Operation Terra 2.0. Andrea Ross
der Gemeinschaft widmete.
Gleichwohl sah der ausgebrannte Prediger nicht gerade fröhlich drein, doch meisterte er seinen Alltag an jenem Donnerstag gefasst und verschwand sogar für eine Stunde ins benachbarte Dorf, um dort etwas für das bevorstehende Passah-Sedermahl auszuhandeln. Seine Apostel atmeten erleichtert auf, denn ihr hochgeschätzter Meister schien langsam zur Normalität zurückzukehren.
Maria Magdalena nahm Jesus beiseite, sobald er beschwingten Schrittes ins Lager zurückkehrte. Sie war dankbar für die Abwechslung, denn wie schon in den vergangenen Tagen hatte sie unablässig die Gegend nach verirrten Wanderern abgesucht. Vergeblich, doch sie glaubte im Grunde ihres Herzens noch immer fest daran, dass die tiberianische Crew bald Hilfe schicken müsste. Es konnte, nein, durfte gar nicht anders sein!
Wenigstens konnte man inzwischen mit Jesus wieder kommunizieren; er hüllte sich, Gott sei Dank, nicht mehr in rätselhaftes Dauerschweigen. Marias Gefühle von Trauer und Einsamkeit lösten sich allmählich in Wohlgefallen auf, machten neuer Zuversicht Platz.
»Da bist du ja wieder!«, begrüßte sie ihn freudig und drückte ihm einen liebevollen Kuss auf den Mund. »Wie ich von Petrus hörte, willst du uns heute Abend ein traditionelles Sedermahl stiften? Hast du drüben im Dorf etwas organisieren können?«, fragte Maria neugierig.
Maria brannten noch so viele Fragen auf der Seele, die ihr viel dringender erschienen – aber sie durfte ihrem Liebsten so kurz nach Beendigung der Funkstille nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Ihre Sorgen mussten noch ein wenig warten.
Jesus lächelte, wirkte jedoch ein bisschen abgelenkt.
»Ja, es ist alles geregelt, auch wenn ich im Nachbardorf keinen geeigneten Ort finden konnte. Wir werden heute jedoch trotzdem ein gemeinsames Abendmahl bei Kerzenschein einnehmen können. Ein freundlicher Großbauer stellt uns dafür sein geräumiges Wohnhaus am Stadtrand von Jerusalem zur Verfügung und versorgt uns fürsorglich mit Speis und Trank.
Alles wird ordnungsgemäß nach jüdischen Traditionen hergerichtet sein, wenn wir in der Abenddämmerung gemeinsam dorthin wandern. Judas Iskariot mag den Mann nachher fürstlich für seine Mühe entlohnen. Mehr kann ich für euch leider nicht tun!«
Die gutaussehende Tiberianerin stutzte. »Aber du tust doch mehr als genug für uns!«, protestierte sie kopfschüttelnd. Nach kurzem Überlegen fügte sie eindringlich hinzu:
»Apropos Judas … Jesus, bist du dir sicher, dass du ihm vorbehaltlos trauen kannst? Er geht als Einziger oft seine eigenen Wege, auch nach Jerusalem hinein. Dabei achtet er jedes Mal peinlich genau darauf, dass ihm niemand folgt. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was er dort Absonderliches treiben mag. Besorgungen macht er jedenfalls nicht, denn er kehrt stets mit leeren Händen zurück.
Meines Erachtens verbirgt er irgendein dunkles Geheimnis vor uns, das sagt mir die weibliche Intuition. Übrigens ist Judas zurzeit schon wieder unterwegs!«
Jesus wirkte mit einem Mal traurig. »Zerbrich dir darüber bitte nicht den Kopf, Maria. Ich habe alles im Griff, gehe ebenso wie du mit wachen Augen durch die Welt. Alles hat seine vorbestimmte Ordnung im Universum. Noch heute Abend werde ich zu euch auf dieser Feier über die Zukunft sprechen. Danach essen und trinken wir zusammen, denn die Zeit drängt!«
Der Mann mit den hellen Augen, in denen plötzlich Tränen standen, ließ seine Gesprächspartnerin nach dieser nebulösen Ankündigung einfach stehen und trottete zu seinen wartenden Jüngern, um ihnen dieselbe Botschaft zu überbringen.
Außer dem aufmerksamen Simon Petrus bemerkte niemand, dass Jesus merkwürdig bedrückt dreinsah, sich eigentlich gar nicht in Feierlaune befand. Freudig liefen sie in alle Himmelsrichtungen davon, um sich für das speziell zubereitete Mahl in frische Gewänder zu kleiden.
Man gedachte damit alljährlich dem Auszug des Volkes Israel aus Ägypten, dem Erhalt der Zehn Gebote im Sinai-Gebirge und ganz allgemein Gottes Bund mit den Juden. Es war normalerweise üblich, jene symbolische Kulthandlung inmitten seiner Familie zu begehen. Wobei in diesem speziellen Fall Jesus den Status der Vaterfigur einzunehmen hatte, denn seine engsten Jünger galten ihm als gleichwertiger Ersatz für einen Familienverband herkömmlicher Art. Er gewährte ihnen schließlich genau wie ein Patriarch Schutz, Segen und Hilfe.
