Missing you, Baby!. Nicole Stranzl

Missing you, Baby! - Nicole Stranzl


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Zimmerecke auf seinen Einsatz wartete. Bisher hatte Laura ihn nicht bemerkt. Bisher hatte sie keinen Gedanken an ihre Umgebung verschwendet. Nur an die weiße Farbe. Doch ansonsten … Der kleine Fernseher interessierte sie nicht. Genauso wenig wie der altmodische Schrank. Sie sah an sich herab; sie trug Krankenhausklamotten. Wann hatte man sie umgezogen? Wer hatte es getan? War sie operiert worden? War sie nicht eben noch in ziviler Kleidung gewesen? Bevor dieser Dr. Roth sie ins Land der Träume geschickt hatte?

      »Wir müssen aufpassen, dass Dr. Roth nicht wieder kommt«, murmelte sie leise, doch Tom antwortete nicht. Entweder hatte er sie nicht gehört oder er ignorierte sie. Laura setzte sich auf, bereit das Bett zu verlassen. Noch immer spürte sie keine Schmerzen. Warum nicht? Sie war doch verletzt. Im Bauchraum. Sie erinnerte sich an das Blut an ihrer Schläfe. Der Ast, der beim Wagenfester hereinragte. Die Bilder des Unfalls zogen an ihrem inneren Auge vorbei. Wieder schmeckte sie Blut. Rasch versuchte sie, die Erinnerungen zu verdrängen und fragte stattdessen geistesabwesend: »Was ist passiert?«

      »Ein Wagen hat uns frontal gerammt.« Die Antwort klang wie auswendig gelernt. Fast gelangweilt.

      »Was ist mit dem anderen Fahrer?« Sie musterte Tom eindringlich, der jedoch lieber seine Schuhe betrachtete.

      »Der ist weg. Fahrerflucht.« Ihm schien das Thema unangenehm zu sein. Typisch Tom! Er hasste es, über Dinge zu reden, die ihm zusetzten. »Lass uns doch ein Stück spazieren gehen!« Erwartungsvoll sah er sie an und erst verspätet bemerkte Laura den Arm, den er ihr zur Stütze hinhielt. Alles in ihr sträubte sich dagegen, von ihm gestützt zu werden, wie eine alte gebrechliche Frau.

      »Wird die Polizei ihn finden? Den Fahrer, meine ich.« Es war ihr egal, dass Tom das Thema meiden wollte.

      Er holte tief Luft, dann seufzte er. »Keine Ahnung.«

      »Wie schlimm sind meine Verletzungen?«

      Er sah sie an. »Du hattest eine Gehirnerschütterung. Mehrere Prellungen. Ein Schütteltrauma.« Er zählte weiterhin irgendwelche Dinge auf, doch Laura hörte ihm nicht mehr zu. Sie war bei einem Wort hängen geblieben: Hattest. Vergangenheit. Warum? Der Unfall war doch erst wenige Tage her, oder?

      Ein Geräusch riss sie aus ihren Gedanken. Ein junger Arzt betrat das Zimmer. Sofort erkannte Laura ihn. Er war jung, Mitte dreißig, und lächelte sie freundlich an.

      »Frau Weiß! Wie geht es Ihnen?« Dr. Roth strahlte, als wäre nichts gewesen. Als hätte er sie nicht einfach niedergespritzt und sie daran gehindert, ihre Tochter zu sehen.

      Feindselig starrte Laura ihn nieder und fuhr ihn stattdessen bissig an. »Ich will mein Baby sehen.«

      Der Arzt und Tom tauschten einen Blick. Was ging hier vor sich? Steckte Tom etwa mit dem unter einer Decke?

      »Natürlich!«, erwiderte Dr. Roth schließlich mit einem milden Lächeln. »Vielleicht unterhalten wir uns zuerst ein wenig.«

      »Ich will mich nicht unterhalten.« Laura nickte in Richtung des Rollstuhls. »Ich will endlich mein Baby sehen.«

      »Ihr Baby wird gerade untersucht. Sie können jetzt nicht hin.« Sie war sich fast sicher, dass er sie belog. Warum? Gerade eben hatte Tom doch behauptet, dass Mia am Leben war. Noch! Wenn sie länger zögerten, würde sie ihre Tochter vielleicht nicht mehr sehen.

      »Woher wollen Sie das wissen?!«, blaffte sie den Arzt daher an. Die Wut kochte erneut hoch, stärker als zuvor. »Sie arbeiten doch auf einer anderen Station! Ich habe Sie vorhin auf der Neonatologie gesehen! Was machen Sie jetzt also hier bei mir? Hören Sie auf, mich für dumm verkaufen zu wollen!«

      »Schatz, beruhige dich!« Tom legte seine Hand auf ihren Unterarm.

