DSA: Rabenerbe. Heike Wolf
zu planen.«
Amato nickte. Zu gerne hätte er mit Reto über den kommenden Feldzug gesprochen. Schließlich war der Mittelreicher in seinem vorigen Leben Krieger gewesen und verstand vermutlich viel mehr vom Taktik und Kriegskunst als er selbst. Aber solange der General schwieg, war auch er zum Stillschweigen verpflichtet.
»Es scheint so«, sagte er daher unbestimmt und trat zu der Sänfte, die am Kai auf ihn gewartet hatte. »Ich will nach Hause. Sorg dafür, dass uns unterwegs niemand aufhält. Ich will nachdenken.«
Retos Blick verriet, dass er ahnte, was in ihm vorging. Aber zu Amatos Erleichterung beließ er es dabei und knurrte stattdessen Befehle in Richtung der Träger, die ihrem Herrn gehorsam beim Einsteigen halfen.
Amato ließ die Vorhänge fallen, die ihn vor den neugierigen Blicken der einfachen Bevölkerung, der Fana, verbarg, und lehnte sich in die Kissen zurück. Er rümpfte die Nase, als er feststellte, dass seine Sklaven die Seide mit einem süßlichen Duftwasser besprengt hatten. Er musste ihnen sagen, dass sie das unterlassen sollten, dachte er seufzend, während er die Augen schloss und versuchte, den herablassenden Ausdruck im Gesicht der Offizierin aus seiner Erinnerung zu verbannen. Sie hatte sich nicht einmal Mühe gegeben, ihre Geringschätzung zu verhehlen. Aber letztendlich zeigte sie nur, was auch viele andere dachten, unverblümter vielleicht, weil sie womöglich meinte, es sich angesichts des drohenden Krieges leisten zu können. Not und Macht brachten die Menschen dazu, ihr wahres Gesicht zu zeigen, hatte Reto einmal zutreffend festgestellt. Der Mittelreicher sah die Dinge ohnehin erstaunlich nüchtern und klar.
Er sollte mit seinem Beschützer sprechen, nicht über den Krieg, aber über die seltsame Beklemmung, die ihn seit Tagen nicht losließ. Wenn er mit jemandem reden konnte, dann mit Reto.
Obwohl er als enger Berater des Generals einer der einflussreichsten Personen in der Stadt war, hatte Amato es bislang vermieden, sich auf dem Silberberg niederzulassen, wo die Grandenfamilien geschützt durch Mauern und Dukatengardisten ihre Paläste unterhielten. Stattdessen lebte er nach wie vor in der Villa in der Grafenstadt, die er nach dem Tod seines Vaters gekauft hatte. Desiderya hatte er das Anwesen genannt, und nur wenige wussten um die wahre Bedeutung dieses Namens, dessen Trägerin kaum noch eine blasse Erinnerung war. Und doch schien es Amato, als sei es erst gestern gewesen, dass die Gladiatorin in der Arena gestorben war. Es waren diese Momente, in denen er das Gefühl hatte, als sei die Zeit für ihn stehen geblieben. Mehr als zwölf Jahre waren ins Land gegangen, seit Goldo ihm den Sitz im damaligen Rat der Zwölf verschafft hatte, und doch fühlte er sich noch genauso unwohl wie am Anfang, wenn er versuchte, seinen Platz in dieser Schlangengrube zu finden.
»Willkommen zurück, Herr«, begrüßte ihn seine Sklavin Ismelde, als die Sänfte schließlich zum Stehen gekommen war. Sie reichte ihm eine Hand, um ihm beim Aussteigen behilflich zu sein. »Wart Ihr erfolgreich?«
»Ich denke schon.« Amato lächelte flüchtig und nickte ihr dankbar zu. Ismelde war Mittelreicherin wie Reto und ein Geschenk Goldos, als er nach der Terrorherrschaft der Duumvirn seinen Haushalt hatte neu ordnen müssen. Amato mochte die kluge Frau, die als junges Mädchen von Piraten geraubt und auf dem Sklavenmarkt verkauft worden war. Sie verstand ohne Worte, was er brauchte, und führte seinen Haushalt mit ruhiger, aber bestimmter Hand, ohne dass er sich ständig vergewissern musste, ob man ihn nicht hinterging.
