Astralreisen. Thomas Karlsson
wieder in Echtzeit. Ein roter Porsche hupte ärgerlich ein anderes Auto an, welches ihm im Weg stand. Der in einen sehr teuren Anzug gekleidete Fahrer fluchte hinter dem Lenkrad. Ich konnte seine Aura sehen, sie war so rot wie sein Auto. Die Aura ist das Lichtfeld, das einen Menschen umgibt, und man kann anhand dieser auch den Gemütszustand einer Person erkennen. Im Falle des Porschefahrers hing die rote Farbe seiner Aura ganz klar mit seinem Ärger zusammen. Ich setzte meinen Weg Richtung Stureplan fort bis an die Stelle, an welcher die Birger Jarlsgatan mit der Hammgatan zusammentraf und bog dann in diese ein. Ich hatte schon früher ein paar Mal die Woche diese Art Stadtwanderung absolviert, eigentlich ist es eine ziemlich langweilige Route, aber aus irgendeinem Grund war es mir zu einer eigentümlichen kleinen Tradition geworden, diese Strecke durch Stockholms zentralstes Stadtviertel entlang sich im rechten Winkel kreuzender Straßen in dem Tempo zu laufen. Das war wohl der Grund warum ich sogar jetzt in meiner astralen Form ungefähr entlang derselben Strecke reiste, mit dem Unterschied, dass ich dieses Mal eine unfreiwillige Abkürzung durch die Tunnelgatan genommen hatte. Auf dem Weg die Hammgatan hinauf hielt ich vor dem NK-Kaufhaus an. Wie gewöhnlich war der Platz mit vielen Menschen gefüllt. Fast alle hatten Sonnenbrillen auf, obwohl es nicht sonderlich sonnig war. Aus dem Kaufhaus quoll eine Art Rauch oder Nebel heraus, der mir wie eine Faust entgegen schlug. Es war der Geruch der Parfümabteilung. Ich konnte ein paar Blumen- und Kräuteressenzen heraus riechen, da ich schon ab und an meine eigenen Räucherungen aus Essenzen gemischt hatte, die ich mir in den „Essensfabriken“ bei der Wallingatan gekauft hatte. Aber die meisten der Düfte rochen für mich im astralen Zustand fast unerträglich chemisch und synthetisch und waren mit einer Vielzahl wunderlicher und schwer identifizierbarer Gerüche vermischt. Ich erinnerte mich an das Gerücht, dass einige bekannte Parfümerien den Urin von gequälten Katzen in ihre Extrakte mischen würden und hoffte wirklich, dass dies nur eine Lügengeschichte war. Der Glaspfeiler am Segeltorg türmte sich vor mir auf wie ein modernes Monument eines Phallus, bedeckt mit Flecken von Abgasen und Schmutz. Als ich diesen Platz betrat wurde ich von einem seltsamen Gefühl erfüllt. Zusammen mit dem „Kulturhuset“ repräsentiert der Segeltorg eine Epoche utopischer Visionen einer perfekten Großstadt. Heute aber ist der Segeltorg bekannt durch seine Drogenabhängigen und eine öde und düstere Stimmung. Von der Ecke des Marktes, die der U-Bahn Station gegenüber liegt, konnte ich einen Nebel ausmachen, der jenem, welcher dem NK-Kaufhaus entströmte, gar nicht ähnelte. Der Nebel hier bestand aus dem Schweiß der unter Rauschgift stehenden Körper, Ausdünstungen von Drogen, blutigen Kanülen und einer schweren und dunklen Bedrücktheit, gemischt mit synthetisch hervorgerufenem Glück. Die Höllenschilderungen des Renaissance-Künstlers Hieronymus Bosch geben diesem Bild einen guten Vergleich. Ich fühlte mich entmutigt, auf eine Art mit der ich nicht so leicht umgehen konnte, als wenn ich mich dabei in meinem physischen Körper befunden hätte. Es war schwieriger, einfach abzuschalten und die Umgebung auszublenden wenn man sich in seinem Astralkörper befand. Ich erinnerte mich an einen Artikel den ich einst gelesen hatte, welcher anmerkte, dass Schweden eines der wenigen Länder in Europa ist, in welchem die Abhängigen als ein Fall für die Polizei betrachtet werden, während im restlichen Europa die medizinische Fürsorge zuständig ist. Ich hastete vom Segeltorg weg, den Sveavägen hinab, wo mein astraler Spaziergang begonnen hatte. Ich schwebte wieder hinein ins Café – jetzt durch die Türe – und sah meinen Körper und meinen Freund am Kaffeetisch sitzen. Mein Bekannter sah immer noch so aus, als wäre er in seiner Erzählung nicht mehr als einige Sätze weiter gekommen. Ich erzitterte und fühlte, wie mein astraler Körper mit dem physischen wieder eins wurde.
– „… oder was denkst Du über die Sache?“ fragte mich mein Jura studierender Bekannter.
Ich sah in die Kaffeetasse hinein, nickte mit gespielter Nachdenklichkeit und murmelte: „Kannst du das bitte etwas genauer beschreiben?“
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