      »Einen Scheiß werde ich tun!« Sie stieß ihren Mann von sich. »Du machst doch gemeinsame Sache mit denen! Ich will, dass mich sofort jemand aufklärt! Was ist hier los?! Wieso lügt mich jeder an? Und wieso lässt mich niemand zu meinem Baby?!«

      Laura war so außer sich, dass sie das Bett verlassen hatte und im Raum auf- und ablief. Sie wollte gerade zu einer weiteren Schimpftirade ansetzen, als Babygeschrei sie innehalten ließ. War das ihr Baby? Wo war ihr Mädchen? Sie musste ganz in der Nähe sein. Tom wollte sie aufhalten, doch sie schubste ihn zur Seite und lief in den Gang hinaus. Gerade noch rechtzeitig sah sie, wie eine Krankenschwester ein Gitterbettchen um die Ecke schob.

       Kapitel 6

      Laura dachte nicht nach, sondern nahm die Verfolgung auf. Das Geschrei wurde immer lauter und erinnerte Laura an die Rufe, die eine Krähe ausstößt. Es war nicht der einzige Laut – auch Tom rief nach ihr. Laura ignorierte ihren Mann jedoch und beschleunigte ihre Schritte stattdessen. Endlich sah sie die Schwester wieder, die das Gitterbett vor sich herschob und damit den Aufzug ansteuerte. Darin lag das weinende Kind.

      »Warten Sie!«, schrie Laura, doch die Krankenschwester drehte sich nicht um. Entweder hörte sie sie nicht oder sie ignorierte Laura einfach. »Bitte …« Laura begann zu laufen. Der Lift öffnete sich. Die Schwester trat ein. Laura rannte regelrecht um ihr Leben. Plötzlich überfiel sie ein Schwindelanfall. In letzter Sekunde lehnte sie sich an die Mauer, um nicht umzukippen.

      »Bitte, warten Sie doch!« Verzweifelt sah sie, wie die Tür sich schloss – nur ein paar Meter vor ihrer Nase. Das Geschrei verstummte. Jemand rempelte sie an. Ein alter Mann warf ihr einen verstörten Blick zu. Der Mafioso-Typ von vorhin beobachtete sie schon wieder. Als sich ihre Augen trafen, wandte er sich ab und bog um die Ecke in den Gang, aus dem Laura eben gekommen war. Sie verschwendete keinen weiteren Gedanken an ihn, dachte nur an Mia.

      Laura überwand die letzten Meter und hielt vor der grauen Aufzugtür, stützte sich daran ab und begann laut los zu schluchzen. Vielleicht war ihre Reaktion überzogen, aber all die Unsicherheiten und die traumatischen Erlebnisse zehrten an ihr. Irgendwas ging hier vor sich. Warum wollte sie jeder ständig von ihrem Kind fernhalten? Sie war überzeugt, dass das Baby in dem Gitterbettchen ihre Tochter war. Es war, als hätte man ihr Mia ein zweites Mal geraubt. Mit ihren Händen hämmerte sie gegen die geschlossene Tür.

      »Du musst dich beruhigen. Sonst spritzen sie dich wieder nieder!«

      »Katherine!«, stieß Laura erleichtert aus. Vielleicht war ihre Erleichterung bescheuert, aber Katherine schien die Einzige zu sein, die versprach, Klarheit in das Chaos zu bringen.

      Bei dem Ausspruch runzelte Katherine die Stirn. Laura ignorierte die Geste jedoch und sprudelte darauf los: »Du musst mir unbedingt sagen, was du gemeint hast. Wohin bringen die mein Kind? Und wer bringt sie weg? Dr. Roth? Niemand will mich zu ihr lassen. Sie sagen mir aber auch nicht, dass sie tot ist. Und das macht keinen Sinn. Denn wenn sie tot wäre, müsste es ein Begräbnis geben. Und warum geht es mir körperlich schon wieder so gut?«

      »Nicht hier!« Laura folgte Katherines Blick, der auf dem Mafioso-Typen ruhte.

      »Verstehe!«, antwortete Laura, wobei sie sich nicht sicher war, ob dies der Wahrheit entsprach.

      Wann war der Kerl wieder aufgetaucht? Oder war er nie weggewesen? Warum beobachtete er sie ständig? Was hatte er mit der ganzen Sache zu tun?

      Katherine rückte dicht an sie heran und wisperte in Lauras Ohr: »Ich weiß, wie es dir geht. Mit mir haben sie dasselbe gemacht. Mit mir und … mit meinem Baby.«

      Geschockt riss Laura ihre Augen auf. »Was …?«

      »Ich muss jetzt gehen! Sie sind gleich hier.« Schwungvoll drehte sie sich um. »Ich melde mich wieder bei dir!«, versprach Katherine, als sie schon ein paar Schritte von Laura entfernt stand. Vorsichtig spähte sie in den Gang, aus dem Laura soeben gekommen war und lief gleich darauf die Treppe nach unten. Beinahe fluchtartig.

      »Laura!« Keuchend hielt Tom neben ihr an. »Verdammte Scheiße, was ist nur los mit dir?!« Er hatte seine Stimme erhoben und Laura konnte erkennen, dass er sich nur mühsam davon abhalten konnte, sie zu packen und durchzuschütteln.

      Der alte Mann, der sie vorhin schon angeglotzt hatte, starrte sie weiter unverhohlen an. Laura erkannte ihn. Sein brauner Hut lag


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