Macht. Klaus-Jürgen Bruder
und Datenprofile zum Zweck der Kontrolle und Manipulation der Konsumenten erstellt.
Vor dem Hintergrund dieser in Familie, Schule, Arbeit und Freizeit aufeinander aufbauenden Sphären von Meinungsbildung, erheben sich die Manufakturen der Medien wie Monster, die alles zurechtschneiden, zusammenpressen, synthetisieren, seines lebendigen Inhalts berauben und mit blendendem Glanz lackieren.
Ein Kapitel über das Funktionieren und die Wirkung des Internets eröffnet die Analysen ausgewählter Phänomene der Manipulation von Information – nicht nur – durch die Medien: Wolfgang Romey zeigt, wie mit dem Internet als Meinungsbildner Wahlkampf betrieben wird und die Menschen mit Zensur und Überwachung überzogen werden, beispielsweise durch das Verbergen von Informationen und das Löschen von unliebsamen Nachrichten, er zeigt die Bedeutung der Vernetzung der Rechner auf, die schließlich im »Internet der Dinge« kulminiert.
Da die manipulative Industrie stark vernetzt ist, sind gleichförmige Nachrichten durchsetzbar, worauf Georg Rammer hinweist. Die mit Verschweigen und Lügen manipulativ hergestellte öffentliche Meinung führt dazu, dass die Mehrheit der Bevölkerung aus der Teilhabe ausgeschlossen bleibt, sodass die Machtelite ihre Deutungshoheit und damit ihre Politik gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen und legitimieren kann.
Moshe Zuckermann analysiert die Orwellsche Umkehrung der Bedeutung von Begriffen am Beispiel des Holocaust-Diskurses, sowohl in Deutschland als auch in Israel, als Möglichkeit, dass das nahende Unglück sich unauffällig heranschleicht, statt mit einem heftigen Paukenschlag zu beginnen, sodass es den Schein von Routine und Normalität wahrt, und man es ignorant hinnehmen kann. Man sieht allenthalben autoritär-diktatorische Tendenzen um sich greifen; man registriert, wie die letzten Reste von Demokratie zuschanden kommen; man gewahrt, wie das bisschen an vermeintlicher Zivilgesellschaft, rapide verrottet und verkommt.
Matthias Bröckers, der hierbei auf seine nun zwanzigjährige Beschäftigung mit diesen Themen zurückgreifen kann, schreibt über die inflationäre Verwendung des denunziatorischen Kampfbegriffs »Verschwörungstheorie«. Anlässlich des Mordes an John F. Kennedy 1963 als Kampfbegriff gegen Kritiker der offiziellen Version des Geschehens vom CIA eingeführt, seit dem Elften September erneut inflationär eingesetzt, wird dieser Begriff inzwischen gegen die Versuche gerichtet, die Verschwörungspraxis der regierenden Elite aufzudecken. Am Beispiel von Julian Assange und Edward Snowden kann man sehen, welche gnadenlose Inquisition eingesetzt wird, wie Hannes Sies am Beispiel des Umgangs der Mainstream-Medien mit der skandalösen Verleumdung, Verfolgung und Gefangennahme von Julian Assange zeigt; also wie einer der berühmtesten investigativen Journalisten ausgeschaltet werden kann und welche Rolle die Medien dabei spielen. Wenn vereinzelt überhaupt darüber berichtet wird, dann so, dass die Perspektive der Verfolger übernommen wird, mit Fake News, Unterstellungen, falschen Beschuldigungen, das Bild eines Verbrechers gezeigt wird, der zu Recht keinerlei Hilfe und Unterstützung verdient.
Über die Rolle und Bedeutung von Bildern bei der Meinungsmanipulation schreibt Daniela Lobmueh anhand von visuellen Propagandaschlachten in drei Beispielen, die zumindest indirekt mit dem transatlantischen Kampf zwischen dem Westen und Russland zusammenhängen: Es geht um den Abschuss der malaysischen Passagiermaschine zur Zeit der Maidan-Konflikte, um den Krieg in Syrien und um Venezuela. Bilder werden als angebliche Beweismittel eingesetzt, die falsche Assoziationen wecken und Zusammenhänge verschleiern.
Kurt Gritsch zeigt am Beispiel des ersten Angriffskrieges der Bundesrepublik, dem Krieg der NATO gegen Jugoslawien 1999, dem die Mehrheit der Bevölkerung skeptisch bis ablehnend gegenüberstand, mit welchen »Argumenten« diese Teilnahme begründet wurde: Aus der deutschen Vergangenheit erwachse die Verantwortung, global als geläuterte Ordnungsmacht aufzutreten. Aus »Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz!« wurde die Rechtfertigung eines Angriffs.
