Die Farbe von Jade. Luzia Schupp-Maurer

Die Farbe von Jade - Luzia Schupp-Maurer


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schüttelte den Kopf. »Fast zwei Stunden. Dann er kommt.«

      Die Frau hatte nicht widersprochen, Starrenberg schien also doch ihr Mann zu sein. Lea versuchte sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »Darf ich mir die Hände waschen?«

      »Sicher, kommen Sie.« Die Frau führte sie eine Treppe hinauf. »Da.« Ihr Blick fiel auf Leas Hand. »Was passiert?!«, rief sie. »Kommen Sie!«

      Sie ging mit Lea ins Badezimmer und nahm aus einem Schrank ein dunkles Fläschchen und aus einem anderen einen Waschlappen. Sie spülte das ohnehin saubere Waschbecken aus, ließ heißes Wasser einlaufen und legte eine Seife hinein.

      Lea winkte ab. »Nein, nein, das geht schon, das ist nicht schlimm.«

      »Muss sauber sein. Sonst krank.«

      »Danke, aber das geht schon.«

      »Kommen Sie, komm.« Die Frau winkte Lea beharrlich heran und zog sie zum Waschbecken. Mit einem erstaunlich festen Griff umfasste sie Leas Handgelenk. »Tut weh. Nur kurz, bald vorbei. Muss sauber sein.« Sie reinigte mit der Lauge und dem Waschlappen die Wunde. Ja, es tat weh. Die Frau war nicht zimperlich, sondern wusch die Wunde beherzt und zügig aus. Dann spülte sie sie ab und tupfte den scharf brennenden Alkohol mit einem Wattebausch darauf. Alles, was sie dazu sagte, war: »Tut kurz weh.« Lea wollte bei dem plötzlichen Schmerz die Hand zurückziehen, doch der Griff dieser Zierde der Menschheit ließ nicht einmal ein Zucken zu. Von ihrer Schüchternheit war nichts mehr zu spüren.

      »Ah, Scheiße!«, schrie Lea auf.

      Da lächelte sie die andere auch schon wieder sanftmütig an. »Schon vorbei. Jetzt besser. Nur noch was zum Schutz.«

      »Zum Schutz? Einen Elefanten?« Leas Blick fiel auf den steinernen Elefanten auf der Brust der Frau. Sie schluckte, um sich wieder loszureißen.

      Die Frau lachte leise. »So stark muss es nicht sein. Reicht Stoff.«

      Lea setzte sich auf den Badewannenrand. Die Frau holte einen Mullverband aus dem Schrank und griff nun zart nach Leas Hand. Lea schloss die Augen, um ihr nicht auf die Hände zu starren oder ins Gesicht. Die Frau wickelte ihr behutsam den Verband um die Hand. Als sie fertig war, lag Leas Hand in ihrer Linken und sie legte die rechte Hand darüber. Lea öffnete die Augen und sah auf diese Hände, die ihre hielten. Sie hob ihre gesunde Hand und strich über den Handrücken der Frau. Sie konnte nicht anders. Spürte die zarte Haut, die Knochen darunter. Lea hatte Angst, die Frau könnte die Geste verstören, doch sie hörte nur wieder diese leise, warme Stimme: »Jetzt besser?«

      Lea schaute zu diesen tiefgrünen Augen auf, die ihr verboten waren. Sie zwang ihren Blick davon wieder weg und nickte. »Ja. Danke«, sagte sie und ihre Stimme war so schwach wie ihr Herz, das sich wie ein krankes Tier in einer Höhle verkriechen wollte. Die Frau hielt sie noch eine lange Sekunde fest, bevor sie sie losließ und aus dem Bad ging.

      Unten setzte Lea sich an den Tisch. »Das sieht köstlich aus«, sagte sie. Ihre Stimme war immer noch so schwach wie die einer Maus. »Es freut mich wirklich sehr … Deutschland muss ihnen sehr kalt vorkommen. Hier wird nicht immer sofort gekocht, wenn jemand kommt.«

      Die Frau hatte sie wahrscheinlich nicht ganz verstanden. »Ja, kalt«, sagte sie.

      »Sie wollten mir etwas erzählen.«

      Die Frau musterte sie und überraschte sie mit einer Frage. »Warum traurig?«

      »Wer?«

      »Sie«, sie deutete mit der Hand auf Lea.

      Lea lächelte verlegen und wandte den Blick wieder ab. »Es ist nichts. Es ist nur … Ach, es ist nichts. Ich bin zu viel alleine, glaube ich. Es hat schon lange niemand mehr meine Hand so gehalten.« Lea lächelte. Es hatte ohnehin keinen Sinn, jetzt großartig zu lügen. So formuliert war es vielleicht harmlos genug.

