Macht. Klaus-Jürgen Bruder
rechnen, Gehorsam gegenüber autoritären Anweisungen zu zeigen, auch dann, wenn diese in Widerspruch zu den Forderungen des eigenen Gewissens stehen.
Die entscheidenden gesellschaftlichen Vermittler von Meinungen sind die Medien. Und oft sind sie sogar die Produzenten von Meinungen. Die Medien entfalten auch die Macht der Meinung aufs Höchste, geben der Meinung die größte Macht: allein dadurch, dass sie ihr die größte Verbreitung verschaffen. Dadurch erreicht die Meinung mehr als nur den einen (oder vielleicht das anwesende Auditorium), Sprecher und Angesprochene sind nicht darauf angewiesen, einander unmittelbar gegenüberzutreten, sondern sind – imaginär – miteinander verbunden: vermittelt durch die Medien (sic!).
Die Medien »organisier[en] und beherrsch[en] überall die öffentliche Kundgebung, die Zeugenschaft im öffentlichen Raum« (Derrida 1993/95, S. 90 f.).
Dank der »Vermittlung der Medien« werden die unterschiedlichen Diskurse der politischen Klasse, der massenmedialen Kultur und der akademischen Kultur miteinander verschmolzen. […] Sie kommunizieren und zielen in jedem Augenblick auf den Punkt der größten Kraft hin, um die politisch-ökonomische Hegemonie und den Imperialismus zu sichern. (ebd., S. 91)
Derrida nennt diesen Diskurs einen »herrschsüchtigen« (ebd. S. 90 f.).
Ein Diskurs schließt mehr Teilnehmer ein als die Dyade, ist nicht an deren Anwesenheit gebunden, verselbstständigt sich sozusagen gegenüber den Teilnehmenden. Diskurse sind als Ensembles definiert, die festlegen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt, von und/oder für eine(r) bestimmte(n) Gruppe, über einen Gegenstand gesagt werden kann (s. Foucault, 1970/1974). Dadurch üben sie bereits Macht aus.
Es ist dies eine Macht, der man die Macht nicht ansieht. Sie wirkt nicht – oder nur im Grenzfall – durch Drohung, Befehl oder Vorschrift, sondern sie wirkt durch »Überzeugung«, durch Behauptung, Belehrung, durch »Zeigen« – durch die Register des Redens – und des Verschweigens, Versteckens, einfach dadurch, dass man in den Diskurs einsteigt und sich gemäß seiner Regeln in diesem Diskurs bewegt (vgl. Foucault 1982/1987, S. 255).
Die überwältigende Bedeutung dieser Macht des Diskurses können wir in der gegenwärtigen »Pandemie-Inszenierung« beobachten. Es genügt die bloße Behauptung einer alle und alles erdrückenden Gefahr, um eine ganze Bevölkerung in reflexhafte Unterwerfung unter unsinnigste Anweisungen zu bewegen.
Dieser Sachverhalt ist mit dem Begriff der »Inszenierung« gemeint. So wurde er von dem Politikwissenschaftler Thomas Meyer aus der Welt des Theaters in die der Politik übertragen: »Die Inszenierung des Politischen« (2000). Die Inszenierung ist es, von der die Zuschauer beeindruckt und zugleich beeinflußt, gelenkt werden. Damit wird die Existenz einer Realität – also hier eines Virus – außerhalb und unabhängig von der Inszenierung nicht bestritten. Es ist tatsächlich die Macht des Diskurses und nicht die Macht eines von diesem unabhängigen, »natürlichen« Ereignisses. Der Diskurs der Macht hat das Corona-Virus okkupiert – nicht umgekehrt (Bruder 2020 a). Der Diskurs kann eine Krise, durchaus eine ökonomische Krise erzeugen, indem er Anordnungen setzt, die die Ökonomie zum Zusammenbruch führen, wie wir gesehen haben.
All das bewirkt der Diskurs allerdings nur in den Händen der Macht. Es waren die Mächtigen, die Inhaber der Machtpositionen der Gesellschaft, in Politik und Medien, die die Macht des Diskurses einsetzen konnten, um diese Wirkung zu erzielen. Der Diskurs allein, in den Händen kritischer Intellektueller und »alternativer« Medien, konnte das nicht. Kein einziges Argument von dieser Seite, kein noch so gründlich differenzierter Nachweis, kein noch so wissenschaftlicher Beleg konnte die Wirkung des Diskurses in den Händen der Macht brechen oder auch nur schwächen.
Zwar sind es bekanntlich die Meinungen der Herrschenden, die in einer Gesellschaft die herrschenden Meinungen sind. Ihre Macht gewinnen sie aber erst dadurch, dass die Masse der Beherrschten sie als ihre Meinung übernimmt, ihnen gemäß handelt. Damit das geschieht, muss es ihr etwas bedeuten, bloße Wiederholung der Verkündigung der Meinung genügt nicht. Sie muss sich etwas davon versprechen, die Meinung zu vertreten, etwas, was wichtig genug ist, darauf einzugehen, eine Begründung für die Übernahme der Meinung.
