Emotionen und Affekte bei Kindern und Jugendlichen. Hans Hopf

Emotionen und Affekte bei Kindern und Jugendlichen - Hans Hopf


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Welcher Philosoph sieht eine grundlegende Ethik erst durch was gewährleistet?

      3 Zur Evolution von Gefühlen

      3.1 Darwin und das Bild vom Menschen

      Den größten Einfluss auf das heutige Wissen über die Natur der Lebewesen und damit auch des Menschen allerdings hatte Charles Darwin. Er belegte nicht nur als Erster aufgrund anatomischer Gemeinsamkeiten oder großer Ähnlichkeiten zwischen den verschiedenen Arten die gemeinsame Abstammung aus vorangegangenen Lebensformen, sondern er unterstellte auch gemeinsame Wurzeln von Intelligenz, Denkfähigkeiten, Gedächtnis und Gefühlen (Darwin, 1859; 1877; 2013; Plutchik, 1980). Der Ausgangspunkt seiner Entdeckungen war die Beobachtung, dass es bestimmte Formen des Anpassungsverhaltens gibt, die alle Organismen als Reaktion auf spezielle Ereignisse in ihrer Umgebung zeigen, selbst die einfachsten Lebensformen. Die Umgebung aller Organismen kreiere die gleichen Probleme, z. B. die Notwendigkeit der Identifikation von Beute und Räuber, Freund und Feind oder Nahrung (Pluchik, 1980). Emotionen seien körperliche Reaktionen, im Inneren wie im Verhalten nach außen, um die basalen Überlebensprobleme zu bewältigen, die die Umgebung hervorrufe. Gefühle stellten Lösungsversuche des Organismus dar, Kontrolle über bestimmte Ereignisse zu gewinnen, die im Zusammenhang mit dem Überleben des Organismus stünden.

      Darwins Beobachtungen und Schlussfolgerungen zur Verwandschaft emotionaler Reaktionsweisen bei verschiedenen Lebensformen beziehen sich auf körperliche Reaktionsweisen wie auch auf emotionale Ähnlichkeiten.

      »Beim Menschen lassen sich einige Formen des Ausdrucks, so das Sträuben des Haares unter dem Einflusse des äuszersten Schreckens, oder des Entblöszenz der Zähne unter der rasenden Wuth, kaum verstehn, ausgenommen unter der Annahme, dasz der Mensch früher einmal in einem viel niedrigeren und thierähnlichen Zustande existirt hat. Die Gemeinsamkeit gewisser Ausdrucksweisen bei verschiedenen, aber verwandten Species, so die Bewegungen derselben Gesichtsmuskeln, während des Lachens beim Menschen und bei verschiedenen Affen, wird etwas verständlicher, wenn wir an deren Abstammung von einem gemeinsamen Urerzeuger glauben.

      […]

      Um eine so gute Grundlage als nur möglich zu gewinnen und nun, unabhängig von der gewöhnlichen Meinung, zu ermitteln, in wie weit besondere Bewegungen der Gesichtszüge und eigenthümliche Geberden wirklich gewisse Seelenzustände ausdrücken, habe ich die folgenden Mittel als die nützlichsten befunden. An erster Stelle sind Kinder zu beobachten: denn sie bieten, wie Sir Ch. Bell bemerkt, viele seelische Erregungen, ›mit auszerordentlicher Kraft‹ dar; während im späteren Leben mehrere unsrer Ausdrucksarten ›aufhören, der reinen und einfachen Quelle zu entspringen, aus welcher sie in der Kindheit hervorgehen‹« (Darwin, 2013, S. 11 f.).

      Darwin stellte grundlegende Prinzipien auf, die seiner Auffassung nach am besten die Ausdrucksformen und Gebärden erklären, die vom Menschen und niederen Tieren unter dem Einfluss unterschiedlicher »Seelenbewegungen und Gefühle« unwillkürlich gebraucht würden und anlagebedingt seien.

      »Dasz die hauptsächlichsten ausdruckgebenden Handlungen, welche der Mensch und die niedern Thiere zeigen, jetzt angeboren oder angeerbt sind, – d. h. dasz sie nicht von dem Individuum gelernt worden sind – wird von jedermann zugegeben. Ein Erlernen oder Nachahmen hat mit mehreren derselben so wenig zu thun, dasz sie von dem frühesten Tagen der Kindheit an durch das ganze Leben hindurch vollständig auszer dem Bereiche der Controle liegen: so z. B. die Erschlaffung der Arterien in der Haut und die erhöhte Herzthätigkeit beim Zorn. Wir können Kinder, nur zwei oder drei Jahre alt und selbst blindgeboren, vor Scham erröthen sehen« (Darwin, 2013, S. 322).

      Junge wie alte Individuen sehr unterschiedlicher Ethnien drückten die gleichen Seelenzustände durch die gleichen Bewegungen bei Menschen wie bei Tieren aus.

