Operation Terra 2.0. Andrea Ross
die Angelegenheit noch gar nicht betrachtet, bitte verzeiht mir meine Unverfrorenheit. Ich hätte Euch nicht mit unbotmäßigen Fragen belästigen dürfen. Meine uneingeschränkte Loyalität und mein Leben gehören Euch, so wie ich es einst geschworen habe.
Aber sagt mir, wie sollten wir diesen Rabbi im Kreise seiner Anhänger überhaupt identifizieren können? Diese Getauften sehen doch alle gleich aus, kleiden sich in einfache Gewänder und tragen Sandalen mit Riemen aus billigem Leder! Gibt es irgendein zuverlässiges Unterscheidungsmerkmal?«
»Aber ja! Es wurde mit unserer Kontaktperson ein Zeichen vereinbart. Wir stehen seit einiger Zeit mit einem Jünger namens Judas in Verbindung, der seinen Meister an uns verraten wird. Er entstammt dem engsten Kreis um Jesus und ist mit seiner Situation mehr als unzufrieden. Nicht zuletzt deshalb, weil er daran glaubt, dass der sogenannte Messias nur ein gemeiner Betrüger ist, der die Menschen vorsätzlich täuscht.
Legt euch auf die Lauer und wartet ab. Laut Judas wird sich die Gruppe heute Nacht im Garten Gethsemane am Fuße des Ölbergs zur Ruhe betten. Sobald du dort beobachtest, dass ein großgewachsener Mann im längsgestreiften Kaftan einen hageren Kerl herzlich mit dem Bruderkuss begrüßt und ihn unterwürfig als Meister tituliert, schlagt ihr zu! Denn dieser vermeintliche Akt der Respektsbezeugung ist in Wirklichkeit das vereinbarte Zeichen.
Vergesst dabei keinen Augenblick, dass ihr nur eure Pflicht für abertausende von Juden erfüllt! Denkt an die künftigen Generationen, sie werden es euch dereinst danken!«
Der Offizier salutierte markig, sein Gewissen war jetzt hinreichend betäubt. Die Worte seines Vorgesetzten hatten die beabsichtigte Wirkung gezeigt. So sehr, dass der Offizier den Auftrag inzwischen sogar als große Ehre und sich selbst als edlen Bewahrer des jüdischen Glaubens betrachtete.
»Es soll geschehen, wie Ihr befehlt! Noch ehe die Sonne zum nächsten Mal am Horizont erscheint, wird Jesus von Nazareth im Kerker des Pontius Pilatus sitzen und zähneklappernd auf seine Hinrichtung warten!
Wie sollen wir es eigentlich handhaben, falls seine Anhänger Widerstand leisten? Müssen wir diese Männer ebenfalls verhaften und mit ihm einsperren?«
Der Würdenträger winkte grinsend ab. »Ach was, das sind doch bloß harmlose Spinner, die schon aus religiöser Überzeugung keine Waffen tragen. Die werden euch nicht ernsthaft gefährlich werden können. Ohne den Zuspruch ihres Anführers wird eventueller Widerstand ohnehin schnell in sich zusammenfallen.
Lasst diese sogenannten Jünger ruhig nach Belieben protestieren und wehklagen; wenn sie fliehen wollen, verfolgt sie nicht, denn sie sind der Mühe kaum wert!
Sollte jemand euch wider Erwarten doch bedrohen, so seid ihr natürlich befugt, euch diese Person auf geeignete Weise vom Hals zu schaffen. Aber bitte möglichst unauffällig, die ganze Aktion soll nicht viel Aufmerksamkeit erregen!«
*
Am Rande einer Plantage aus abgeblühten Mandelbäumen stand jenes langgezogene Bauernhaus, in welchem Jesus mit seinen Aposteln den Sederabend zu verbringen gedachte. Das Gebäude war hundert Jahre zuvor aus grob behauenen Natursteinen gebaut worden, wodurch es im Innenraum selbst bei größter Hitze angenehme Kühle versprach. Kleine rechteckige Fenster tauchten den großen Wohnraum schon tagsüber in ein dämmriges Zwielicht.
Einer nach dem anderen trat staunend ein, nahm an der langen Tafel Platz. Fünf Weinkrüge und eine Ansammlung von hölzernen Kelchen standen auf einem kleinen Tisch an deren Stirnseite bereit, warteten auf durstige Gäste. Wahrscheinlich saß an diesem Platz normalerweise der Familienvater, um mit Adleraugen über den Ausschank zu wachen.
Bauer Jeremias, welchem das Anwesen in dieser Generation gehörte, trug eilfertig die bestellten Teller auf, legte einige Brote daneben und zog sich dann freundlich grüßend zurück. Er wollte mit dem verbliebenen Rest seiner einstmals großen Familie ebenfalls den Sederabend feiern, ganz still und bescheiden. Als guter Gastgeber verstand er sich darauf, den Passahpilgern nur die allerbesten Speisen zu kredenzen, die seine bestens gefüllte Vorratskammer hergab.