Stefan Korinth analysiert den durchgängigen Gleichklang der Berichterstattung in den führenden Medien zum Maidan-Konflikt 2013/2014 in der Ukraine, in dem sich das transatlantische Narrativ »Westen gegen Russland« ausdrückt und durchsetzt. Daher folgt die Berichterstattung der Maxime, den prowestlichen Protest zu unterstützen, entsprechend den Verlautbarungen der Regierung.
Wolf Wetzel zeigt am Beispiel des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019, wie die mediale Vermittlung als Desinformation fungiert, mit der sowohl die Zusammenhänge eines »Einzeltäters« zum neonazistischen Untergrund als auch die Rolle der Ermittlungsbehörden im Dunkeln bleiben.
An den hier ausgewählten Facetten sehen wir die Macht der Meinungsbildung, die Macht, die durch Meinung wirkt, gerade auch wenn, wie in vielen der Beiträgen, ein Blick auf die aktuelle Corona-Politik geworfen wird. Aber gerade hier sehen wir auch, wie schnell die Grenze überschritten werden kann, jenseits deren die Macht sich nicht mehr auf den Diskurs, das bloße Reden beschränkt, wie unvermittelt die Gewalt ins Spiel kommt, wie die Begründung (auch eine Form des Diskurses) der Anweisungen der Macht sich als Befehl outet, dessen Nichtbefolgung Konsequenzen zeitigt, die unsanft ins Jenseits des Diskurses schleudern.
Almuth Bruder-Bezzel, Klaus-Jürgen Bruder
Berlin, im März 2021
Literatur
Bruder, Klaus-Jürgen Bruder (2013). Massenloyalität. Zur Aktualität der Sozialpsychologie Peter Brückners. In: Sozialpsychologie des Kapitalismus. Zur Aktualität Peter Brückners – heute. Hg. v. Klaus-Jürgen Bruder, Christoph Bialluch, Benjamin Lemke. Giessen: Psychosozial-Verlag, S. 13–31.
Foucault, Michel (1982): Das Subjekt und die Macht. In Ders: Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Hg. v. Hubert L. Dreyfus & Paul Rabinow. Berlin: Athenäum, 241–261.
Schwab, Klaus & Malleret, Thierry (2020): COVID-19: Der Grosse Umbruch. Köln/Genf: Forum Publishing.
Almuth Bruder-Bezzel
Einleitung: Propaganda und Macht
Meinung ist Macht
Wenn ich jemanden dazu bringe, meine Meinung zu Fragen und Themen aller Art zu übernehmen oder einen Konsumenten zu einem Produkt des Marktes zu überzeugen, wenn ich Meinung herstellen oder verändern kann, dann habe ich Macht. Das entspricht auch in etwa der Definition von Macht von Max Weber, bei dem Macht jede Chance bedeutet, den eigenen Willen durchzusetzen und so auf das Denken und Verhalten einzuwirken.
Für die Meinungsbildung in der Gesellschaft insgesamt, also der sog. »öffentlichen Meinung« ist allerdings für Karl Marx klar, dass in der (kapitalistischen) Klassengesellschaft »die Gedanken der herrschenden Klasse […] die herrschenden Gedanken« sind. Und weiter:
[Das heißt] die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht. Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion, so dass ihr damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mittel zur geistigen Produktion abgehen, unterworfen sind. (Marx 1845/1962, S.46)
Marx sagt damit, welche Meinung in der Gesellschaft die herrschende Meinung wird, er sagt aber (noch) nichts darüber, wie diese Meinung in der Bevölkerung hergestellt wird. Das ist unsere Frage.
Diese Meinungsherstellung geschieht in einer Gesellschaft auf vielen verschiedenen Wegen, über diverse öffentliche Medien, über institutionelle Sozialisationsagenturen aller Art vom Kindergarten zur Schule und Universität, Familie, Kirche, Justiz, über Arbeitsprozesse, Konsum, Kulturereignisse oder auch direkt über Werbeagenturen, Think Tanks, Lobbygruppen.
Brecht setzt in seinem Turandot den Tui ein, einen Intellektuellen, der die kaiserliche Meinung verbreitet oder, in kleinerem Format als Medienmacher, Meinungen und Ideologien als Ware verkauft. Durch diese »Tuis« werden über Sprache und Bild die Gedanken der Herrschenden zu herrschenden Gedanken. Sie wirken als Meinungsführer und prägen die öffentliche Meinung.
Es geht um kürzere Beeinflussungen in einzelnen Fragen oder um längere Sozialisationsprozesse, das heißt Prozesse,