Emotionen und Affekte bei Kindern und Jugendlichen. Hans Hopf

Emotionen und Affekte bei Kindern und Jugendlichen - Hans Hopf


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– einen Überlebensvorteil.

      • Aufgrund der Ähnlichkeit basaler Emotionsausdrücke ging Darwin von einer gemeinsamen Abstammung aus, so dass Ausdrucks- und Verhaltensmuster als angeboren und somit vererbt betrachtet werden müssten.

      • Ethnologische und Hirnforscher dagegen betonen kulturelle Unterschiede in emotionalen Ausdrucksformen, die darauf hindeuteten, dass nicht alles am emotionalen Ausdruck erbbiologisch vorgegeben, sondern vieles erfahrungs- und lernabhängig sei.

      Literatur zur vertiefenden Lektüre

      Darwin, C. (2013). Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren. Bremen: Bremen University Press.

      Plutchik, R. (1980). Emotion. A psychoevolutionary synthesis. New York, NY: Harper & Row.

      Zimbardo, P. G. & Gerrig, R. J. (2004). Psychologie. 16. Auflage. München: Pearson.

      Weiterführende Fragen

      • Wie sieht das Verhältnis zwischen Körper und Emotion bei Darwin aus?

      • Ist die Universalität basaler emotionaler Ausdrucksformen erbbiologisch festgelegt, oder kann auch eine kulturelle Überformung erfolgen?

      • Wie kann man sich erklären, dass sich – trotz gemeinsamer Abstammung – in verschiedenen Kulturen unterschiedliche emotionale Ausdrücke entwickeln?

      4 Emotionstheorien

      4.1 Theorien zur erbbiologischen Anlage von Emotionen

      Theorien, die von einer anlagebedingten, also vererbten Fähigkeit zu Gefühlsausdrücken ausgehen, stehen naturgemäß der Darwin’schen Auffassung von einem gemeinsamen Stammbaum des Gefühlsausdrucks und seinen Erscheinungsformen nahe. Wenn nun alle Lebewesen einen gemeinsamen Ursprung haben – was heute wissenschaftlich nicht mehr angezweifelt werden kann –, dann muss auch von einer Verwandtschaft von bestimmten Verhaltens- und Ausdrucksweisen ausgegangen werden, so dass eine gewisse Universalität auch bei den Gefühlsausdrücken zu unterstellen ist. Wie Darwin überzeugend nachgewiesen hat, handelt es sich beim Ausdruck von Gefühlen nicht um eine beliebige Spielart, sondern um überlebensnotwendige und – im Laufe langer Entwicklungszeit – überlebensoptimierte Formen des Ausdrucks von Gemütszuständen, die zwar kulturell mehr oder weniger überformt werden können, die aber in ihrem Grundcharakter vermutlich eher identischer als ähnlicher Natur sein dürften.

      Überlebensnotwendige Fähigkeiten von Organismen gehören also zur genetischen Grundausstattung, die nicht einfach abgelegt werden können. Aus dieser Sicht muss es auch gleiche oder ähnliche Ausdrucksformen geben, die nicht vom jeweiligen individuellen Lebewesen oder von der sozial-kulturellen Umgebung kreiert worden sind und allgemein verstanden werden. Speziell beim Menschen gelangt man aber schnell zu der Frage, ob es nicht auch individuelle Formen des Gefühlsausdrucks gibt, dass also die Art und Weise des Gefühlsausdrucks nicht grundsätzlich starr und vorgegeben ablaufen muss, sondern dass auch individuelle Überformungen gefühlshafter Ausdrücke möglich werden, ohne den Grundcharakter der evolutionär erworbenen und für ein Überleben notwendigen Bedürfnisse zu verlieren.

      Theoretiker des anlagebedingten Erklärungsansatzes von Gefühlsausdrücken kommen aus den verschiedensten psychologischen Schulen und Sichtweisen, sie reichen von evolutionär-anthropologisch orientierten Motivations- und Persönlichkeitsforschern bis hin zu lerntheoretisch-verhaltenstherapeutischen und psychodynamischen Theoretikern. Sie alle gehen mal mehr, mal weniger von anlagebedingten, erblichen Ursprüngen menschlicher Gefühlsausdrücke aus. Basale Gefühle haben sich im Laufe der Evolution in primitiver oder differenzierterer Form bei allen Arten entwickelt und haben ihrer Auffassung nach einen adaptiven Charakter, weil sie im Überlebenskampf von unverzichtbarer Notwendigkeit sind. Aus dieser Perspektive kann es dann auch keine Frage mehr sein, ob Gefühle und Empfindungen anlagebedingt vorgegeben sind oder nicht. Die grundsätzliche Fähigkeit zum emotionalen Empfinden und zum Ausdruck desselben ist es zweifelsfrei immer, es stellt sich lediglich die Frage, inwieweit Emotionen modifiziert und zu differenzierteren Erlebens- und Ausdrucksweisen ausgeformt werden können, wodurch dies erfolgt und wovon dies abhängt. Außerdem stellt sich die Frage, ob bestimmte Emotionen, die nicht ursprünglich erbbiologisch mitgegeben wurden, nicht auch ausschließlich sozial und kulturell vermittelt werden können. Die Fähigkeit zur Ausformung bestimmter Emotionen oder Affekte dürfte zweifelsfrei eine genetische Mitgift sein, die Formen seelischen Ausdrucks hingegen könnten von relativ primitiven, rein anlagebedingten Ausdrucksweisen bis hin zu hoch differenzierten, phylogenetisch und ontogenetisch ausgebildeten reichen.