Diese Begründung zu liefern, ist die Aufgabe des Diskurses der Macht, der damit die Zustimmung der Bevölkerung zu den Meinungen der Herrschenden organisiert: »manufactoring consent« (Chomsky 2002).
Die Begründungen müssen das Subjekt, den Adressaten des Diskurses der Macht »überzeugen«, der Diskurs der Macht muss das Subjekt berücksichtigen.
Die Möglichkeit dazu liegt in der Struktur der Sprache, die dem Sprechen die Möglichkeit des Ver-Sprechens, der »Doppelzüngigkeit« bietet, etwas anderes zu sagen, als man meint, und ohne feste Beziehung zum in Rede stehenden Handeln, »verstecken durch zeigen« (Bourdieu (1996). Bezeichnetes und Bezeichnendes sind nicht miteinander »verlötet«, sondern miteinander »frei flottierend«.
Durch dieses Instrument, das ihr die Sprache zur Verfügung stellt, kann die Macht »eine Weise des Einwirkens auf ein/mehrere Subjekte« sein, die wirkt, indem sie »anstachelt«, »eingibt«, »ablenkt«.
[Nur] im Grenzfall nötigt oder verhindert sie vollständig; aber stets sofern die Subjekte handeln oder zum Handeln fähig sind. Stets bleiben die Subjekte ihrer Einwirkung als solche anerkannt. (Foucault 1982/1987, S. 255)
Dies macht die Sprache zum wirksamsten Mittel der Herrschaftsausübung – der »soften«, »smarten« Gewalt, die das Subjekt seines Subjektcharakters nicht beraubt, sondern es als solches anspricht, affirmiert – im Unterschied zur handfesten, gewalttätigen Gewalt: Polizei, Militär oder ökonomische Machtausübung. Die Macht der »Überredung«, der Überzeugung, der Einsicht – der Zuhörer, Zuschauer muss dieser Meinung erst zur Macht verhelfen, zur Macht über ihn: Er muss die Meinung annehmen, übernehmen, sich zu eigen machen, zu seiner eigenen Meinung, er muss zumindest so handeln, als ob er sie zu seiner eigenen Meinung gemacht hätte.
Insofern ist Sprache beziehungsweise Sprechen nicht nur Begleitung des Handelns, als Kommentar oder Versprechen, sondern zugleich immer auch selbst Handeln, »Ansage«, Befehl, die Möglichkeit, eine Situation »performativ« herzustellen: »Die Sitzung ist eröffnet.« Für Deleuze & Guattari ist die Sprache »dazu da, zu gehorchen und Gehorsam zu verschaffen«, der Befehl (die »Parole«, das Kennwort) ist die »Grundeinheit der Sprache« (Dies. 1980, S. 106 f.).
Für die Übernahme der Parolen des Diskurses der Macht ist es entscheidend, dass die Parolen als eigene ausgegeben werden, um gehorchen zu können. Wir müssen also das Gehorchen verleugnen: Wir tun so, als folgten wir dem eigenen Befehl. Darin realisiert sich das Subjekt als Herr seines eigenen Sprechens und Handelns.
Die bereits im Dialog mögliche Differenz zwischen Versprechen und Erfüllung wird im Diskurs der Macht zum Gegensatz gesteigert, zur Verkehrung ins Gegenteil: Verkehrung von Krieg und Frieden, Verkehrung von Ursache und Wirkung, Aktion und Reaktion. Beispiele: die Bezeichnungen »Sicherheits-Konferenz«, »Verteidigungs-Ministerium«, »Innere Sicherheit«, »Verantwortung für Deutschland« usw.
Im »Corona-Jahr« 2020 erreichte diese Verkehrung ihren bisherigen Höhepunkt: Die zum Schutz der Bevölkerung erklärten Maßnahmen beinhalteten die Außerkraftsetzung fast sämtlicher Grundrechte, wie der allgemeinen Handlungsfreiheit, der Religionsfreiheit, der Freiheit der Lehre, der Kunstfreiheit, der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, der Berufsfreiheit, der Eigentumsfreiheit, des Rechts der Unverletzlichkeit der Wohnung (s. Paech 2021). Die dringend erforderliche Kommunikation der Bürger konnte nur noch über das Netz erfolgen, in Vollendung des Orwellschen Horrorszenarios: die Überwachung selbst der Organisation des Protests gegen die Überwachung. Und es gab Meinungsumfragen, die behaupten konnten, dass sogar 90 Prozent der Bevölkerung die Maßnahmen befürwortet haben (zit. n. Paech 2020): Man vertraute der Regierung, dass sie sie aus Sorge um ihr Wohlergehen entmündigt.
Was war das? Ein großes Experiment in Gehorsamkeit:
Eine arglose, nichts ahnende Bevölkerung wird ohne jede Vorbereitung »über Nacht« dazu gebracht, alles zu vergessen, was ihr bisher wichtig gewesen war: alle Ziele, alle Bewegungen, alle Geschäfte, alle Kontakte, um sich am Morgen die Augen zu reiben. So schnell