»Der Besuch war sehr aufschlussreich. Ich muss allerdings noch über ein paar Dinge nachdenken. Lass bitte etwas zu essen in mein Arbeitszimmer bringen, und sorg dafür, dass man mich nicht stört, ja?«
»Wie Ihr wünscht, Herr.« Ismelde neigte den Kopf. »Lanista Cortez trug mir im Übrigen auf, Euch mitzuteilen, dass der Neuzugang Ärger macht. Sie hat ihn bis auf Weiteres in seiner Zelle untergebracht und bittet Euch um ein Gespräch.«
Amato war sich sicher, dass die Lanista nicht gebeten hatte – Samana Cortez war die Ausbilderin seiner Gladiatoren und eine Frau, vor der selbst Reto Achtung hatte. Wenn sie ihn sprechen wollte, musste etwas ganz gewaltig im Argen liegen. Unschlüssig glitt sein Blick hinüber zu dem Weg, der an der Villa vorbei zum Ludus führte, wo seine Gladiatoren untergebracht waren. An anderen Tagen wäre er der Aufforderung wahrscheinlich ohne zu zögern nachgekommen und hätte sich selbst ein Bild der Lage gemacht. Sein Ludus galt als der beste der Stadt, und die Zeit, in der er als Ratsmitglied für die Arena verantwortlich gewesen war, hatte seinen Namen unwiederbringlich mit den Gladiatorenspielen verknüpft. Bei den Fana sprach man noch heute über den Zwischenfall, als er aus der Loge hinab in den Sand gesprungen war, um Reto vor dem Todesstoß zu bewahren. Diese Tat hatte ihm die Abhängigkeit von Goldo eingebracht, aber auch die Herzen des Volkes zugetragen. Dennoch waren ihm die Herzen der Fana bis heute fremd. Es erschreckte ihn, wenn man seine Sänfte umringte, weil man auf seine Fürsprache hoffte, auf eine Handvoll Münzen oder auch nur ein gutes Wort, das er nicht fand.
Bei seinen Gladiatoren war es anders. Amato wusste, dass es unter den Granden einige gab, die sich nicht darum scherten, ob ihre Kämpfer die nächsten Spiele überstanden, weil sie sie für ersetzbar hielten und dem Volk lieber eine Orgie aus Blut und Tod als einen guten Kampf lieferten. Amato kannte jeden einzelnen seiner Gladiatoren, wusste um ihre Stärken und Schwächen, fieberte mit, wenn sie kämpften, und sorgte nach dem Kampf dafür, dass sich die besten Ärzte der Stadt ihrer Verletzungen annahmen. Seine Lanista wusste, dass sie ihn rufen musste, wenn es Schwierigkeiten gab, und einen Moment lang war Amato versucht, diese ganze unsägliche Sache mit dem Krieg beiseitezuschieben und sich um diesen Neuzugang zu kümmern. Aber er musste die Pläne des Generals verstehen, um sie den Granden schmackhaft zu machen, die letztendlich die Schiffe und das Geld für diesen Feldzug stellten.
»Kümmere dich bitte darum, Reto«, wandte er sich an seinen Beschützer. Ein mattes Lächeln kroch über seine Lippen. »Und komm danach zu mir.«
Der Mittelreicher runzelte die Stirn, aber er sagte nichts, sondern nickte nur. Dankbar sah ihm Amato nach, und wieder einmal spürte er dieses tiefe Bedauern, Reto nicht alles anvertrauen zu können. Sich einfach in seinen Armen zu verlieren, nicht denken zu müssen.
Amato straffte die Schultern und atmete durch, um das beengende Gefühl abzuschütteln, das sich um seinen Hals gelegt hatte. Er durfte darüber nicht nachdenken. In dieser Welt gab es keinen Platz für starke Arme, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, Reto zu verlieren. Al’Anfa war eine großzügige Herrin, aber sie war auch grausam. Und die Erinnerung an Vittorios Tod brannte zu tief, als dass Amato sie vergessen konnte.
Sein Arbeitszimmer war schlicht und mit Blick auf den Ludus angelegt, sodass Amato vom Schreibtisch aus dem Geschehen auf dem Sandplatz folgen konnte. Zwei Gladiatorenpaare übten gerade eine Schlagabfolge. Die Stimmen der Kämpfer und die Geräusche der Stadt drangen zu ihm hinauf und mischten sich mit dem grellen Keckern eines Affen, der irgendwo über ihm auf dem Dach hocken musste. Die Schwüle war inzwischen fast unerträglich, die Luft hing drückend über den Hängen des Visra, über denen sich bereits die Wolken ballten und das Licht der Praiosscheibe verdunkelten. Kein halbes Stundenglas, dann würde der mittägliche Regen über die Stadt niedergehen und die Hitze, den Gestank und die Schwüle für einen Moment mit sich reißen. Und vielleicht konnte er dann wieder klarer denken.
Amato starrte auf das Blatt Papier, auf dem er versucht hatte, die Ausführungen der Offizierin in eine Ordnung zu bringen. Er hätte seinen Sekretär mitnehmen sollen, um Notizen zu machen, dachte er seufzend, während er eine Zahl änderte, kurz nachdachte und sie dann erneut umschrieb. Er hatte darüber nachgedacht, war aber wieder davon abgekommen, weil er es nicht mochte, wenn jemand neben ihm stand und jedes Wort notierte. Inzwischen wäre er froh gewesen, hätte er es getan.
Schwere Schritte lenkten seine Aufmerksamkeit zur Tür, und im nächsten Moment klopfte es. »Don Amato?«
»Reto!« Erleichtert ließ Amato die Feder sinken und sprang auf, zwang sich dann aber doch dazu, neben dem Schreibtisch stehen zu bleiben. »Komm herein. Gibt es etwas Neues?«
»Wegen des Neuzugangs? Ja.« Der Beschützer schloss die Tür hinter sich und wandte sich zu Amato um. Sein kantiges Gesicht blickte grimmig. »Ihr solltet über Eure Vorliebe für Nordländer nachdenken. Dieser hier weigert sich, zur Ergötzung der Massen zu kämpfen. Er verweigert nahezu alles. Die Lanista hat ihn festketten