EMP. Andrea Ross

EMP - Andrea Ross


Скачать книгу
etwas erhobener Stimme fragte ich die um mich herum sitzenden Kollegen, ob man denn schon herausgefunden oder wenigstens eine brauchbare Theorie habe, wieso in dieser Stadt seit den frühen Morgenstunden alles zum Erliegen gekommen sei. Die einen schüttelten den Kopf, die anderen nickten eifrig, bevor sie sich wieder ihren jeweiligen Gesprächspartnern widmeten.

      »Wie jetzt?«, fragte ich wegen dieser widersprüchlichen Auskünfte Alexandra. Die holte tief Luft und erzählte, dass seit Stunden die abenteuerlichsten Spekulationen durchdacht und widerlegt worden seien. Von Terroranschlag bis Angriff aus dem Weltall sei alles erörtert und auch wieder verworfen worden, bis nur noch eine einzige logische Erklärung übrig geblieben sei: diejenige, dass sich ein EMP ereignet haben könnte, was im Übrigen die Abkürzung für »Electromagnetic Pulse« sei.

      »Ich weiß ziemlich genau, was das ist!«, unterbrach ich ungeduldig ihre Ausführungen. »Schließlich habe ich auch regelmäßig die Nachrichten verfolgt. Seit Monaten befürchten die Experten schon Stromausfälle wegen der stark erhöhten SonnenfleckenAktivität, so wie damals im März 1989 in Quebec, als es unter anderem einen Mega-Blackout gab. Aber haben die Wissenschaftler nicht gesagt, das Schlimmste sei vorüber, die Intensität der Sonnenstürme nehme bereits wieder ab?«

      Alexandra nickte nachdenklich. »Stimmt! Aber dann haben sie sich eben getäuscht, denke ich mal. Das Beste kommt halt oft erst zum Schluss, nicht wahr? Und dieses Mal hat es nicht Quebec erwischt, sondern Oberfranken!«

      Zu meiner Linken saß Peter, den ich schon seit einer kleinen Ewigkeit kannte. Der quirlige Beamte hatte dereinst im selben Jahr bei der Stadtverwaltung seinen Dienst angetreten wie ich.

      »Was du sagst, das könnte schon richtig sein!«, warf er in Alexandras Richtung ein. »Bloß wissen wir nicht, ob das Phänomen wirklich örtlich begrenzt ist! Und die Misere ist heute mit Sicherheit weitaus schlimmer als damals in Quebec, wo außer diesem größeren Stromausfall und ein paar sonstigen Störungen nichts Schlimmes passiert ist.

      Denk doch mal nach! 1989 war noch nicht jedes Auto und nicht jedes Elektrogerät mit empfindlichen Computer-Chips ausgerüstet, da konnte gar nicht so viel kaputt gehen wie heutzutage! Oder was glaubt ihr, weshalb aktuell so gut wie gar nichts mehr funktioniert? Alles durchgeschmort, das sage ich euch schon jetzt!«

      Diese frustrierende Annahme war tatsächlich berechtigt. Wir analysierten hier nüchtern katastrophale naturwissenschaftliche Vorgänge und waren uns zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht darüber im Klaren, dass wir im Grunde von einem möglichen Ende der Zivilisation sprachen, so wie wir sie bis zu diesem Tag kannten. Erst später, als ich längst wieder alleine in meiner ausgekühlten Wohnung saß, wurde mir das in Ansätzen bewusst. Aber zurück zu unserem außergewöhnlichen Lobby-Sit-In.

      Alexandra ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, behielt ihren kühlen Kopf. »Ist ja alles gut und schön, Leute! Aber bislang sind das alles nicht mehr und nicht weniger als blanke Vermutungen, richtig?«

      Peter nickte. »Richtig! Doch bald wissen wir mehr. Unser Hausmeister ist nämlich gerade auf dem Weg zur Garage eines Freundes, wo er seinen geliebten 1968er Mustang eingestellt hat. Falls der problemlos anspringen sollte, dürfte sofort alles glasklar sein!«

      »Weil da drin wegen des frühen Baujahrs noch kein einziger Chip eingebaut ist, oder?«, dachte ich laut nach.

      »Ganz genau!«, bestätigte Peter und warf nervös einen Blick aus der Eingangs-Glastür, ob dort nicht vielleicht schon eine chromglänzende Stoßstange zu sehen wäre.

      Wer immer diesen Text eines Tages eventuell lesen mag – wissen Sie was? Ich unterbreche jetzt doch und gehe erst einmal ins Bett. Mir ist kalt, meine Füße fühlen sich wie erstarrte Eisklumpen an. Die rechte Hand samt zugehörigem Gelenk schmerzt ziemlich, außerdem erkenne ich die Buchstaben nur noch verschwommen; es sieht für meine überanstrengten Augen aus, als würden sie sich wie eine Ameisenkolonne über das Papier bewegen. Gute Nacht, bis morgen!

      Falls es ein »morgen« überhaupt noch geben wird. In der absoluten Dunkelheit beschleichen einen die abstrusesten Ängste, das dürfen Sie mir ruhig glauben.

