Missing you, Baby!. Nicole Stranzl

Missing you, Baby! - Nicole Stranzl


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      Scheinbar gelangweilt saß die Frau in Rot auf der Parkbank und blätterte durch die Zeitung ohne ein einziges Wort darin zu lesen. Die modernen Sonnenbrillen mit ihren riesigen Gläsern halfen zu verbergen, worauf ihr Fokus in Wahrheit lag. Verloren lief Toms Frau vor der Stationstür auf und ab und wirkte dabei wie ein streunendes Kätzchen, das verzweifelt darauf hofft, in die warme Stube gelassen zu werden. Niemand schenkte ihr Beachtung. Natürlich nicht. Mit ihrem zerzausten Haar, den weiten Klamotten und ihrem verwirrten Blick war sie eine weitere gescheiterte Existenz, die Menschen gerne übersahen. Wer nicht funktioniert, existiert nicht. Es gab viele Geister da draußen. Für einen Augenblick verspürte die Frau in Rot Mitleid. Sofort verdrängte sie es. Kein Platz dafür. Kein Platz für irgendwelche Emotionen. Sie hatte eine Mission zu erledigen. Alles andere war unwichtig.

      War es zu früh, sich Laura zu nähern? Wann war der richtige Zeitpunkt? Es gab ihn praktisch nie. Meistens verpasste man ihn.

       Blut. So viel Blut vor ihren Augen.

       Warum hast du das getan?

      Die Frau in Rot blinzelte die unliebsamen Bilder weg. Die Zeit ließ sich nicht zurückdrehen. Rettung war ausgeschlossen. Für sie gab es nur noch Rache. Er würde bezahlen. Für alles. Ihre rot lackierten Fingernägel bohrten sich in ihren Handrücken. Der Schmerz half, bei Verstand zu bleiben. Sie lächelte und legte die Zeitung weg. Ihr Blick traf den eines dunkelhaarigen Mannes. Seit sie sich auf die Bank gesetzt hatte, beobachtete er sie schon und schenkte seiner Begleitung kaum Aufmerksamkeit. Dem Alten mit dem Hut schien es jedoch nichts auszumachen. Unverhohlen glotzte der Fremde ihr auf die Brüste.

      Mit einer immensen Wut im Bauch stand sie auf. Sie war ihr ständiger Begleiter, den sie hasste und liebte. Die Wut zerfraß sie innerlich wie ein Krebsgeschwür und war zugleich ihr Antrieb. Die Frau in Rot passierte den widerlichen Kerl und den alten Mann. Bestimmt wanderte der Blick von Ersterem zu ihrem Hintern, sobald sie an ihnen vorbei gegangen war. Ein Schnauben entkam ihren Lippen. Sie waren wirklich überall. Diese Kotzbrocken, die Leben zerstörten, weil sie ihre Gier nicht im Griff hatten. Die Stöckelschuhe klackerten geräuschvoll über den Asphalt. Der Wind blies dunkle Haarsträhnen in ihr Gesicht. Sie wischte sie zur Seite. Es war Zeit, mit Laura zu sprechen.

       Kapitel 3

      Laura blinzelte. Verwirrt sah sie sich um. Sie stand vor einer Tür und trug normale Kleider. Was war passiert? War sie nicht eben noch im Rollstuhl gesessen? Die schweißtreibenden Schmerzen waren wie weggeblasen. Als hätte sie jemand einfach so von ihr genommen. Hatte Jesus etwa seine heilende Hand aufgelegt? Der Gedanke war genauso unrealistisch wie die Tatsache, dass sie auf einmal schmerzfrei war. Kein Schmerzmittel der Welt konnte so gut sein. Oder? Irritiert sah sie an sich herab. Wie war das möglich? Eben erst war sie doch noch intubiert gewesen und jetzt konnte sie völlig ohne Hilfe stehen?!

      Wie war sie überhaupt hierhergekommen?

      Die Krankenschwester und Tom hatten sie auf die Neo-Intensiv begleiten wollen, doch Laura konnte sich nicht an den Weg nach unten erinnern. Ratlos starrte sie die weiße Stationstür vor sich an. Weit und breit keine Menschenseele in Sicht. Wo war Tom hin? Eben war er doch noch hier gewesen. Bis die Dunkelheit Laura eingesogen hatte. Was ging hier nur vor sich?

      Wo war Schwester Charlotte, die ihr in den Rollstuhl geholfen hatte? Laura erschrak. Woher kannte sie plötzlich den Namen der Schwester? Hatte sie sich Laura vorgestellt? Und woher wusste sie auf einmal, dass sie ihr beim Rolli

       assistiert hatte? Nichts machte Sinn.

      Sie runzelte die Stirn. Die weiße Tür lag direkt vor ihr. Der Eingang zur Intensivstation der Neonatologie? Auf einmal war sie sich nicht mehr sicher. Wo waren die Schilder? Lag hinter dieser Tür tatsächlich ihre Tochter? Könnte sie einfach so reingehen? Laura sah sich um. Sie war ganz allein. Sie zögerte. Sollte sie es wagen und die Station einfach betreten? Vielleicht traf sie jemanden, der Antworten für sie hatte. Einen Arzt. Offensichtlich stimmte mit ihrem Kopf irgendetwas nicht. Vielleicht hatte sie ein Schädel-Hirn-Trauma bei dem Unfall erlitten.

