Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden. Max R. Liebhart

Venedig. Geschichte – Kunst – Legenden - Max R. Liebhart


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Männer gehörnt / die Frauen Huren.“ (Tassini)

      Der Campo S. Stefano ist sicher eine der schönsten Platzanlagen der Stadt. Er war bis 1810 ein bevorzugter Ort für Volksfeste, Turniere und die in Venedig sehr beliebten Stierkämpfe. Es lohnt, sich Zeit zu nehmen, um das Ensemble kreuz und quer zu durchschreiten und auch das Angebot zu Ruhe und Kontemplation in einem der Cafés wahrzunehmen. Der Eindruck des Theatermäßigen, Kulissenhaften, den die Stadt recht häufig vermittelt, ist hier besonders stark und nachts, wenn kaum mehr Menschen unterwegs und oft nur mehr die Stimmen Unsichtbarer zu hören sind, fast überwältigend.

      Wichtige Gebäude säumen den Platz. Da ist zunächst an der nördlichen Schmalseite die schlichte Seitenfront der

      ► Kirche S. Stefano

      mit einfachen spitzbogigen Fenstern. Der Bau entstand im späten 14. Jahrhundert, wurde im 15. Jahrhundert im Chorbereich umgestaltet und erhielt bei diesem Umbau auch seine hölzerne Decke. Die Hauptfassade, zum Campiello S. Stefano hin gelegen, ist dreiteilig und mit weißen Marmortabernakeln bekrönt – ein traditionelles Gestaltungsmotiv gotischer Sakralbauten Venedigs. Das Portal ist geradezu umschäumt von einem üppigen Ornament aus Blattranken. Eine Besonderheit weist das Äußere der Kirche im Chorbereich auf. Der Chor ist über einen rio hinweggeführt und kann mit dem Boot unterquert werden. Diese Anlage ist vom Campo S. Anzolo aus sichtbar oder auch von der ersten Brücke, dem Ponte S. Maurizio, wenn man in Richtung S. Marco weitergeht. Den Innenraum bildet eine dreischiffige gotische Säulenbasilika mit weiten Jochen und einem dreiteiligen Presbyterium. Der Besucher empfängt allerdings eher den Eindruck, in einem Saal zu stehen als in einer Basilika, da die Stellung der – eigentlich zu schlanken – Säulen den Raum kaum unterteilt und die Schiffe somit nicht wirklich voneinander trennt. Während die Seitenschiffe durch Pultdächer gedeckt sind, wird das Mittelschiff durch eine spektakuläre kassettierte Holzdecke in Form eines umgedrehten Schiffsrumpfes überspannt. Sie soll von den Schiffbauern des Arsenals, den arsenalotti, ausgeführt worden sein. Ins Auge springt die Wandstruktur der Obergadenzone, deren Muster in Anlehnung an das am Dogenpalast gestaltet wurde, wobei dieses Ornament in Venedig früher häufiger anzutreffen war als heute.

      Ausstattung: Im Boden des Mittelschiffs, gleich beim Eingang, liegt unter einer mächtigen reliefierten Bronzeplatte der Doge Francesco Morosini, der „Peloponesiaco“, begraben. Er hatte 1685 noch einmal die Peloponnes von den Türken zurückgewonnen. Am Ende des rechten Seitenschiffs führt ein schönes Renaissanceportal von 1525 in die sehr sehenswerte Sakristei. Die Türflügel dieses Portals sind moderne Arbeiten, sie stellen Johannes XXIII. Roncalli rechts und Giovanni Paolo I. Luciani links dar, beides Päpste, die zuvor Patriarchen von Venedig waren. Die Sakristei enthält eine Sammlung vorzüglicher Werke (deren Aufstellung ab und zu wechselt). Auf dem Altar steht die Büste des hl. Sebastian von Tullio Lombardo. Das kleine Werk ist köstlich gearbeitet und sprüht vor Leben. Es ist sicher eine der besten Arbeiten Tullios, und die Marmorbehandlung lässt an die besten Werke der griechischen Klassik denken. Zu Seiten dieser Plastik sind zwei weitere Statuen zu sehen, eine davon, vermutlich ein hl. Hieronymus, ist von Pietro Lombardo signiert, von dem auch die andere stammt, die Paulus darstellt. Die Altarädikula wird von zwei schönen Statuetten der Brüder dalle Masegne flankiert, links steht Giovanni Battista, rechts Antonius von Padua. Weiterhin ist hinzuweisen auf Bartolomeo Vivarinis Gemälde der hll. Nikolaus und Lorenz beidseits neben der Altararchitektur, die aus der profanierten Kirche S. Vidal hierher kamen. Schließlich stehen auf einer Truhe links zwei Figuren: Johannes der Täufer und eine Frauenfigur, eventuell eine allegorische Darstellung einer Tugend. Die hohe Qualität der Arbeiten lässt ohne weiteres annehmen, dass sie von Tullio Lombardo gearbeitet wurden. An der linken Seitenwand hängt ein großformatiges Gemälde Tintorettos, eine Version des Themas Abendmahl, dem sich der Maler wiederholt gewidmet hat. Der Tisch, an dem sich die Handlung vollzieht, ist hier auf ein Podest gestellt, somit ist die Szene in deutlicher Untersicht gegeben. Das Bild, bei dem es sich um eine schwächere Interpretation des Themas handelt, dürfte nicht in allen Partien eigenhändig sein. Zwei weitere Gemälde Tintorettos hängen an der rechten Seitenwand, links eine Fußwaschung mit undeutlicher Lichtführung, rechts daneben Christus am Ölberg. Dieses Bild ist von einem geheimnisvollen Weben des Lichtes erfüllt. Christus wird fast wie ein Schlafender gezeigt, wie ein Mensch, der sich in sein unabwendbares Schicksal fügt, „überzeugt“ und gleichzeitig getröstet vom Engel, der den Kelch bringt, während die Jünger zu Füßen dieses Geschehens schlafen und in Bildmitte links die Häscher auftauchen. An der Eingangswand hängen koloristisch reizvolle Bilder von Diziani. Besonders hübsch und originell ist die Flucht nach Ägypten links oben, die hier unter dem Schutz von zwei prachtvollen Engeln auf einem Schiff bewerkstelligt wird.

