Jahresabschluss nach dem Schweizer Rechnungslegungsrecht. Marco Gehrig
Einfluss des amerikanischen Finanzmarktes äussert sich in den letzten Jahren in einer deutlichen Annäherung der Anforderungen an die finanzielle Berichterstattung nach IFRS an jene der amerikanischen Rechnungslegungsstandards (US GAAP). Mit der IAS-Verordnung der EU vom 16. Juni 2002 zur verbindlichen Anwendung der IFRS ab 2005 ist dem IASB jedoch in der langen Auseinandersetzung um die Anerkennung der IFRS als anerkannten Rechnungslegungsstandard auf allen wichtigen Börsenplätzen ein entscheidender Durchbruch gelungen. Durch die starke Einbindung des Financial Accounting Standard Board (FASB) ist eine zunehmende Konvergenz von IFRS und US GAAP festzustellen.
Nach bisheriger Regelung mussten ausländische Gesellschaften, die in den USA Wertpapiere registrieren lassen, ihre Rechnungslegung den amerikanischen Normen mittels einer entsprechenden Reconciliation angleichen. Dieses aufwändige und für potenzielle Interessenten abschreckende Prozedere der Überleitungen von IFRS nach US GAAP ist seit November 2007 nicht mehr erforderlich.
Nach einer anfänglichen Zurückhaltung legen seit Mitte der Neunzigerjahre die meisten grossen Schweizer Konzerne unter dem Druck der Investoren auf den internationalen Finanzmärkten ihre Konzernrechnung nach IFRS ab. Selbst mittelgrosse kotierte Gesellschaften haben in den letzten Jahren, bereits bevor sie durch das KR dazu gezwungen wurden, den konsolidierten Abschluss auf IFRS umgestellt. Diese nehmen den mit der erstmaligen Umstellung und der laufenden Anpassung von IFRS verbundenen, nicht zu unterschätzenden Aufwand auf sich, weil nach Auskünften aus der Praxis ein im Ausland allgemein bekannter und anerkannter Rechnungslegungsstandard bei Beziehungen mit ausländischen Geschäftspartnern als hilfreich betrachtet wird. Zudem erleichtern Jahresabschlüsse nach IFRS der Unternehmen bei Mergers- und Acquisition-Transaktionen (in einer aktiven wie passiven Rolle) die finanzielle Due Diligence.
Wie sich die Umstellung der bisher nach nationalem Recht erstellten Konzernabschlüsse börsenkotierter Gesellschaften auf IFRS auf die Börsenbewertung dieser Gesellschaften auswirkt, kann zurzeit noch nicht abschliessend beurteilt werden. Obwohl bei manchen Gesellschaften die erstmalige Anwendung der IFRS zu erheblichen Abweichungen gegenüber den bisher publizierten wichtigen Schlüsselgrössen wie Konzerngewinn, Eigenkapital oder Verschuldung geführt hat, sind ungewöhnliche Reaktionen der Finanzmarktteilnehmer weitgehend ausgeblieben.
Den IFRS liegt eine vierstufige Ordnung zugrunde:
• das Conceptual Framework (Rahmenkonzept): Mit dem Framework werden Zielsetzungen und qualitative Merkmale der Rechnungslegung festgelegt,
• die Standards zu einzelnen Fragen der Rechnungslegung (IFRS bzw. IAS),
• den Basis for Conclusions und die Guidance on Implementing (BC bzw. IG),
• die Auslegungsbeschlüsse (International Financial Reporting Interpretations Committee und Standing Interpretations Committee, IFRIC bzw. SIC).
Die Beschlüsse des IFRIC haben die gleiche bindende Wirkung wie die einzelnen Standards selbst. Im Jahr 2009 hat das IASB einen neuartigen Standard für Klein- und Mittelunternehmen entwickelt und in Kraft gesetzt (International Financial Reporting Standard for Small and Medium-sized Entities; kurz: IFRS for SME oder IFRS für KMU). Der IFRS für KMU enthält Vereinfachungen, die die Bedürfnisse der Nutzer von KMU-Abschlüssen sowie Kosten-Nutzen-Erwägungen widerspiegeln. Es ist offen, welche Bedeutung dieser Standard für die Rechnungslegungspraxis bei schweizerischen KMU erhalten wird, steht er doch in Konkurrenz zu Swiss GAAP FER.