Einige der Jünger hatten bereits wegen Jesus‘ introvertiertem Zustand befürchtet gehabt, dass ihr Sedermahl in diesem Jahr womöglich ausfallen könnte. Nun ging ein Aufatmen der Erleichterung durch das Lager, denn sie als seine treuesten Anhänger würden zum Glück doch nicht mit den uralten Riten des Judentums brechen müssen. Im Bauernhaus würden später ein Opferlamm, ungesäuertes Brot, Bitterkräuter und Wein auf die hungrigen Apostel warten.
Maria hingegen erstarrte abrupt mitten in der Bewegung, ihr fiel es wie Schuppen von den Augen. Hatte Jesus wirklich vom Universum gesprochen? Himmel … seine wahre Identität schimmerte anscheinend immer stärker durch die künstlich geschaffene Jesus-Fassade!
Niemand sonst in dieser archaischen Zeit ahnte auch nur ansatzweise etwas von Spiralgalaxien, Supernovae, schwarzen Löchern, Pulsaren oder Sternenhaufen – geschweige denn von jenen universellen Gesetzen, welche dem Menschen nach dem Urknall überhaupt erst seine Existenz ermöglicht hatten!
Wen hatte sie hier eigentlich vor sich? Jesus, den terrestrischen Messias – oder vielmehr den wissenschaftlich ausgebildeten Tiberianer Solaras?
*
Der diensthabende Offizier der jüdischen Tempelwache runzelte missbilligend die Stirn. Selbstverständlich war ihm bewusst, dass er jeglichen Befehl des Sanhedrins buchstabengetreu auszuführen hatte. Dennoch erschien es ihm nach eigenem Dafürhalten falsch, einen einzelnen Juden für die gelegentlichen Unruhen im Volk büßen zu lassen.
»Natürlich, ich habe den Befehl verstanden! Wir sollen Jesus von Nazareth noch in dieser Nacht festnehmen und Pontius Pilatus zur weiteren Verfügung überstellen.
Aber, mit Verlaub, nur zu meinem persönlichen Verständnis: Wie sollte dieser Heiler mit seinen Predigten und Handlungen die Machtposition des Sanhedrins gefährden können? Es handelt sich um die zentrale Institution des Judentums! Wie könnte ein Einzelner dieses mächtige Bollwerk in einem solchen Ausmaß gefährden, wie es unser Hohepriester Kaiphas offenbar zu befürchten scheint?«
Der Würdenträger zog ein säuerliches Gesicht. Ihm war anzusehen, dass auch er mit dem Befehl nicht hundertprozentig konform ging. Aber die Entscheidung war im Sanhedrin nun einmal gefallen, und aus ihr resultierte der soeben überbrachte Befehl. Was erdreistete sich dieser lausige Befehlsempfänger, ihn frech zu hinterfragen?
»Dieser Mann hat im ganzen Lande für Aufruhr gesorgt. Er ist ein potentieller Unruhestifter! Es geht auch mehr um das Gedankengut, das Jesus verbreitet, und nicht so sehr um die Person. Die Römer könnten dem Sanhedrin noch den letzten Rest an verbliebener Selbstständigkeit nehmen, indem sie einseitig das Besatzungsrecht ändern, wenn er weiter ungehindert sein zersetzendes Unwesen treibt.
Ist dir bewusst, was das letzten Endes für uns bedeuten würde? Wir wären endgültig dazu verdammt, uns wie Marionetten an der Schnur dieser Ungläubigen zu bewegen! Die Römer ersticken rebellische Tendenzen ohne Rücksicht auf Verluste im Keim, und wir wären hinterher die Leidtragenden. Kaiphas musste sich jener traurigen Tatsache leider beugen.
Die Verhaftung dieses Rabbi ist insofern mehr eine vorbeugende Maßnahme, um das gesamte jüdische Volk vor den Folgen eines Aufruhrs zu schützen und den Tempelkult nach den Geboten der Thora für die Nachwelt zu bewahren. Besatzer aus fernen Ländern mögen kommen und gehen, doch unser Glaube muss für die Ewigkeit Bestand haben!
Glaubst du, Moses hat das Volk Israel einst aus den Fängen des ägyptischen Pharaos befreit, damit es wenig später wieder von Fremden geknechtet werde? Noch dazu im eigenen, von Gott verheißenen Land?
Es ist auf jeden Fall besser, wenn ein einzelner Mensch für das Volk stirbt als umgekehrt. Vergiss nicht, dass dieser Jesus sogar mit der Zerstörung des heiligen Tempels gedroht hat! Du tust also nichts als deine Pflicht für Gott und die Menschen.