      Im Chor, der über einer Krypta erhöht ist, sind hochinteressante Fragmente einer Chorschranke von 1488 aufgestellt, deren Entwurf Pietro und Tullio Lombardo zugeschrieben wird. Die örtliche Beschriftung spricht dagegen nur von einer bottega lombarda und datiert die Apostelstatuen in das Jahr 1480. Ein schönes Werk ist der Hochaltar, der 1613 begonnen und wohl erst 1656 fertiggestellt wurde. Das Tabernakel, das von einem gewaltigen Triumphbogen überfangen und gerahmt wird, ist edel proportioniert. In den beiden seitlichen Intervallen stehen große Statuen von Campagna, die die hll. Markus und Klara darstellen. Sie sind aus patiniertem Holz gearbeitet, also in einer Technik, die Bronze vortäuschen soll. Vor dem letzten Seitenaltar links findet sich die Grabplatte für Giovanni Gabrieli (1557–1612), Kapellmeister von S. Marco, bedeutender Komponist des Frühbarock und Lehrer von Heinrich Schütz.

      Es wird berichtet, dass 1594 eine Marietta da Leze, Witwe von Gerolamo Bragadin, dann erneut verheiratet mit einem Carlo Foscari, in S. Stefano beigesetzt wurde. Wenig später jedoch erwachte sie aus ihrem todesähnlichen Schlaf. Zu ihrem Glück befanden sich einige Novizen des Konvents in der Nähe ihrer Gruft, so dass ihre Rufe bemerkt wurden und sie gerettet werden konnte. Zum Dank verfügte sie, dass alle zwei Jahre zehn Brüder des Konvents auf Kosten der von ihr eingerichteten Stiftung eingekleidet werden sollten. – In der Geschichte Venedigs gab es mehrere Fälle von Scheintod, die ihren Niederschlag auch in den Legenden der Stadt fanden.

      Zurück zum Campo S. Stefano: Inmitten des Platzes steht das Denkmal für Niccolò Tommaseo (1802–74), der am Aufstand von 1848 gegen die Österreicher teilnahm. „In einer mutigen Rede in der Akademie wandte sich der Dichter, Romancier, Lyriker, Lexikograph, Verfasser pädagogischer und politischer Streitschriften 1847 gegen die Zensur des österreichischen Stadtregiments von Venedig.“ (Maurer). 1849 musste er fliehen und starb schließlich in Florenz. Der Bildhauer gestaltete den Stabilisator der Statue als Bücherstapel, „Dante“ und „Omero“ (Homer) ist auf den Buchrücken zu lesen. Dieser Bücherpfeiler scheint unter dem Mantel Tommaseos hervorzukommen, Grund für die Venezianer, das Ganze respektlos als caccalibri („Bücherscheißer“) zu bezeichnen.

      Weiter links ragt der langgestreckte Palazzo Loredan in den campo hinein. Die Familie der Loredan führte sich bis auf den Römer Mucius Scaevola zurück. Zwar nannten sich dessen Nachfolger zunächst Mainardi, erhielten aber nach mehreren gewonnenen Schlachten den Beinamen Laureati, was zu Lauretani und weiter zu Loredani verändert wurde. In diesem Palast wohnte Leonardo Loredan, Doge von 1501 bis 1521, unter dem nach dem Krieg gegen die Liga von Cambrai Venedigs politischer Abstieg begann und den Giovanni Bellini herrlich porträtiert hat (das Bild hängt heute in der National Gallery, London). Die lange Front mit dem großen Fenster im Obergeschoss baute Scarpagnino, die zierliche Fassade zum Platz hin stammt von Giovanni Grapiglia (1618). Ursprünglich war der Palast mit Fresken von Salviati bemalt. Seit 1891 beherbergt er das Istituto Veneto degli Scienze, Lettere ed Arti und dessen Bibliothek von etwa 200.000 Bänden.

      Dem Palazzo Loredan gegenüber weitet sich der campo zu einem zweiten Platz, an dem sich der riesige Palazzo Pisani erhebt. Mit seinem Bau wurde 1614/15 begonnen, also zu einer Zeit, in der es keine herausragenden Architekten gab. In Anbetracht dessen beschloss der Bauherr Alvise Pisani, seinen Palast ohne benennbaren Baumeister errichten zu lassen und stützte sich stattdessen auf die Erfahrung bewährter Handwerker. Die Fassade hat zwar gewaltige Dimensionen, ist aber nicht geglückt, sondern wirkt eigenartig wackelig. 1728 wurde der Palast unter Francesco Frigimelica aufgestockt und erweitert. Er wurde später im Inneren oft umgebaut und den Bedürfnissen der Bewohner angepasst. Nur der Teil am Campo Morosini wurde noch bis 1880 von der Familie bewohnt, die in diesem Jahr in der


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