Als Stärken der IFRS/IAS sind:
• die weltweite Akzeptanz und die Annäherung an die US GAAP,
• die Regelungsdichte bei hoher inhaltlicher Qualität und Kohärenz,
• die damit verbundene, vor allem für Investoren wichtige Vergleichbarkeit von Finanzinformationen von börsenkotierten Gesellschaften.
Die Schwächen des Regelwerkes sind hingegen:
• die schwierige Verständlichkeit für Nicht-Spezialisten, nicht zuletzt aufgrund der angelsächsischen Methodik und Darstellungsweise sowie des
• komplexen Fachenglisch als Originalsprache,
• die vergleichswiese hohen Implementations- und Fortführungskosten
• die unablässig voranschreitenden Änderungen und Differenzierungen (in den vergangenen zehn Jahren ist das Regelwerk von 500 auf 2500 Seiten angewachsen, eine Folge der Angleichung an die ausgesprochen regelbasierten US GAAP),
• die fehlende Eignung für kleinere Unternehmen.
Die wesentlichen Merkmale der IFRS sind:
• True and Fair View/Fair Presentation,
• Ausführliches Rahmenkonzept (Conceptual Framework),
• Orientierung am Schutz der Investoren,
• Pflichtbestandteile mit Bilanz, Erfolgsrechnung, Anhang, Geldflussrechnung und Veränderung des Eigenkapitals,
• Gliederung durch Mindestvorschriften.
3.4.4 US-GAAP
In den USA hat die staatliche Börsenaufsichtsbehörde SEC (Securities and Exchange Commission) vom Gesetzgeber den Auftrag erhalten, Rechnungslegungsnormen zu erlassen. Die SEC ihrerseits hat diese Aufgabe an das 1973 als unabhängige private Organisation errichtete Financial Accounting Standards Board (FASB) als Standard Setter übertragen. Die vom FASB erlassenen Standards (SFAS) sind ein zentraler Bestandteil des als Generally Accepted Accounting Principles der USA (kurz: US GAAP) bezeichneten Systems von Grundsätzen zur formellen und materiellen Gestaltung von Unternehmungsabschlüssen. Diese werden vom Berufsstand der Wirtschaftsprüfer, dem American Institute of Certified Public Accountants (AICPA), als verbindlich anerkannt und müssen von allen prüfungspflichtigen oder freiwillig geprüften Unternehmungen angewendet werden. Es gibt allgemein gültige und branchenorientierte Standards, welche aufgrund eines aufwändigen Verfahrens erlassen werden. Die amerikanischen Richtlinien für die Buchführung und Rechnungslegung sind sehr umfangreich und nicht leicht überblickbar. Neben den SFAS sind zudem immer noch Normen der Vorgängerorganisation des FASB, des Accounting Principles Board (APB), in Kraft.
Die wesentlichen Merkmale der US GAAP sind:
• Fair Presentation,
• Conceptual Framework,
• Formalistische Einzelregelungen (rule based),
• Orientierung am Schutz der Investoren,
• Pflichtbestandteile mit Bilanz, Erfolgsrechnung, Anhang, Geldflussrechnung,
• und Nachweis der Veränderung des Eigenkapitals,
• Gliederung durch Mindestvorschriften.
3.4.5 Motive für die Wahl des Rechnungslegungsstandards
Es bestehen unterschiedliche Motive für die Wahl eines Rechnungslegungsstandards. In der Schweiz ist in den letzten Jahren ein verstärkter Anreiz für die Anwendung von Swiss GAAP FER auf Kosten des IFRS zu verzeichnen. Rund 40 börsenkotierte Unternehmen haben in den letzten Jahren ihre Rechnungslegung von IFRS auf Swiss GAAP FER umgestellt. Folgende Gründe spielten für den Wechsel eine wichtige Rolle:122
• Hohe Komplexität, Kosten und Regelungsumfang von IFRS,
• Vorteilhaftigkeit von Swiss GAAP FER,
• fehlender Nutzen von IFRS-Rechnungslegung.
Insbesondere die Regelung der Personalfürsorge sowie die Handhabung des Goodwills ist nach IFRS kostspielig und nachhaltig. Der Wechsel auf Swiss GAAP FER führt bei diesen diversen Wechseln auch zu keinem Informationsdefizit für die Finanzanalytiker und Investoren.123
Bei IFRS stehen international folgende Punkte bei der