Operation Terra 2.0. Andrea Ross
ihn aufmerksam, was ihn schnell in ungeahnte Kalamitäten bringt. Selbst in den eigenen Reihen wächst bei Einzelnen die Unzufriedenheit. Ein von Alanna eingeschleuster Verräter treibt eines Tages eifrig sein ruchloses Unwesen, fällt ihm zusätzlich in den Rücken.
Die Obrigkeit trachtet schließlich voller Arglist danach, den vom Volk geliebten Messias nach nicht einmal zwei Jahren des mildtätigen Wirkens aus dem Verkehr zu ziehen, bevor seine Philosophie größere Umwälzungen mit sich bringt.
Im prunkvollen Palast des Sanhedrins zu Jerusalem kommt es kurz vor dem Passahfest zu einer folgenschweren Entscheidung, welche alsbald durch die weltliche Gerichtsbarkeit vollzogen werden soll. Die tiberianische Crew hat indessen längst die Kontrolle verloren, muss tatenlos zusehen und den Ereignissen ihren geschichtsträchtigen Lauf lassen.
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Liebe Leser,
im Anhang finden Sie ein Glossar, das auch eine Kurzanleitung für das verwendete KIN-Zeitsystem enthält. Wissenswertes über den Planeten Tiberia ist in Band 1 – Menschheit im Exil beschrieben. Jetzt wünsche ich Ihnen gute Unterhaltung beim Weiterlesen!
Ihre Autorin Andrea Ross
Terra – Es ist (vielleicht) vollbracht!
Kalmes alias Maria Magdalena wusste sich nicht mehr zu helfen. Seit ihr über alles geliebter Gefährte sich betend in sein Innerstes zurückgezogen hatte und während seiner Dauer-Meditationen kaum mehr ansprechbar erschien, blieb sie mit ihren Sorgen und Nöten weitgehend alleine.
Selbst ihre tiberianischen Missionskollegen ließen die ehemalige Dozentin für Ideologie neuerdings schmählich im Stich, offenbar weil die hochtrabend Operation Terra 2.0 benannte Mission total ihrer Kontrolle entglitten war. Sie harrten einfach untätig der Dinge, die da kommen mochten.
Trotzdem, Maria benötigte nun dringend einige Informationen aus dem nahezu allwissenden Bordcomputersystem des Raumgleiters. Alle Welt sprach derzeit in freudiger Erwartung über das bevorstehende Passahfest, und sie als Außerirdische wusste noch nicht einmal genau, worum es sich bei dieser jüdischen Festwoche handelte.
Jesus hatte zwar um diese Jahreszeit stets ungesäuertes Brot gegessen, besonders ausgiebig gebetet und dasselbe Gebaren auch bei seinen Jüngern vorausgesetzt; hätte sie jedoch neugierig nach dem Grund gefragt, wäre dies zumindest dem noch immer eifersüchtigen Simon Petrus verdächtig vorgekommen. Er nutzte jede Gelegenheit, um sie beim Meister anzuschwärzen. Eine angeblich gläubige Jüdin, die nicht einmal um althergebrachte Riten wusste? Ein gefundenes Fressen zum Lästern!
Das Passah-Fest … Was war der Anlass dafür, wie liefen die traditionellen Festivitäten in der großen Stadt Jerusalem mit ihren unzähligen Einwohnern ab? Und wieso glaubte Jesus fest daran, dass er diese vermaledeiten sieben Tage bestimmt nicht überleben werde?
Die als Jüdin verkleidete Tiberianerin zwang sich seufzend, ihren Blick von Jesus‘ versteinerter Gestalt loszueisen. Er war ohnehin nur körperlich anwesend und würde es sicher nicht einmal bemerken, wenn sie sich jetzt aus seinem Dunstkreis entfernte. Deprimiert folgte sie einem staubigen Feldweg, hinaus aus jenem immergrünen Pinienhain, in welchem Jesus seit ein paar Tagen mit seinen engsten Anhängern lagerte.
Die Natur hatte sich nach einem kräftigen Regenguss ihr schönstes Gewand übergestreift. Der Frühling war ins Land gezogen, und mit ihm ein Teppich aus kleinen Blütenkelchen in Gelb, Weiß und Lila. Die Vögel jubilierten unter dem einzigartig blauen Himmel des Mittelmeerraumes, überall begegnete man gut gelaunten Menschen.
Doch für Maria Magdalena lag ein hässlicher Grauschleier über dieser heiteren Herrlichkeit, der ihr sogar den strahlenden Sonnenschein vergällte. Als hätte man ihr eine dunkel getönte Glasglocke übergestülpt, konnte sie die frisch erwachte Schönheit ihrer Umgebung nur erahnen, selbst aber nicht mit Leib und Seele daran teilhaben.