      Sehr frühe Annahmen zum Zusammenhang zwischen »Seelenbewegungen« und Körper lassen sich bereits auf Aristoteles zurückführen, der eine untrennbare Einheit zwischen beiden sah (Aristoteles, 2011). Ebenso sah Darwin (2013) emotionale Ausdrucksformen als ungelernt und anlagebedingt an, als Mitgift der Evolution im »struggle for survival«.

      Auch Freuds Auffassungen von den Gefühlen und vom Affekt basieren auf körperlichen Vorgängen. Freud präzisierte seine Theorien erstmals 1892 in »Ein Fall von hypnotischer Heilung« und sah im sogenannten »Erwartungsaffekt«, der an bestimmte Vorstellungen geknüpft ist, einen verunglückten Kompromiss aufgrund eines ungelösten Konfliktes (GW I, 1892). Seine frühen Auffassungen vom Affekt basieren auf dem Konzept seiner Triebtheorie. Im Kern der Theorie werden Affekte konflikttheoretisch hergeleitet, insofern sie einem Lust-Unlust-Spannungsverhältnis entspringen. Diesem frühen Modell zufolge entstehen Affekte in Situationen, in denen die Triebenergie, mit der Vorstellungsinhalte besetzt sind, nicht in motorische Interaktionen übergeführt oder nicht erfolgreich unterdrückt werden können.

      Auch Watson – der Begründer des Neobehaviorismus – ging davon aus, dass Emotionen ungelernte Reaktionsmuster, mithin erbbiologisch angelegte Phänomene seien (Plutchik, 1980). Wie eine unkonditionierte Reaktion seien sie genetisch angelegt und erfolgten mit ziemlicher Konstanz und Regelmäßigkeit auf bestimmte Reize hin. Auch dem US-amerikanischen Psychoanalytiker Rapaport zufolge existieren bereits bei der Geburt angeborene Abfuhrkanäle für Affekte, die ab bestimmten Schwellenwerten für die Abfuhr genutzt würden (Rapaport, 1942; 1953; Plutchik, 1980; Zepf, 2000).

      Weitere namhafte Emotionsforscher wie Sylvan S. Tomkins gingen von speziesspezifischen Anlagen, »programmierten« Emotionen, aus. Sein bekanntester Schüler, Carroll B. Izard, legte seinem Emotionsbegriff ebenfalls eine genetische Sichtweise zugrunde. Emotionen waren für ihn primär mimische Gesichtsausdrücke, die eine neurologische Basis haben. Wie sein Lehrer Tomkins ging auch er zunächst von subkortikalen Zentren mit genetisch festgelegten »Programmen« für einzelne Emotionen aus. Individuen lernten nicht, ängstlich oder depressiv zu sein, sie lernten lediglich die Schlüsselreize, die die Gefühle von Angst oder Depression hervorriefen (Izard, 1977). Wie Tomkins auch ging Izard von einer kleinen Anzahl von anlagebingten »Basisemotionen« aus.

      Magda B. Arnold war in ihrer Zeit die erste Theoretikerin, die sich von den James-Lange- und Cannon-Bard-Gefühlstheorien (s. weiter unten) distanzierte und eine kognitive Richtung einschlug. Auch sie nahm zwar angeborene Reaktionsmuster an, die aber durch Lernprozesse modifiziert werden könnten (Arnold, 1960). Sie kritisierte die Emotionstheorien ihrer Zeit, indem sie die Wichtigkeit längerer Beobachtungszeiträume von kleinen Kindern einforderte. Laborforschungen taugten nichts, Kinder reagierten über längere Zeiträume mit unterscheidbaren emotionalen Mustern auf vergleichbare Auslöser, was die Bedeutung der individuellen Modifizierbarkeit von Emotionen hervorhebe.

      Der Emotionstheoretiker Robert Plutchik zählt zu den bedeutendsten Emotionsforschern der jüngeren Zeit. Grundsätzlich geht er von einem evolutionären Standpunkt der Emotionsentstehung aus. Emotionen sind diesem Darwin’schen Denkmodell folgend in der Phylogenese durch Selektionsprozesse entstanden und haben somit eine genetische Grundlage (Plutchik, 1955; 1957; 1958; 1980).

      Plutchik postuliert acht verschiedene wesentliche Basisemotionen: Furcht, Ärger, Traurigkeit, Ekel, Überraschung, Freude, Vertrauen und Erwartung. Wie Arnold kritisiert er die artifizielle Laborforschung, die keine Validität für sich in Anspruch nehmen könne. In Laboren würden


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