DSA: Rabenbund. Heike Wolf
hoffen konnte, auf Großmut zu stoßen.
Ismene lächelte. »Ich hole Don Amato. Wenn er es erlaubt, helfe ich Euch anschließend beim Waschen.«
Said nickte und zwang sich, das Lächeln zu erwidern. »Danke.«
Ismene winkte ab. »Dankt nicht mir, sondern Don Amato«, lachte sie und erhob sich.
Said blieb zurück und starrte zur Decke, während er die Unterarme vergeblich gegen die Fesseln anspannte. Jetzt, da sein Verstand sich langsam klärte, begann er, seine Lage zu begreifen. Ausgerechnet Amato Paligan. Er war der Karinor entkommen, um mit Leib und Seele diesem seltsamen Granden ausgeliefert zu sein, den er vor den Augen des ganzen Silberbergs gedemütigt hatte. Selten hatte er sich so hilflos gefühlt.
Obwohl vermutlich nur ein paar Augenblicke vergangen waren, erschien es ihm wie eine Ewigkeit, bis er wieder Schritte vor der Tür hörte. Im nächsten Moment wurde sie aufgestoßen, und Amato Paligan kam hereingestürzt. Sein Lächeln zeigte eine tiefe Erleichterung, die Said verwirrte. Doch dann hielt der Grande inne und schien einen Moment lang mit sich zu ringen, ehe er merklich verhaltener nähertrat.
»Ismene sagte mir, du bist wach.«
Saids Blick folgte dem Granden misstrauisch. »Macht mich los.«
»Das werde ich tun. Nachher.« Kurz schien es, als wollte er sich zu Said an die Bettkante setzen, zog dann aber doch einen Stuhl heran. Er wirkte immer noch blass, als habe er seit Tagen zu wenig geschlafen, und die Tinte an seinen Fingerspitzen verriet, dass die Sklavin ihn wohl vom Schreibtisch geholt hatte. »Wie geht es dir?«, erkundigte er sich. »Kannst du reden? Willst du erst etwas trinken? Oder essen?«
»Ich brauche nichts«, sagte Said knapp. Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, als die spröde Haut beim Reden spannte. »Was wollt Ihr von mir?«
Amato zog irritiert die Augenbrauen zusammen. »Ist das nicht offensichtlich? Ich möchte, dass du wieder zu Kräften kommst.«
»Wozu? Damit ich mich zu Eurem Vergnügen in der Arena abschlachten lasse?«
»Wie kommst du darauf?«
»Jemand wie Ihr macht sich doch nicht die Finger schmutzig, wenn Ihr ebenso gut dabei zusehen könnt, wie Eure Gladiatoren mich umbringen!«
»Ich weiß nicht, was du meinst.« Der Grande wirkte für einen Moment tatsächlich verwirrt. »Das wäre absurd, nachdem ich einen Haufen Dublonen für deine Heilung ausgegeben habe.«
»Was wollt Ihr dann? Ihr rettet mich doch nicht, weil Euch das Mitleid gepackt hat.«
Amato sah Said stumm an, und seine Lippen verengten sich zu einem schmalen Strich. »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Nicht aus Mitleid.«
Said wartete, ob er noch etwas hinzufügen wollte, doch der Grande schwieg und sah ihn nur an, auf eine Weise, die Said nicht recht zu deuten wusste.
Misstrauisch runzelte er die Stirn. »Was für ein Spiel spielt Ihr mit mir?«, fragte er. »Wenn Ihr mich erst heilen lasst, um mich anschließend zu töten ... bereitet es Euch Freude? Genugtuung? Oder warum betreibt Ihr einen solchen Aufwand?«
»Wie kommst du darauf? Ich habe ...« Amato stutzte, als er zu verstehen schien. »Du meinst wegen des Vorfalls bei der Orgie? Bei den Göttern, nein!« Er lachte freudlos auf. »Ich will dir nichts tun, Said. Ich wollte nur nicht, dass du ... dass du stirbst.«
Said sah ihn an, suchte in seinen Zügen nach irgendeinem Hinweis darauf, dass er ihn anlog oder ihm etwas vormachte. Doch da war nichts. Nur diese seltsame Traurigkeit, die Said nicht verstand.
