Die Farbe von Jade. Luzia Schupp-Maurer
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Luzia Schupp-Maurer
Die Farbe von Jade
Erste Auflage 2021
© der deutschsprachigen Ausgabe
Pirmoni Verlag, Krefeld
Alle Rechte vorbehalten,
insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrages sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form
(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)
ohne schriftliche Genehmigung des Verlages
reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme
verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Lektorat: Monika Knaden, Krefeld
Satz: Im Bambushain, Krefeld
Umschlagfoto und -gestaltung: © Luzia Schupp-Maurer
Druck: TOTEM Digitaldruck, Polen
ISBN 978-3-9817460-8-2 (Taschenbuch)
ISBN 978-3-9817460-9-9 (E-Book)
Inhalt
Wenn wir miteinander schliefen, hieltest du immer deine Augen geschlossen. Still lagst du da, als würdest du deinen Körper mir überlassen. Wenn ich dich ganz sanft streichelte, schlossen sich deine Augen noch fester und eine Träne lief glitzernd aus einem Augenwinkel. Ich spürte dich atmen. Meine Hände versuchten nicht, dir zu befehlen, von dir zu fordern, sondern dir zu folgen: den leichten Änderungen deines Atems und jeder Muskelfaser, die sich entspannte. Sie suchten sich einen Weg zu dir, durch deine Mauer, unter deine Haut, in deine Seele. Ob ich dich jemals wirklich fand, weiß ich nicht. Was auch immer dich in deiner Festung hielt, ich hoffte, du würdest es in meinen Armen für einen Moment vergessen können. Ich wünschte es mir so sehr, dass ich schließlich daran glaubte. Oder habe ich es mir doch nur eingeredet? Die Vorstellung, du hättest dir dein Leben hier durch deinen Körper erkauft, legt sich wie eine eiserne Klaue um mein Herz. Ein Gedanke, den ich nicht ertrage und nicht zulassen will. Ich versuche, mich zu erinnern. Habe ich die Zeichen nicht gesehen? Manchmal wurde dein Körper weich und dein Atem tief. Dann hast nicht nur du geweint, sondern auch ich. Bitte, lass es nicht nur Lüge gewesen sein!
Wenn ich mit dir noch einmal sprechen könnte, hätte ich dir so vieles zu sagen – und doch nichts. Es gibt keine Worte. Ich weiß nicht mal, ob ich hoffen soll, dass du noch lebst oder ob es menschlicher wäre, dir den Tod zu wünschen. Ich weiß nur eines sicher: dass ich dir wünsche, endlich frei zu sein. Vor allem frei von Angst.
Ein Dorf bei Ayu, nahe Kawkareik, Südost Birma, 1993
»One, two, three, four, five, six, se-ven. Eight, nine, ten and then e-leven …«, sang die Mutter und schabte dazu mit dem grauen Reibstein über die Thanaka-Rinde. Win San Youn lauschte dem rhythmischen Geräusch und wie es sich in die Gesänge des Regenwaldes einfügte: in das Zirpen und Summen der Insekten und die Melodien verborgener Vögel und Affen. Dieser tausendstimmige Chor füllte die tropische Nachmittagshitze aus, als würde er ihr einen lebendigen Körper verleihen, atmend und bebend. Die Luft war schwer und dunstig von der Feuchtigkeit.
Win San Youn mochte es, vor der auf hohen Holzbohlen erbauten Hütte zu sitzen und ihrer Mutter beim Thanaka-Reiben zuzusehen. Das Holz verwandelte sich unter Mi Mis Händen nach und nach in eine hellgelbe Paste und verströmte einen angenehmen, leisen Duft.
»Mi Mi, wann darf ich endlich in die Schule?«
Die Mutter seufzte. »Du weißt doch, es gibt hier keine.«
»Aber Aung Ni ist doch mal in eine Schule gegangen!«
»Ja, ins Kloster. Das war als Papa noch lebte.«
San Youn schaute traurig zu Boden. Alles war anders, seit Papa fort war.