Die vergleichsweise wohlhabenden Bauersleute waren nur zu dritt und konnten somit auf eine lange Festtafel verzichten. Sie feierten separat in der angrenzenden Küche. Die meisten ihrer erwachsenen Kinder waren schon lange aus dem Haus und hatten eigene Großfamilien gegründet, die der alte Jeremias beim besten Willen nicht alle unter einem Dach hätte vereinen können. Seit der Ankunft des letztgeborenen Enkelkindes hätte es sich um sage und schreibe 63 Personen gehandelt!
So blieb er an diesem besonderen Abend notgedrungen mit seiner Ehefrau und dem jüngsten Sohn alleine, um keines seiner weiteren Kinder mit einer Einladung zu bevorzugen. Er wollte niemanden vor den Kopf stoßen, keinesfalls Eifersucht unter seinen Nachkommen wecken. Die Rivalität würde ohnehin noch groß genug werden, sobald sie sich dereinst um ihr Erbe zanken mussten. Er würde schließlich nicht ewig auf Erden weilen, und auf den Besitz des Bauernhofs schielten bereits jetzt so einige von ihnen.
Jeremias und seine Frau schätzten sich glücklich, stattdessen den bekanntesten aller Prediger samt Anhang als illustre Gäste bei sich zu haben. Sie waren vollkommen überzeugt davon, dass jener gottgesandte Nazarener das Haus durch seine bloße Anwesenheit segnen würde, so dass in Zukunft nie wieder ein Unglück über die darin lebende Familie kommen könne.
Jesus nahm traditionell inmitten der fröhlich plappernden Zwölferschar aus Jüngern Platz, damit wirklich jeder der Anwesenden seinen Ausführungen problemlos lauschen konnte. Er würde ihnen Unangenehmes zu eröffnen haben, doch das ließ sich leider nicht mehr vermeiden. Vielleicht bot sich hier und heute sogar die allerletzte Chance, seine Jünger schonend auf das kommende Unheil vorzubereiten.
Wie üblich saß Maria Magdalena auf Tuchfühlung an Jesus‘ rechter Seite; die meisten seiner Anhänger hatten sich an diesen Anblick gewöhnt und störten sich nicht mehr an der merkwürdigen Tatsache, dass die einzige Frau unter ihnen gleichberechtigt behandelt und überdies innig geliebt wurde.
Einzig die Herren Simon Petrus und Judas beobachteten zu Beginn dieses Abends voller Ingrimm, wie vertraut das Paar die Köpfe zusammensteckte; sie hielten es weiterhin für unangebracht, dass ihr Meister als himmlischer Messias nicht einmal über irdische Verführungen dieser Art erhaben war. Wäre es nach ihnen gegangen, so hätte er dem Weibsvolk komplett entsagen sollen.
Doch was heute noch nicht war, konnte ja später noch werden … Jesus hatte vor einigen Monaten verheißungsvoll zu Simon Petrus gesagt, dass er wie ein starker Fels sei, auf dem eines Tages seine neue Kirche erbaut werde. Bestimmt war er dazu ausersehen, Jesus‘ Nachfolge anzutreten!
Nun, falls diese Prophezeiung tatsächlich eintreffen würde, nahm sich der vierschrötige Apostel beim Anblick des unverhohlen turtelnden Paares vor, dann würde er künftigen Priestern die Ehe und damit jeglichen körperlichen Verkehr mit anderen Menschen strikt verbieten.
Wer sein Leben dem Einen Gott widmete, der hatte sich anderweitig gefälligst zurückzuhalten. Man konnte im Leben schließlich nicht gleichzeitig zwei Herren dienen!
Wäre Jesus‘ führender Jünger ehrlich zu sich selbst gewesen, dann hätte er sich beschämt eingestehen müssen, dass diese negativen, abfälligen und überaus neiderfüllten Gedanken in Wahrheit einem ganz profanen menschlichen Bedürfnis entsprangen.
Simon Petrus kämpfte nämlich verzweifelt mit einer fast unerträglichen Sehnsucht nach seiner Familie. Nach seiner eigenen Frau, die er schon seit Monaten nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Ob und wann er sie wieder einmal für kurze Zeit besuchen könnte, stand in den Sternen.
Nahezu in jeder Nacht suchte ihn die quälende Vision heim, wie seine Gefährtin in Kapernaum einsam und traurig zu Bett gehen und sämtliche Schwierigkeiten des Lebens alleine oder mithilfe anderer Familienmitglieder meistern musste. Er vermisste Sarah mittlerweile so sehr, dass es gehörig schmerzte.
Gut, es war seine eigene Entscheidung gewesen, sich Jesus anzuschließen. Aber wenn der Fischersmann Simon Petrus wegen seiner religiösen Gefolgschaft schon nicht bei seinem Eheweib sein konnte, dann gönnte er ein solches Vergnügen eben auch keinem anderen Menschen,