      Der tiefe grünbraune Blick wurde noch dunkler. Die Frau nickte. So leise und ernst, dass es kaum zu sehen war und doch so viel Verständnis daraus sprach. Dass es keine Worte mehr brauchte, um zu vermitteln, dass auch sie nur zu gut wusste, was Einsamkeit bedeutete. Dass sie eine Einsamkeit kannte, die Lea niemals kennengelernt hatte, die so tief sein musste, tiefer als die Abgründe der Meere und leerer als die unendlichen Leeren der Steinwüsten.

      »Eigentlich geht es mir gut«, ergänzte Lea. »Nur als Sie eben meine Hand gehalten haben, ist es mir aufgefallen. Ansonsten bin ich zufrieden. Ich habe alles, was ich brauche … Wissen Sie, dass ich ihren Namen immer noch nicht kenne? Ich bin Lea. Verraten Sie mir ihren Namen?«

      Die Frau zögerte einen kurzen Moment, so als müsse sie über die Antwort erst nachdenken. »Farimah. Ich heiße Farimah.«

      »Farimah«, wiederholte Lea und lächelte leise. »Woher kommt der Name?«

      »Ist arabischer Name.«

      »Arabisch. Ah.«

      Auch Farimah lächelte, doch irgendetwas verbarg sie wieder in ihrem Lächeln. Sie füllte die Teller und die beiden Frauen aßen. Als sie fertig waren, fragte Lea erneut. »Was wollten Sie mir vorhin nicht sagen, was ist passiert?« Farimah schaute zur Seite zum Fenster. Sie atmete angestrengt durch. Als sie nicht antwortete, fragte Lea vorsichtig nach. »Betrifft es ihren Mann auch?«

      Farimah nickte.

      »Farimah, was ist es?« Lea ließ ihre Frage im Raum stehen und ließ ihr Zeit.

      »Ich glaube, ich schwanger.«

      Lea presste ihre Kiefer aufeinander, dass ihre Wangenknochen hervortraten. »Freuen Sie sich?«

      Farimah nickte: »Ich glaube, ja … Ich schon.«

      »Und ihr Mann?«

      »Ich weiß nicht.« Farimahs Stimme zitterte. Sie schien Angst zu haben. »Er weiß noch nicht. Ich hoffe, dann endlich heiraten. Er will nicht heiraten. Jetzt Kind. Ich hoffe, jetzt heiraten. Jetzt muss, sonst schlimm für Kind.«

      In Lea formte sich ein Gedanke. »Können Sie für lange Zeit hier in Deutschland bleiben?«

      Farimah schien die Frage zu beunruhigen. Sie antwortete nicht, rutschte nur unsicher auf ihrem Stuhl hin und her.

      »Naja, es wäre sicher besser für Sie, wenn Sie heiraten. Sie könnten ohne Probleme hierbleiben.«

      Farimahs Miene verfinsterte sich. Sie schien sich innerlich in irgendwelche Untiefen zurückzuziehen und nachzugrübeln. Auf ihrer Stirn lagen tiefe Falten, ein farbloser Schatten hatte sich auf ihr schmales Gesicht gelegt. Dann nickte sie. »Ich mache Kaffee.«

      Lea schaute auf die Uhr. »Vielen Dank, ich würde gern noch bleiben, aber ihr Mann kommt gleich.«

      Auch Farimah schaute auf die Uhr und schien sich ein wenig zu erschrecken. »Aber Sie haben noch keinen Kaffee.«

      »Das macht nichts. Ich denke, ihr Mann ist müde nach der Arbeit. Es ist sicher besser, wenn ich jetzt gehe. Ich kann ja noch mal wiederkommen.«

      Farimah lächelte dankbar. An der Tür drehte Lea sich noch einmal zu ihr um. »Sagen Sie es ihm bald. Und danach sagen Sie mir, wie es war. Wahrscheinlich wird er Sie heiraten.« Noch immer lag ein tiefer Schatten auf Farimahs Augen. Sie nickte, doch es wirkte so, als würde sie Lea nicht glauben. Und da war auch wieder diese Sehnsucht, dieses Festhaltenwollen, diese unsichtbaren Hände, die nach Lea griffen. Lea sank tief in dieses unergründliche grünbraune Meer. »Danke«, sagte sie und riss sich los. Sie wollte Starrenberg nicht begegnen.

      In den folgenden Tagen traf Lea Farimah nicht. So auch in der folgenden Woche. Lea war nervös. Was war geschehen? Hatte Starrenberg seine Freundin etwa rausgeschmissen, weil sie schwanger von ihm war? Das würde er doch nicht ernsthaft tun. Haushaltshilfe hatte er sie damals genannt. Er hatte nicht zu ihr gestanden. Ob Farimah selbst die Schnauze voll hatte und gegangen war? Lea hatte nicht den Eindruck, dass Farimah so etwas tun würde. Nicht, ohne ihr eine Nachricht zu hinterlassen. Oder etwa doch? Vielleicht war ihr Lea ja gar nicht so wichtig.

      Zu Hause lag sie auf ihrem Bett und schlug in ihr Kopfkissen. Farimah hatte ihr von der Schwangerschaft


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