, die sich jede Show ansah. Wir wussten somit, dass sie jedes Mal etwas Neues geboten bekäme.

      Frank fand heraus, wie beliebt Bobby tatsächlich war, als er ihn 1981 feuerte und zu ersetzen versuchte: Das war dann einfach nicht mehr dasselbe und das Publikum, das wir erobert hatten, war alles andere als glücklich darüber. Die Tatsache, dass Frank der sturste Mensch sein konnte, den ich je getroffen habe, und Bobby erst drei Jahre später wieder zurückholte, spricht dafür, dass er irgendwann verstand, wie wichtig Bobby für Boney M. war. Warum er ihn überhaupt in die Wüste geschickt hatte, war allerdings auch verständlich. Ein Teil von Bobbys Spontaneität bestand nämlich darin, dass er nie ein Blatt vor den Mund nahm. Gegenüber niemandem und zu keinem Zeitpunkt. Er hielt sich nie zurück und erteilte Frank ständig Anweisungen, und zwar vor wirklich jedem. Frank muss das total gehasst haben.

      In meinen Augen war Bobby jedoch ein herzensguter Typ mit einer sanften Seite. Trotz seiner Angeberei und seiner Scherze machte er sich wohl immer Sorgen, dass seine Rolle in der Band nicht ausreichend geschätzt würde. Nach meinem Ausstieg aus der Gruppe sah ich ihn nur noch selten. Wir führten ein paar längere Telefonate, bei denen er dann in Tränen ausbrach, was mir sehr an die Nieren ging. Ich glaube nicht, dass er wirklich begriff, was Boney M. eigentlich bedeuteten, als wir unseren Zenit erreichten, und wofür er als Teil dieses Ganzen im Musikbusiness stand. Das ist wirklich jammerschade, aber ich werde ihn immer als sehr natürlichen, großherzigen und witzigen Typen in Erinnerung behalten.

      Zu jener Zeit bei Boney M. dabei zu sein, war einfach ein herrliches Gefühl. Als das zweite Album das erste ablöste und sich die Dinge kontinuierlich steigerten, begriffen wir langsam, dass wir uns wirklich auf einem sehr guten Weg befanden. Mein Gefühl sagte mir, dass ich Teil von etwas Großem war – und niemand würde mich aufhalten können. Ich war schon eine starke Frau gewesen, bevor ich der Gruppe beitrat – noch bevor ich überhaupt nach Deutschland gekommen oder ins Musikgeschäft eingestiegen war. Doch nun verfügte ich über das richtige Vehikel, um das volle Potenzial meiner Stärke auszuschöpfen. Jedes kleine Hindernis, jede kleine Verzögerung war nichts weiter als genau das: klein. Mir ging es, wie es unser Song „Sunny“ vom ersten Album beschreibt: The dark days are gone and the bright days are here …

      Zum ersten Mal in meinem Leben war ich mir absolut sicher, dass ich meine Träume wahr werden lassen könnte.

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      Als die Bee Gees 1976 mit „You Should Be Dancing“ einen großen Hit landeten, schien es, als ob die Leute dies als wortwörtliche Aufforderung verstanden. Schlagartig kam Leben in die Welt der Popmusik. Disco hieß das Gebot der Stunde, und die Leute wollten nicht nur das Tanzbein schwingen, sondern wünschten sich von der Musik auch mehr Begeisterung, Glitzer und Glamour. Sie verlangten nach unwiderstehlichen Songs, dargeboten von attraktiven Menschen in tollen Kostümen. Die Tanzeinlagen auf der Bühne mussten aufregender sein als alles, was ihnen in der Diskothek geboten wurde. Somit war 1977, als wir gerade Take the Heat off Me hinter uns ließen, um uns auf Love for Sale zu konzentrieren, genau die richtige Zeit für Boney M.