      Schönen Valentinstag, Gabi!

      *

      Ich bin heute schon wieder erst aufgewacht, als es draußen längst hell geworden war. Im Grunde macht das nichts aus, weil man ja sowieso nicht früher nach draußen gehen könnte. Wenn man die Hand vor Augen nicht sieht, ist es viel zu gefährlich, auch nur einen Fuß vor die Wohnungstür zu setzen. Dennoch besitze ich eingeschliffene Gewohnheiten und ein fast übermächtiges Pflichtgefühl, welches mir wider alle Logik ein schlechtes Gewissen impliziert.

      Obwohl ich unter normalen Umständen also schon seit bestimmt zwei Stunden ordentlich im Amt an meinem Arbeitsplatz sitzen müsste, befinde ich mich zu Hause bei 5 Grad plus am Schreibtisch, um wenigstens den gestrigen Tag fertig zu dokumentieren. Mit einer Decke um die Schultern und fingerlosen Handschuhen, die meinen klammen Händen wenigstens ein wenig Wärme spenden sollen.

      Die eisige Raumtemperatur desillusionierte mich gleich nach dem Aufwachen gründlich, hatte ich mir doch vor dem Einschlafen noch ganz fest gewünscht, dass heute alles wieder seinen normalen Gang gehen solle. Doch das wird womöglich nie mehr der Fall sein.

      Nach wie vor gibt es weder Strom noch Heizung, in allen Straßen herrscht gespenstische Stille. Wir wurden von einem Augenblick zum anderen zurück in die Steinzeit katapultiert, und noch immer weiß niemand in meiner Umgebung sicher zu sagen, wie dieses katastrophale Ereignis überhaupt seinen Lauf nehmen konnte. Innerhalb weniger Sekunden war die gewohnte Ordnung aus den Fugen geraten.

      Als gestern der Hausmeister mit seinem 1968er Mustang tatsächlich nach einer Weile des angespannten Wartens vor dem Rathaus angeröhrt kam, sahen wir unsere vor allem durch Peter favorisierte Theorie bestätigt. Die Anzeichen, dass sich mit ziemlicher Sicherheit ein »EMP« ereignet haben musste, waren vollzählig und unübersehbar vorhanden.

      Das, was Ecki als »komische Lichter« bezeichnet hatte, war wohl die typische Leuchterscheinung gewesen, die beim Auftreffen geladener Teilchen des Sonnenwindes auf die Erdatmosphäre entsteht. Dort werden Luftmoleküle zum Leuchten gebracht, so dass sich irisierende Schleier aus farbigem Licht über den Nachthimmel bewegen.

      Normalerweise irrlichtern diese Phänomene hauptsächlich in den Polarregionen über den Horizont, doch in den frühen Morgenstunden des 14. Februar 2020 waren sie auch über unserer nordbayerischen Stadt Bayreuth deutlich zu sehen gewesen.

      Ecki hatte also vollkommen richtig beobachtet, jedoch mithilfe seiner kruden Gedankenwelt viel zu abenteuerliche Schlüsse aus seiner Sichtung gezogen.

      Klar – alle, die wir uns hier die Köpfe heiß redeten, waren von Beruf Verwaltungsangestellte oder Beamte, nicht etwa eine Horde hochintelligenter Physik-Genies. Trotzdem fühlten wir uns hinreichend davon überzeugt, die richtigen Schlüsse gezogen zu haben.

      Hausmeister Klaus öffnete die Motorhaube des Mustangs für uns, um stolz zu demonstrieren, inwiefern sich sein schnittiger Oldtimer von unseren modernen, jedoch leider neuerdings fahruntüchtigen Autos unterscheidet.

      Okay, die elektronischen Bauteile waren definitiv das Problem! Nur wussten wir aufgrund dieser Erkenntnis immer noch nicht, ob der Schaden räumlich begrenzt ist, und auch am heutigen Tag werden wir dieses Rätsel wohl nicht lösen können. Wie sollten wir das auch anstellen, woher die Informationen beziehen? Wenn einem weder Internet, noch Fernsehen, noch Radio zur Verfügung stehen, dann erfährt man nur das, was sich direkt vor der eigenen Nase ereignet.

      Peter warf noch einen neuen Aspekt in die Diskussionsrunde, über den wir bisher noch gar nicht nachgedacht hatten. Ein zerstörerischer EMP kann nämlich nicht nur durch natürliche Sonnenstürme ausgelöst werden, sondern beispielsweise auch durch eine von Menschen zu Kriegszwecken gefertigte EMP-Bombe. Die Technologie hierzu existiert heute bereits, und wenn solche Waffen den falschen Gruppierungen in die Hände fallen, dann scheint nahezu alles denkbar.

      »Das Kernprinzip von solchen Bomben besteht darin, durch eine Explosion ein elektromagnetisches Feld blitzartig zu komprimieren. Dabei verwandelt sich eine Menge mechanischer


Скачать книгу