Jene unheimliche Düsternis stammte aus Marias liebendem Herz, das sich vor lauter Sorge um das Leben ihres Gefährten wundgescheuert hatte. Die Zukunftsangst überschwemmte ihr Bewusstsein mit lähmender Tristesse, die sogar banale Pflichten des Alltags zur Bürde geraten ließ. Spürte sie etwa schon körperlich, dass ein unrühmliches Ende der Mission bevorstand?
Mittlerweile hatte sich die dunkelhaarige Tiberianerin weit genug vom Lager entfernt, um sich unbeobachtet wähnen zu können. Kein Mensch durfte auch nur ansatzweise bemerken, was sie hier klammheimlich zu tun beabsichtigte.
Behutsam nahm Maria Magdalena den winzigen, mit bloßem Auge kaum sichtbaren Augor vom Halsausschnitt ihres Gewandes ab, um ihn vorsichtig an einem Zweig des vor ihr stehenden Wacholderbusches festzuklammern. Diese tiberianischen Vollignoranten sollten ruhig live und in Farbe mitbekommen, wie verhärmt ihre sturmerprobte Frau Kollegin wegen jenes riesengroßen Problems aussah!
Sie positionierte sich, warf ihr verschwitztes Haar über die Schultern nach hinten. Dann setzte sie mit weit aufgerissenen Augen den vielleicht wichtigsten Appell ihres bisherigen Lebens ab und hoffte inständig, dass er Gehör finden und vor allem eine baldige Reaktion hervorrufen möge.
»Balthasar, Gabriel … es ist mir inzwischen vollkommen egal, wer im Camp gerade lauschen und zusehen mag … wir sind ernsthaft in Gefahr! Ich kann beim besten Willen nicht ermessen, weshalb sich nach meinem letzten Bericht niemand von euch gemeldet hat.
Habt ihr denn den bitteren Ernst der Lage nicht erkannt? Seid ihr überhaupt noch am Leben, oder allesamt bei einem Räuberangriff oder einem sonstigen Desaster umgekommen? Habt ihr euch womöglich gar, ohne uns mitzunehmen, feige durch Raum und Zeit nach Hause verflüchtigt?
Entschuldigt bitte, dass ich hier ein wenig süffisant werde, doch ich weiß mir keinen Reim auf eure Untätigkeit, ja, Gleichgültigkeit mehr zu machen! Lässt es euch denn wirklich völlig kalt, dass man unserem Solaras eifrig nach dem Leben trachtet? Jemand muss endlich ins Geschehen eingreifen, bevor es zu spät sein könnte! Ehrlich gesagt, traue ich nicht einmal seinen Jüngern vorbehaltlos über den Weg.
Versteht mich bloß nicht falsch. Ich tue, was in meiner Macht steht. Es liegt in meiner Verantwortung, für seine Sicherheit zu sorgen. Mir fehlen leider jedoch immens wichtige Informationen, die mich wenigstens befähigen würden, mein Handeln umsichtig danach auszurichten.
Wie gefährlich kann solch ein Passahfest für ihn werden? Mir ist aufgefallen, dass die römischen Truppen erheblich verstärkt wurden. Sie sollen offenbar Aufstände und Unruhen in der jüdischen Bevölkerung verhindern oder Prozessionen bewachen. Irgendetwas in dieser Art.
Na gut, in Wirklichkeit habe ich keine blasse Ahnung davon, wieso die bis an die Zähne bewaffneten Einheiten hier in derartigen Massen antreten, das räume ich gerne ein. Gerade deswegen bin ich ja so nervös! Ihr müsst bedenken, dass Jesus und sein Gefolge seit einiger Zeit durchaus als lästige Unruhestifter angesehen werden.
Daher meine Frage: Worauf soll ich während der Feierlichkeiten achten, worum geht es bei diesem ominösen Passah eigentlich überhaupt? Mehrmals habe ich das Wort »opfern« aufgeschnappt, was mir natürlich arges Kopfzerbrechen bereitet.
Also, ganz wichtig: Wer oder was wird bei diesem Kult geopfert? Doch hoffentlich keine Menschen? Auf Terra weiß man nie! Es scheint sich jedenfalls um uralte Rituale zu handeln; unser Bordcomputer müsste somit hierüber einiges an wertvollen Auskünften parat haben. Diese Details brauche ich jetzt so schnell wie möglich!
Schickt mir schleunigst jemanden zur Verstärkung hierher, sonst kann ich für nichts garantieren. Am besten Gabriel, denn der bleibt auch in stressigen Situationen ruhig und war mir stets ein besonnener Ratgeber, auch wenn ich zu meinem nachträglichen Bedauern nicht immer gleich auf ihn gehört habe.
Ihr findet mich – respektive uns – am Fuße des sogenannten Ölbergs, denn da wollen wir für die kommenden Tage bleiben, um dem Massenauflauf in Jerusalem tunlichst zu entkommen. Jesus ist dort nach ein paar fragwürdigen Aktionen nämlich nicht mehr gerne gesehen und meidet deswegen insbesondere die Innenstadt