      Die Disco-Ära lockerte die Leute auf. Mir kam es so vor, als würde plötzlich jedermann den Hustle tanzen. Ganz Europa sprang heftig auf uns an, weil wir schließlich ganz ihnen gehörten. Damals gab es eine europäische Pop-Industrie mit einem Publikum, das sich nicht ausschließlich auf Amerika oder Großbritannien fokussierte. Obwohl Acts wie Barry White und Candi Stanton auch Hits in Deutschland hatten, akzeptierte sie das Publikum nie als zu ihnen gehörig. Wir hingegen waren Deutsche – da war es ganz egal, dass wir auf drei karibischen Inseln geboren waren. Wir hatten unsere Basis in Deutschland, wurden von einem Deutschen produziert und standen bei einer deutschen Plattenfirma unter Vertrag. Somit handelte es sich bei Boney M. stets um eine deutsche Gruppe. Das spielte in ganz Europa eine wichtige Rolle, die lokalen Radiosender und Musikzeitschriften bevorzugten „heimische“ Acts gegenüber amerikanischen und englischen. Das ist heute leider nicht mehr der Fall, da das Internet dafür sorgt, dass sämtliche Musik global verfügbar ist und jeder ständig Zugang zu allem hat.

      Außerdem hatten wir gegenüber den amerikanischen Disco-Acts den Vorteil, dass wir Pop sangen, während viele von ihnen Soul als Zugang zu Disco wählten. Denn ganz egal, wohin Disco sich letztlich bewegte: Angefangen hatte alles mit Soul. Das klingt so, als würde ich es ein bisschen übergenau mit den unterschiedlichen Genres nehmen. Und jeder, der mich kennt, wird bestätigen, dass ich in Bezug auf Musik ein ziemlicher Nerd bin. Aber es gab kleine Unterschiede zwischen dem, was wir bei Boney M. versuchten, und Disco oder Soul der reinen Lehre, und sie spielten eine wichtige Rolle. Es waren subtile Feinheiten, die den Ausschlag gaben, wenn es darum ging, im Radio gespielt zu werden oder die breite Masse für sich zu gewinnen. Das lag daran, dass wir nicht ganz so intensiv klangen wie ein Großteil der amerikanischen Musik. Frank Farian war in erster Linie ein Pop-Produzent und verstand diese Unterscheidungen total. Er positionierte uns nahe genug an Disco, um die Leute bei Laune zu halten und zum Tanzen zu motivieren, aber unser Pop blieb stets viel zugänglicher, weil sich darin so viele vertraute Töne und Klänge widerspiegelten. Wir nutzten den Windschatten von Acts wie Donna Summer oder Giorgio Moroder, die beide von Deutschland aus arbeiteten, sowie Chic und deren Song „Freak Out“. Also verschmolz alles irgendwie mit unserem Pop-Sound, was zur Folge hatte, dass das Mainstream-Publikum und das Radio sich viel wohler mit uns fühlten. Dasselbe galt auch für Abba. Sie fabrizierten Pop, der auch in der Diskothek funktionierte und die Leute zum Tanzen brachte. Aber trotzdem handelte sich dabei um Pop. Außerdem waren sie eine europäische Gruppe, keine Amerikaner oder Briten. Somit hatten sie auf dem europäischen Festland einen Vorsprung. Natürlich schadete es nicht, dass sie eine fantastische Gruppe mit brillanten Songs waren. Aber egal, wer du nun bist: Am Anfang geht es immer darum, dir erst einmal Gehör zu verschaffen.

      Dass wir eine schwarze Gruppe waren, wirkte sich auch zu unserem Vorteil aus. Zum einen lag es in der Natur der Unterhaltungsbranche, dass die Leute sofort davon ausgingen, wir würden Musik liefern, zu der man tanzen könne. Doch als sie dann hörten, dass wir drei Frauen Pop sangen, weckte das umgehend ihr Interesse, da es so unerwartet kam – vor allem in Deutschland. Es gab fantastische Gruppen wie The Emotions oder die Three Degrees, aber das waren Soul-Gruppen. Hier aber handelte es sich um drei attraktive, glamouröse schwarze Frauen, die Pop sangen. Sobald die Leute in Deutschland realisierten, dass wir keine Amerikaner und keine Soul-Gruppe waren, sahen sie uns an und dachten sich: „Hmmmm, interessant!“ Und sie wollten gerne noch mehr hören. Außerdem stammten wir ja aus Jamaika, Montserrat und Aruba. Wie hatten wir nun unser Fundament ausgerechnet im Pop gefunden?


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