Mi Mi unterbrach ihre Arbeit, rückte näher zu San Youn und nahm sie in den Arm. »Ich weiß ja, dass es für euch schwer ist, Mi San Youn. Aber ich brauche euch doch hier, alleine schaffe ich die Arbeit nicht. Und der Weg zum Kloster ist auch viel zu weit und zu gefährlich. Ich will doch nicht, dass euch was passiert.« Sie nahm wieder die Reibschale und rieb die Thanaka-Rinde weiter.
Mi San Youn, ihre Mutter nannte sie oft so, kleine San Youn. San Youn beobachtete, wie Mi Mi mit der Hand etwas Wasser auf das zerriebene Holz tropfen ließ.
»Ich durfte auch nicht lange in eine Schule gehen«, sagte Mi Mi. »Glaub mir, ich würde euch gern zur Schule schicken. Aber es geht nicht. Ich kann nur versuchen, euch das beizubringen, was ich selber weiß.«
Mi Mi sah traurig aus. San Youn tat es leid, dass sie Mi Mi mit ihrer Frage traurig gemacht hatte. Sie schaute auf den Jadeelefanten, der stets an einem Lederband auf der Brust ihrer Mutter hing. Es war ein unbehauenes Stück roher Jade in der Form eines Elefanten, grau an den Abbruchkanten, mit einem durchschimmernden grünen Kern. Mi Mi war selbst noch ein Kind gewesen, als sie ihn in einer Edelsteinmine gefunden hatte. Es sei der zu Stein gewordene Geist der Großmutter, Mi Mis Mutter, hatte Mi Mi San Youn erzählt. San Youns Großmutter war erschlagen worden, als ihre Kinder zum Arbeiten in die Minen verschleppt wurden. Lange war dann ihr Geist zornig und verwirrt umhergestreift und hatte nach seinen Kindern gesucht. In der Edelsteinmine hatte der Geist Mi Mi schließlich gefunden und war still und sanft geworden. Seitdem war der Elefant Mi Mis ständiger Begleiter.
Mi Mi mischte duftenden Sandelholzstaub in die Thanaka-Paste. »Hast du schon die Kuh gefüttert? Hast du ihr die Bananenstaude gegeben?«
San Youn nickte.
»Und was heißt Reis auf Englisch?«
San Youn schaute auf den Knoten des roten Longyi, den Wickelrock, den die Mutter um die Hüften trug, und überlegte. »Lice«, antwortete sie.
»Rice«, korrigierte die Mutter, »rice, rrrr …, rice, das ist wichtig. Vielleicht kannst du bald einen Laden aufmachen und Reis verkaufen. Vielleicht verkaufst du ihn sogar ins Ausland. Weißt du, wie weit der Reis auf Reisen geht?« San Youn schüttelte verneinend den Kopf. Die Mutter machte eine ausladende Geste. »Um die ganze Welt. Bis nach Europa und Amerika. Alle essen Reis. Sogar die Engländer.«
San Youn fragte sich, wie wohl Europa aussah. »Mi Mi? Ist Europa weit weg?«
»Weiter als ein Vogel fliegen kann. Und die Menschen da haben alle gelbe Haare und sind so breit wie Elefanten.«
»Kann ich ihnen auch Elefanten verkaufen? Dann reisen die Elefanten auch um die ganze Welt.«
Die Mutter lachte. »Nein, ich glaube, Elefanten sind zu schwer und zu groß für Europa. Denn Europa ist zwar sehr reich, aber auch sehr klein, glaube ich.«
Win San Youn versuchte sich ein kleines Europa mit gelbhaarigen und unglaublich breiten Menschen vorzustellen, in dem es keinen Platz für Elefanten gab. »Kleiner als unser Dorf?«
»Nein. Es ist schon groß. Aber nur groß genug für Europäer. Viele Elefanten passen da auf jeden Fall nicht mehr rein. Aber Reis, weißt du, Reis füllt die Ritzen. Der passt überall rein.«
Als die Mutter mit der Thanaka-Paste ein kleines gelbes