Macht. Klaus-Jürgen Bruder

Macht - Klaus-Jürgen Bruder


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hierbei in Gang gesetzt werden.

      Einfluss auf die Meinung hat spontan eigentlich alles Erleben, das tägliche Leben der Arbeit, der Familie, gelebte kulturelle Gewohnheiten und Werte und so weiter. Oder wie Marx das sagt:

      Die Produktion der Ideen, Vorstellungen, des Bewusstseins ist zunächst unmittelbar verflochten in die materielle Tätigkeit und in den materiellen Verkehr der Menschen, Sprache des wirklichen Lebens. Das Vorstellen, Denken, der geistige Verkehr der Menschen erscheinen hier noch als direkter Ausfluss ihres materiellen Verhaltens […]. […] Das Bewusstsein kann nie etwas Andres sein als das bewusste Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozess. (Marx, 1845/1962, S. 26)

      Doch bleibt die Frage, wie äußere Ereignisse, Erlebnisse auf innere Kognitionen und Konflikte treffen und sich so daraus eine Meinung, eventuell dann auch ein mehr oder weniger zusammenhängendes Set von Meinungen, eine Haltung, ein »Lebensstil« oder »Weltanschauung« bildet. Hier spielen Vorerfahrungen, das soziale Umfeld, Situationen und Kontexte, gesellschaftliche Erwartungen, Normvorstellungen und Zwänge ebenso eine gewichtige Rolle wie innere Erlebnisse, Kognitionen und Emotionen.

      Entscheidend aber ist, dass alle äußeren Einflüsse – Ereignisse, Berichte, Meinungen – auf innere, bereits vorhandene, zu Kognitionen und Emotionen verarbeitete Ereignisse treffen und dass deshalb ein Prozess der Verarbeitung stattfinden muss. Wir wählen bereits in der Wahrnehmung aus, interpretieren und ordnen dies ein. Wir bilden ein Deutungsmuster aus unseren Wahrnehmungen oder aus den Erzählungen anderer.

      Der ehemalige Freudschüler Alfred Adler und dessen Schüler Manès Sperber haben sich dazu mehrfach geäußert: Meinungen sind Deutungen von Realität, die gespeist sind von Erlebnissen bereits in der frühen Kindheit, die als Erfahrungen zum Bezugssystem für alle weiteren Wahrnehmungen von Ereignissen werden. Dieses Bezugssystem dirigiert alle Wahrnehmungen und »verzerrt« deren Inhalte. Es werden Erfahrungen ausgeschlossen, die diesem Bezugssystem widersprechen oder sie werden diesem entsprechend verändert. Der sich daraus herausbildende »Lebensstil« als Verhaltens- und Wahrnehmungsschema dient der Orientierung des Subjekts, seiner Sicherheit und damit auch seines Selbstwertgefühls. Er »schützt« vor überwältigenden, korrigierenden, neuen Erfahrungen – was die Starre, das Dogmatische daran ausmachen kann. Wahrnehmungen und Kognitionen, Erwartungen und Fantasien sind somit nicht die Widerspiegelung der Realität, sondern – mehr oder weniger – kreative Erfindungen, Theorien über die Realität, die im sozialen Zusammenhang entstehen (vgl. Bruder-Bezzel 1999, S. 196 ff.; ebd. 2019, S. 221 ff.).

      Wörtlich heißt es bei Adler beispielsweise:

      Schon die einfache Wahrnehmung ist nicht objektiver Eindruck oder nur Erlebnis, sondern eine schöpferische Leistung von Vor- und Hintergedanken […].« (Adler 1912, zitiert nach Bruder-Bezzel 2004, S. 59).

      Bei dieser schöpferischen Wahrnehmung und Meinungsbildung spielt eine unbewusste Zielsetzung stets eine zentrale Rolle. So ist das Individuum, die individuelle Ausstattung, für Adler daher Produkt und Produzent seiner selbst. »Das Individuum ist mithin sowohl Bild wie Künstler. Es ist der Künstler seiner eigenen Persönlichkeit.« (Adler 1930, zitiert nach Bruder-Bezzel 2004, S. 65)

      In den Freudianischen psychoanalytischen Ansätzen spielen die unbewussten und subliminalen Prozesse der Erregung von Trieben und Bedürfnissen, das Wirken der »Abwehrmechanismen« als Verarbeitungsmechanismen, eine große Rolle bei der Bildung von Meinungen. Abwehrmechanismen wie Verdrängung, Verleugnung, Reaktionsbildung, Identifikation (mit dem Aggressor, den Eltern, dem Führer), Verschiebung, Projektion, Rationalisierung et cetera schützen das Ich vor bewusster Wahrnehmung von Unlust, seelischem Schmerz, Schuld, Scham, Angst und tragen so zur Wiederherstellung des »narzisstischen Gleichgewichts« bei.

      Zugleich spielen »Anpassungsmechanismen« (im Sinne des Psychoanalytikers Paul Parin, 1977) als Form der Bewältigung von Anforderungen der sozialen Umwelt eine ebenso wichtige Rolle. Abwehr- und Anpassungsmechanismen fördern also eine bestimmte Richtung der Meinungsbildung im Interesse der Aufrechterhaltung des seelischen Gleichgewichts.

