Emotionen und Affekte bei Kindern und Jugendlichen. Hans Hopf
Trübungen, Verengungen des Bewußstseins gibt es in mannigfachen Formen als Folge und Begleitung einzelner Erlebnisse. … Bei heftigen Affekten, in Angstzuständen, ferner in tiefen Melancholien, wie in manischen Zuständen ist die Konzentration, die Möglichkeit, sich auf etwas zu besinnen, über etwas nachzudenken, ein Urteil zu gewinnen, sehr erschwert« (Jaspers, 1973, S. 119); Hervorh. b. Autor).
Bei aufregenden Gelegenheiten würde die normalerweise gegebene Kontrolle von Emotionen versagen, alle Fähigkeiten versagten in der Affektreaktion.
Die Rolle der Persönlichkeit, speziell die des Ichs, im Zusammenhang mit Emotionen bzw. Affekten wird weiter unten noch ausführlich zu behandeln sein.
Die außerordentlich vielfältigen Definitionsvorschläge sollten nach Auffassung des Emotionspsychologen Klaus R. Scherer nicht dazu führen, eine allgemein verbindliche Emotionsdefinition vorzulegen. Es reiche aus, von der Vorstellung auszugehen,
»… daß zum Zustandekommen und Ablauf emotionaler Prozesse sowohl subkortikale als auch kortikale Verarbeitungsmechanismen externer oder interner Reizung, neurophysiologische Veränderungsmuster, motorischer Ausdruck, Motivationstendenzen und Gefühlszustände beitragen« (Scherer, 1990, S. 3).
Scherer schlägt ein Modell mit fünf »organismischen Subsystemen« vor, die alle jeweils eigene Funktionen für Adaptation und Verhalten des Organismus hätten:
• Informationsverarbeitungssystem,
• Versorgungssystem,
• Steuerungssystem,
• Aktionssystem,
• Monitorsystem.
»Die hier vorgeschlagene Definition postuliert mithin folgenden Ablauf des Emotionsprozesses: Die Ergebnisse von Informationsverarbeitungsprozessen, kortikal oder subkortikal, führen zu Veränderungen der Zustände aller fünf Subsysteme. Diese Veränderungen führen zu komplexen Wechselwirkungen und damit zu einer Synchronisation der Systemzustände, auch wenn die speziellen Eigenschaften der einzelnen Subsysteme unterschiedliche Verlaufsformen oder Veränderungsprozesse nahelegen. Während der Episoden der so synchronisierten Subsysteme ist mithin die gesamte Verarbeitungskapazität des Organismus auf den speziellen Auslöser gerichtet. Die emotionale Episode endet, wenn die Synchronisation und das gegenseitige Einwirken der Subsysteme aufeinander schwächer werden und die einzelnen Subsysteme wieder ihre speziellen Funktionen übernehmen« (Scherer, 1990, S. 7).
2.3 Funktionen von Gefühlen und Emotionen
Von der Evolution herausgebildete, erbbiologisch tief verankerte Reaktionsweisen basieren auf ganz grundlegenden Mechanismen, die mit Gefühlen in Verbindung gebracht werden müssen wie Kampf- oder Fluchtimpulse, die einen Überlebensvorteil bieten, eben um lebenswichtige Ziele zu sichern bzw. zu erlangen und schädliche Situationen zu beenden (Schneider & Dittrich, 1990). Erstere sind mit aggressiven und letztere mit Angstemotionen verbunden. Einig ist man sich in der heutigen Emotionsforschung darüber, dass Emotionen unverzichtbar wichtig sind bei der Erreichung von Verhaltenszielen, die den Reproduktionserfolg und so die Weitergabe von Genen sicherstellen und gefährliche Situationen zu vermeiden gestatten. Biologen und Philosophen sind sich darin einig, dass die Erscheinung von Emotionen essenziell war, um Leben in der Evolution auf eine höhere Stufe zu heben (Langer, 1967; Izard & Malatesta, 1987).
Emotionen konnten erst auf einer Stufe der Entwicklung der Arten vorteilhaft werden, auf der starre Verknüpfungen von Reiz-Reaktionsschemata zugunsten einer größeren Verhaltensvariabilität und damit zugunsten einer größeren Entscheidungsfreiheit aufgegeben werden konnten (Izard & Malatesta, 1987; Schneider & Dittrich, 1990).