      »Die bei weitem größere Zahl der Bewegungen des Ausdrucks, und alle die bedeutungsvolleren, sind, wie wir gesehen haben, angeboren und vererbt, und von diesen kann man nicht sagen, dasz sie vom Willen des Individuum abhängen. Nichtsdestoweniger waren alle die unter unser erstes Gesetz Fallenden ursprünglich zu einem bestimmten Zwecke ausgeführt worden – nämlich um irgend einer Gefahr zu entgehen, irgend eine Noth zu erleichtern oder irgend ein Verlangen zu befriedigen« (Darwin, 2013, S. 324).

      Und:

      »Ich habe mit ziemlich detaillierter Ausführlichkeit zu zeigen mich bemüht, dasz alle die hauptsächlichsten Ausdrucksweisen, welche der Mensch darbietet, über die ganze Erde dieselben sind. Diese Thatsache ist interessant, da sie ein neues Argument zu Gunsten der Annahme beibringt, dasz die verschiedenen Rassen von einer einzigen Stammform ausgegangen sind. … Es ist bei weitem wahrscheinlicher, dasz die vielen Punkte groszer Ähnlichkeit in den verschiedenen Rassen Folge der Vererbung von einer einzigen elterlichen Form sind, welche bereits einen menschlichen Charakter angenommen hatte« (Darwin, 2013, S. 330 f.).

      Darwin ging von einer gemeinsamen Abstammung aus, Ausdrucks- und Verhaltensmuster sah er als angeboren und als Folgen von Vererbung an.

      »Die Bewegungen des Ausdrucks im Gesicht und am Körper, welcher Art auch ihr Ursprung gewesen sein mag, sind an und für sich selbst für unsere Wohlfahrt von groszer Bedeutung. Sie dienen als die ersten Mittel der Mittheilung zwischen der Mutter und ihrem Kinde; sie lächelt ihm ihre Billigung zu und ermuthigt es dadurch auf dem rechten Wege fortzugehen, oder sie runzelt ihre Stirn aus Missbilligung« (Darwin, 2013, S. 335).

      3.2 Basisemotionen und ethnologische Sichtweisen

      Die Darwin’sche Sichtweise der vererbten Anlage und zu automatischen, ganz spezifischen gemütshaften Reaktionen auf bestimmte Umgebungsanforderungen hat sich in den Emotionstheorien auf breiter Ebene niedergeschlagen. In der psychologischen Literatur zu Emotionstheorien geht man davon aus, dass es sogenannte »Basisemotionen« gibt, die universell und für alle Menschen, Ethnien und Kulturen Gültigkeit besitzen (Zimbardo & Gerrig, 2004). Die allgemein gehandelten Basisemotionen seien Wut, Angst, Ekel, Erschrecken, Freude, Überraschung und Trauer. Diese Aufzählung differenzieller, angeborener Emotionszustände wird u. a. auf den Emotionsforscher Paul Ekman zurückgeführt, der emotionale Regungen anhand von menschlichen Gesichtsausdrücken seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts beforscht. In neuerer Zeit geht Ekman von fünf Basisemotionen aus (Ekman, 1992): Freude, Trauer, Zorn, Furcht und Ekel.

      »Diese elementaren Emotionen sind in bezug auf folgende neun Eigenschaften charakterisiert: distinktive universale Signale, Vorkommen auch bei nicht-menschlichen Primaten, distinktive Physiologie, distinktive universale Aspekte in Auslöservorgängern, Kohärenz der emotionalen Reaktionen, schnelles Einsetzen, kurze Dauer, automatische Bewertung und unerbetenes Auftreten (Ekman, 1992)« (Fonagy et al., 2008, S. 80; Zitat dort).

      Unter evolutionärer Perspektive stellt der gefühlshafte Ausdruck (speziell der Affekt) ein Signal für eine bestimmte Verhaltensbereitschaft dar (Steimer, 2005, S. 313). Die evolutionäre Sicht betont den Überlebensvorteil von Verhalten und Ausdruck, und dazu gehört der kommunikative Charakter der Ausdrucksformen, der dazu dient, an Freund und Feind Signale auszusenden, die für den Sender überlebensnotwendig sind, ihn schützen (Signale von Aggressions- und Kampfbereitschaft, Gefahr für den Angreifer) oder ihm dienlich sein sollen (Signale bezüglich Paarungsbereitschaft, Nahrung, Sicherheit).

      Ethnologische Forschungen von Benedict (1934) und Mead (1939) vertraten schon früh die Auffassung, dass zwischen verschiedenen Kulturen enorme Unterschiede hinsichtlich der Formen des Gefühlsausdrucks bestünden. Unterschiedliche Kulturen lehrten ihre Mitglieder unterschiedliche Regeln über angemessene Verhaltensweisen und wie Emotionen in verschiedenen sozialen Kontexten und Situationen zu zeigen seien (Gluck et al., 2010). Zusammenfassend kann man davon ausgehen, dass die Fähigkeit zum Emotionserleben und -ausdruck anlagebedingt ist und auf evolutionär unverzichtbaren Gegebenheiten fußt, die Formen des emotionalen Erlebens und des Emotionsausdrucks hingegen aber sozial und kulturell vermitteltet sind.

      Zusammenfassung

      • Bestimmte basale Gefühle werden als evolutionsbedingt aufgefasst und sind ethnien- und kulturübergreifend erkennbar.

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