      Auch in anderen psychologischen Theorien bzw. Schulen geht es um die Verarbeitung von Realitäten bzw. der Berichte über Realitäten und Ereignisse, vor dem Hintergrund von »Erfahrungen« aus der individuellen »Lerngeschichte«.

      Die behavioristische Lerntheorie betont die Rolle des Konditionierens in ihren verschiedenen Formen durch »reinforcement«, Belohnung und Bestrafung. »Gelernt« und konditioniert werden Meinungen, Bedürfnisse, Affekte.

      In der klassischen Lernpsychologie wegweisend war die gelernte Angst, die experimentelle »Furchtkonditionierung« des »Little Albert« von Watson im Jahre 1920: Der elf Monate alte Albert sollte (durch ein lautes Geräusch) eine Furchtreaktion gegenüber einer weißen Ratte ausbilden – mit der er vorher wochenlang gespielt hatte (vgl. Watson 1930/1968, S. 170 ff.).

      Eine andere, ebenfalls zu den Anfängen gehörende Lerntheorie, hebt, mit Miller & Dollard und mit Albert Bandura, das »Lernen am Modell«, das »Imitationslernen« oder »Soziales Lernen« hervor. Diesen und anderen Lerntheorien folgten in der hundertjährigen Geschichte viele weitere.

      All diese Prozesse geschehen blitzschnell, völlig unbewusst, rationalen Argumenten keineswegs mehr zugänglich, auch wenn, im Sinne von »Rationalisieren« (als Abwehrmechanismus), viele Argumente vorgebracht werden.

      Eine von außen angebotene Meinung wird danach am ehesten übernommen, wenn sie das innere Gleichgewicht wieder herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten verspricht. Das Versprechen spielt eine wichtige Rolle. Diese Rolle wird verstärkt, wenn dem Versprechen eine Destabilisierung des inneren Gleichgewichts vorausgegangen ist. Dazu gehört das Evozieren verschiedener Emotionen und Affekte, so in Konsumbereichen, aber auch im politischen Feld.

      Von den Affekten ist es vor allem Angst, aber auch Scham – und Schuldgefühle, Weckung und Steigerung von Aggression, oder – im Politischen – auch von patriotischem Stolz und Volksgefühl, die zur Meinungsbildung eingesetzt werden.

      Als Herrschaftsmittel, als Mittel der Gehorsamsherstellung, wird besonders gern Angst, vor Gefahren aller Art, Katastrophen, Krankheiten, Tod, eingesetzt, im Politischen vor allem auch Angst vor Fremden, Flüchtlingen, Terroranschlägen, vor angeblichen Feinden, in kalten und heißen Kriegen. So schreibt Mausfeld:

      Aus machttechnischer Sicht haben Ängste den Vorteil, dass sie leicht zu erzeugen sind und sehr viel tiefergehende psychische Auswirkungen […] haben als beispielsweise Meinungen […]. Durch eine systematische Erzeugung geeigneter Ängste lassen sich Denken und Handeln sehr viel wirksamer steuern als mit traditionellen Techniken eines Meinungsmanagements. (Mausfeld 2019, S.11)

      Diese induzierte Angst setzt verschiedene psychologische Prozesse in Gang: »Angst essen Seele auf« (wie der Titel eines Films von Rainer Fassbinder aus dem Jahr 1974 heißt). Angst fördert Unsicherheit, Gefühle von Ohnmacht, Bedrohung, vermindert und blockiert die Fähigkeit zu denken, führt zur Regression auf einen früheren Zustand des Bewusstseins, zu einer Zeit, in dem das Kind, abhängig von den Eltern, zum Gehorsam ihnen gegenüber erzogen worden war.

      Angst ist das relativ sichere Mittel zur Bereitschaft zum Gehorsam, zur Unterwerfung unter die Forderungen, die dann sogar als Versprechen von Sicherheit wahrgenommen werden – wie sich das auch bei Corona in so erschreckender Weise zeigte. Auf die induzierte Angst vor Feinden wird manipulativ hochgepeitschte Aggression und Kampfeslust aufgebaut, die wiederum kompensatorische Glücks- und Omnipotenzgefühle hervorrufen können, während Scham- und Schuldgefühle destabilisierend wirken.

      Die Voraussetzung, dass Angstmachen als Herrschaftsmittel funktioniert – immer gleichwohl eingedenkend, dass dies nicht in jedem Fall funktioniert, weil sich Widerstandskräfte durch entsprechend andere Vorerfahrungen dagegen stemmen –, ist das Vorhandensein einer Herrschaftsstruktur, wie sie in der Arbeit, in Schulen, Familien, Bürokratien et cetera vorliegt und von großen Teilen der Bevölkerung auch anerkannt wird. Das Fehlen von egalitären Strukturen macht also Angstmachen wirkungsvoll als Herrschaftsmittel, als Mittel der Affirmation, die zugleich diese autoritären Strukturen aufrechterhält.

      Die Ergebnisse der Corona-Politik zeigen,


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