      Blödsinn! Dann müsste es ihr doch schlechter gehen. Körperlich fühlte sie sich völlig fit. Das musste aber nichts bedeuten. Sie dachte an ihre Tante Lissi, die letztes Jahr an Krebs gestorben war. Lissi war es lange gut gegangen. Die Schmerzen waren erst mit der Chemo gekommen.

      »Willst du nicht reingehen?« Eine junge Frau war wie aus dem Nichts aufgetaucht. Das Erste, das Laura an ihr auffiel, war die dunkelbraune, lockige Mähne. Laura wischte ihr eigenes rotes Haar, das in wirren Strähnen von ihrem Kopf stand, aus dem Gesicht. Neben der hübschen Brünetten fühlte sie sich hässlich. Die Fremde erinnerte Laura ein wenig an Nina Dobrev, die Hauptdarstellerin aus »The Vampire Diaries«. Eine ihrer Lieblingsserien. Während ihrer Schwangerschaft hatte sie die Vampir-Saga praktisch in sich aufgesogen.

      Katherine, wie Laura die Fremde im Stillen taufte, wirkte im Krankenhaus völlig fehl am Platz. Jemand mit ihrem Aussehen gehörte in einen Katalog oder auf den Laufsteg. Sie trug einen roten Hosenanzug in Kombination mit einer schwarzen Bluse. Vorsichtig streckte sie ihre feingliedrigen Finger nach Laura aus und berührte diese zaghaft am Arm. Sie war schlank. Zart. Wirkte zerbrechlich. Ein trauriges Lächeln legte sich auf ihre rot geschminkten Lippen. »Du hast mich wohl vergessen. Es kommt immer wieder vor, dass wir übersehen werden.«

      »Wieso wir?« Laura konnte sich kaum vorstellen, dass jemand wie Katherine nicht wahrgenommen wurde. Ganz bestimmt wurde sie das. Vor allem von der Männerwelt. Und wieso sprach sie in der Mehrzahl? Wieso sollte Laura sie vergessen haben? Sie war sich ziemlich sicher, der Fremden noch niemals zuvor begegnet zu sein.

      Katherine zuckte als Antwort nur mit den Schultern. »Darüber reden wir ein anderes Mal. Aber jetzt geh schon!« Sie nickte in Richtung Tür.

      Laura hatte noch so viele Fragen, aber als sie den Mund öffnete und sie stellen wollte, sagte Katherine: »Du hast nicht mehr lange Zeit.«

      »Wieso nicht?«

      »Weil sie dein Baby gleich wegbringen werden.«

      »Was? Wer sollte sie wegbringen? Wohin überhaupt?«

      Katherine sah sich um. »Hier ist es nicht sicher. Geh rein und rette dein Kind. Ich lenke in der Zwischenzeit alle ab.«

      Der Dialog klang verrückt, aber Lauras Kopf begann zu schmerzen und sie wollte nicht länger darüber nachdenken und vor allem wollte sie zu ihrem Kind. Also drückte sie die Tür auf. Ihre Spannung stieg, gleichzeitig mit ihrem Puls. Gleich würde sie ihr Baby sehen! Vielleicht. Erwartungsvoll und zugleich freudig betrat sie den Gang. Da war nur ein Gedanke in ihrem Kopf: Ich will zu meiner Kleinen!

      Tom war noch immer verschwunden, genau wie Schwester Charlotte. Sollte sie nach ihnen suchen? Immerhin wusste Laura nicht, in welchem Zimmer ihr Baby lag und ohne die Krankenschwester wäre es schwer, das richtige zu finden. Egal. Sie würde es schon schaffen.

      Verwirrt nahm Laura die Umgebung wahr. Sollten hier nicht alle steril gekleidet sein? Eine ihrer Freundinnen hatte ein Frühchen geboren und von daher wusste Laura, dass die Eltern stets einen Kittel überstreifen mussten. Auf dieser Station trug jedoch fast jeder zivile Kleidung. Eine weißhaarige Frau taumelte und stützte sich an der grauen Wand ab. Sie wirkte, als wäre sie betrunken. Ein Mann mit einem Hut kam ihr entgegen, den er zum Gruß hob. Er war viel zu alt, um der Vater eines Neugeborenen zu sein. Oder?

      Ein Arzt steuerte auf Laura zu. Würde er sie rügen, weil sie unpassende Kleidung trug? Aber die Frau mit dem friedhofsblonden Haar und der Hutträger waren doch auch nicht vorschriftsgemäß gekleidet.

      »Frau Weiß! Was tun Sie denn hier?« Der Mediziner stoppte vor ihr und sah sie fragend an.

      »Woher kennen Sie meinen Namen?« Laura machte einen Schritt nach hinten. Irgendetwas stimmte hier ganz eindeutig nicht. Sie wünschte, sie hätte Katherine mehr Fragen gestellt.

      Der Arzt runzelte die Stirn. Fast schien es, als wolle er seufzen und hielt sich lediglich im letzten Moment zurück. »Kommen Sie! Ich bringe Sie auf Ihr Zimmer!«

      »Nein!


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