Emotionen haben eine »handlungsstützende« sowie eine »kommunikative« Funktion (Geppert & Heckhausen, 1990). Im ersteren Sinne dienten Emotionen der Initiierung und Bestimmung der Intensität einer Handlung, der Aufrechterhaltung oder Beendigung einer Handlung, während die kommunikative Funktion von Emotionen darin bestehe, dass über Ausdruckserscheinungen Beobachtern Signale bezüglich der eigenen Zustände und Handlungsbereitschaften geliefert werden.
»Emotionen greifen in die bewusste Verhaltensplanung und -steuerung ein, indem sie bei der Handlungsauswahl mitwirken und bestimmte Verhaltensweisen befördern. Hierbei spricht man von Motivation. Als Wille ›energetisieren‹ sie die einen Handlungen bei ihrer Ausführung und unterdrücken als Furcht oder Abneigung andere. Sie steuern unsere Gedanken, Vorstellungen und insbesondere unsere Erinnerungen.
Der große mittelalterliche Philosoph Thomas von Aquin definierte Emotionen als ›etwas, das die Seele antreibt‹ in Richtung auf etwas Gutes oder Schlechtes. Ohne emotionale Impulse keine Aktionen!« (Roth, 2001, S. 263; Hervorh. b. Autor).
Der Kleinkindforscher René Spitz (1980) hebt die Bedeutung von Emotionen und Affekten für die Gedächstnisleistung hervor.
»Bei den Tieren haben die Verhaltensforscher unter den Bedingungen emotionaler Belastung (stress) eine enorme Beschleunigung der Erinnerungsspeicherung beobachtet.
Bei den … besprochenen Affektphänomenen ist die Rolle der zugrunde liegenden Triebregung (deren Indikator der Affekt ist) in der Entwicklung von Denkvorgängen von großem Interesse« (Spitz,1980, S. 162 f.).
Dies gilt aber ebenso für intensive positive emotionale Eindrücke (Roth, 1996).
Laux und Weber (1990) sehen sogar eine enge Nachbarschaft zwischen den Begriffen »Stress« und »Emotion« und diskutieren Emotion unter der Überschrift »Bewältigung von Emotionen«. Emotionen dienten der Bewältigung von Belastungs- und Stresssituationen, wie sie auch durch gegebene Bewältigungsressourcen modifiziert würden.
Zusammenfassung
• Es gibt keine einheitliche Emotionstheorie.
• Keine der bekannten philosophischen Sichtweisen vom Altertum bis zur Aufklärung negierte die Bedeutung von Emotionen bzw. Affekten im menschlichen Leben.
• Emotionen und Affekte werden als Teil der menschlichen Natur gesehen.
• Bezüglich der Bewertungen allerdings gehen die Meinungen auseinander: Die meisten Philosophen betonen die unverzichtbare Notwendigkeit von Emotionen für ein glückliches Leben, die anderen sehen speziell in Affekten eine Gefahr.
• Affekte werden von einigen philosophischen Richtungen bzw. Philosophen als den Menschen in die Irre führend angesehen, den Intellekt bedrohend, weshalb sie am besten durch die Entwicklung von Tugend und Beherrschung vermieden werden sollten.
• Affekte werden als eine deutlich von Emotionen abgrenzbare Kategorie angesehen, insofern sie sich weitgehend einer bewussten Kontrolle entziehen.
• Gefühle bzw. Emotionen kommen durch hochkomplexe innerorganismische Aktivitäten zustande, an der verschiedene »organismische Subsysteme« beteiligt sind, was eine einheitliche Erklärung und Definition für den Bereich des subjektiven, gefühlshaften Erlebens unmöglich macht.
Literatur zur vertiefenden Lektüre
Bischof, N. (2008). Psychologie. Ein Grundkurs für Anspruchsvolle. Stuttgart: W. Kohlhammer.
Damasio, A. R. (2018). Descartes’ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. 9. Auflage. Berlin: List.
Fonagy, P., Gergely, G., Jurist, E. L. & Target, M. (2002). Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. Stuttgart: Klett-Cotta.
Scherer, K. R. (1990). Theorie und aktuelle Probleme der Emotionspsychologie. In: K. R. Scherer (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie. Psychologie der Emotion – Motivation und Emotion (S. 1–38). Band 3. Göttingen: Hogrefe.
Weiterführende Fragen
• Die meisten Philosophen postulierten, dass Affekte kultiviert werden müssten. Welche Begriffe verwendeten sie?
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