Der Brockopath. Marie Kastner
Der Brockopath
Alarm im Harz
Marie Kastner
XOXO Verlag
Impressum
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Print-ISBN: 978-3-96752-019-4
E-Book-ISBN: 978-3-96752-519-9
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Buchsatz: Alfons Th. Seeboth
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Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten rund um diesen Roman sind, abgesehen freilich von real existierenden Ortschaften, frei erfunden. Dasselbe gilt bezüglich der beschriebenen Vorgänge bei Behörden sowie anderen Institutionen oder Firmen. Eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Menschen sowie deren Vereinigungen sind von der Autorin nicht beabsichtigt und wären daher rein zufällig.
Selbstverständlich gilt letzteres nicht für ›Öffentliche Personen‹ aus der Politik.
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Für meinen Sohn Patrick
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TEUFELSWERK
1. Mai 2016
Die Spuren der vergangenen Nacht waren noch deutlich sichtbar, als der vierköpfige Reinigungstrupp gegen acht Uhr eintraf. Obwohl die alljährliche Walpurgisfeier diesmal buchstäblich ins Wasser gefallen war, lagen auf dem Hochplateau des Brockens, im Volksmund auch Blocksberg genannt, jede Menge leere Dosen, Pappbecher und sonstiger Unrat herum.
Etliche Eingefleischte hatten sich den Hexensabbat trotz Regen und Kälte nicht nehmen lassen. Bevor die ersten Wanderer ankamen, musste sämtlicher Müll beseitigt und abtransportiert werden. Es dauerte nur noch zwei Stunden bis zum Eintreffen eines Triebwagens der Brockenbahn, der sowohl die Bauhofarbeiter als auch die gefüllten Plastiksäcke in einer Sonderfahrt zu Tal transportieren sollte. Die Touristen erwarteten unbefleckten Naturgenuss. Denen konnte es egal sein, dass keine öffentliche Straße zum Gipfel hinaufführte, sich daher jeglicher Transport daher in logistischer Hinsicht schwierig gestaltete.
Kühler Nieselregen und böiger Wind sorgten dafür, dass die Männer des städtischen Bauhofs von Wernigerode die Kapuzen ihrer Allwetterjacken tiefer in die Stirn zogen. Heute war Maifeiertag und da würden traditionsgemäß viele Leute auf den Brocken pilgern, allesamt in der Hoffnung auf eine gute Fernsicht, viele davon in unpassender Kleidung. Während unten schon der Frühling einzog, herrschte hier oben ein unwirtliches Klima wie in Island. Zu Deutsch: Es war saukalt.
Daniel, der Wirt der Brockenrestauration, freute sich auf den umsatzstärksten Tag des Jahres und auch die Betreiber der Harzer Schmalspurbahn würden heuer sicher wieder auf ihre Kosten kommen, Wetter hin oder her. Der historische Traditionszug mit Dampflok sollte in Wernigerode um 10.45 Uhr abfahren und um 13 Uhr am Brockenbahnhof eintreffen.
»Schau dir die Sauerei an! Da sind wieder einige der besoffenen Idioten durch den Brockengarten getrampelt. Wieso werden Absperrungen einfach ignoriert? Die Leute scheren sich offenbar einen Dreck darum, dass die Bergkuppe zum Naturschutzgebiet Hochharz gehört und hier schon seit Jahren mit viel Idealismus und Fleiß daran gearbeitet wird, zumindest einen Teil zu renaturieren«, schimpfte Sven Ackerwald, ein neunundzwanzigjähriger Blondschopf, der als sehr naturverbunden gelten konnte. Angewidert fischte er Bierdosen und zerfetztes Plastik zwischen zwei Granitfelsen hervor.
»Wenn es nach mir ginge, würde ich diese albernen Hexenfeiern zukünftig verbieten!«
»Es geht aber nicht nach dir«, grinste sein älterer Kollege Erhardt. »Meine älteste Tochter war gestern Nacht auch hier oben, sie genießt das immer sehr. Manche Menschen brauchen solche mystisch angehauchten Partys eben, um vorübergehend ihr ödes Leben zu bereichern. Im Fall meiner Mandy ist es ihr langweiliger, schlecht bezahlter Job am Fließband.«
»Und der lässt sich leichter ertragen, wenn man sich eine Warzennase anklebt, in albernen Klamotten herumrennt und einen Reisigbesen schwingt? Tut mir leid, aber dafür habe ich keinen Sinn. Mir sind Kuhschelle und Habichtskraut jedenfalls wichtiger als flüchtige Vergnügungen«, stänkerte Sven und bückte sich nach einer leeren Sektflasche der Edelmarke Rotkäppchen. Manche der Errungenschaften aus der ehemaligen DDR hatten die Wende seltsamerweise überdauert.
Der Kollege erwiderte nichts mehr, wandte sein wettergegerbtes Gesicht wieder den Unrat-Stillleben auf dem matschigen Boden zu, während die anderen beiden Arbeiter, hundert Meter entfernt, dasselbe taten.
Im Grunde ging es in der Walpurgisnacht vorrangig darum, ausgelassen mit viel Alkohol zu feiern, die durch Überlieferungen inspirierten Traditionen hochzuhalten – und das in geselliger Runde. Ein Einzelgänger wie Sven würde das nie kapieren. Der lebte in seinem eigenen Universum.
Auch Sven arbeitete konzentriert weiter. Der Regen hatte sich inzwischen doch einen Weg ins Innere seiner Jacke gebahnt, ihn fröstelte trotz seines dicken Pullovers. Laut dem Thermometer am Hexenkiosk hatte die Außentemperatur mittlerweile wieder die Null-Grad-Grenze überstiegen, gefühlt herrschten aber immer noch Minusgrade. Vermutlich lag das in erster Linie an der klammen Feuchtigkeit, die sich wie ein dünner Eisfilm über das Gesicht legte.
Dünne, zerfaserte Nebelschleier verbreiteten eine unheimliche Atmosphäre, erschwerten teilweise die Sicht auf den von großen und kleinen Steinen übersäten Boden. Man musste schon genau hinsehen, um jeden Zigarettenstummel zu entdecken. Die Männer arbeiteten lieber schweigend weiter, die Zeit drängte. Während die Natur Anfang Mai anderswo längst grünte und sprießte, schien hier tiefster Winter zu herrschen. An schattigen Stellen hielten sich immer noch hartnäckig verkrustete Schneereste,