»Dann macht mich wenigstens los. Ich verspreche auch, Euch nicht die Kehle durchzuschneiden«, sagte er missmutig und ruckte erneut an den Fesseln, die ihn an das Lager banden. Es waren schmale Lederriemen, die nicht zu fest, aber dennoch gekonnt befestigt waren, sodass es nicht gelingen würde, sich herauszuwinden. »Ihr müsst ziemlich viel Angst vor mir haben.«
»Als wir uns das letzte Mal begegnet sind, hast du mir einen Dolch an die Kehle gehalten.« Der Grande lächelte matt. »Die Fesseln waren notwendig. Du hast um dich geschlagen, als mein Heiler versucht hat, die Bolzen zu entfernen. Außerdem wollte ich sichergehen, dass du noch da bist, wenn ich mit dir reden will.« Seine Augen suchten Saids Blick. »Versprichst du mir, nicht zu fliehen, wenn ich dich losmache?«
»Das kann ich nicht.«
»Und wenn ich dir verspreche, dass ich dich gehen lasse? Morgen, wenn du dich ein wenig erholt hast.« Amato legte die Hand auf Saids Arm. Ein vorsichtiges Lächeln spielte um seine Mundwinkel. »Die Heiler sagten, dass du Ruhe brauchst, sonst war ihre Arbeit umsonst. Bleib hier. Bitte, wenigstens bis morgen früh.«
»Es ist besser für Euch, wenn ich gehe. Die Karinor wird ihre Häscher schicken.«
»Die geht sicher davon aus, dass Rezzan Zornbrecht dich in seiner Gewalt hat. Bis sie ihren Irrtum bemerkt hat, bist du fort.« Amato zog den Dolch aus seinem Gürtel und erhob sich. Sein Blick suchte Saids. »Kannst du mir vertrauen?«
»Nein«, sagte Said wahrheitsgemäß. »Und Ihr solltet es umgekehrt auch nicht tun.«
Der Grande antwortete nicht, sondern beugte sich vor, um die Riemen zu durchtrennen. Said spürte einen kurzen Ruck an seinen Handgelenken, dann war der Druck weg, und er fühlte, wie das Blut in seine Finger drängte und ein schmerzhaftes Kribbeln hinterließ.
Amato machte einen Schritt zurück und wartete, bis Said sich aufsetzte. Die Bewegung ließ ihn schwindeln, sodass er die Augen zusammenkniff und wartete, bis die Welt aufgehört hatte, sich zu drehen.
»Danke«, murmelte er.
»Du musst mir nicht danken. Ich bin froh, dass du hier bist.« Die Mundwinkel des Granden hoben sich zaghaft, während er den Dolch beiseitelegte. »Was ist eigentlich bei den Karinor geschehen?«
»Das geht Euch nichts an.«
Amato nickte verstehend und trat an den Tisch, um etwas Wasser nachzuschenken. Ein Windhauch blähte die Seidenschleier vor den Fenstern und fing sich in seinem schwarzen Haar, als er Said das Glas reichte. »Du hast recht, es geht mich nichts an, was du tust. Ich werde nicht weiter fragen.« Ein schwaches Lächeln strich über seine feingeschnittenen Züge. »Wirst du trotzdem bis morgen bleiben? Falls es dich beruhigt, ich habe nicht vor, dich an Donna Shantalla auszuliefern.«
Solange die Karinor fürchten muss, dass ich den gefangenen Beschützer zum Reden bringe, wird sie wahrscheinlich einiges für mich bieten, dachte Said, aber er sprach es nicht aus. Sie hätte ihn nicht verfolgen lassen, wenn es sich bei dem Treffen in den Katakomben unter dem Berg, das er heimlich beobachtet hatte, um ein harmloses Stelldichein gehandelt hätte. Doch das musste der Paligan nicht wissen.
Saids Finger legten sich um das kühle Glas, ohne gleich davon zu trinken. Stattdessen fasste sein Blick den blassen Granden, den er trotz aller Schwäche vermutlich mit Leichtigkeit überwältigen könnte. Das war dem Paligan vermutlich ebenso klar, sonst hätte er ihn nicht gefesselt. Dennoch zeigte er keine Furcht, sondern stand auf Armlänge vor ihm, sodass er den Kopf ein wenig in den Nacken nehmen musste, um ihn ansehen zu können.
»Ihr seid seltsam«, stellte er fest. »Es fällt mir schwer zu glauben, dass Ihr so selbstlos handelt wie Ihr vorgebt. Warum wollt Ihr mir helfen?«
»Vielleicht versuche ich gerade nur einmal, etwas zu tun, weil ich es will und nicht, weil es richtig oder notwendig oder nicht dumm wäre.« Amato senkte den Blick, sah an Said vorbei, und für einen Moment schien es, als wollte er noch etwas hinzufügen. Doch dann fasste er die Unterlippe zwischen die Zähne und schloss die Augen. »Ich rede Unsinn«, murmelte er.
»Das weiß ich nicht. Aber vermutlich tut Ihr das.« Said atmete langsam aus, um den Schwindel niederzuringen. Dann schob er vorsichtig die Beine von dem Bett und suchte den Boden unter den Füßen.
»Was hast du vor?«, fragte Amato erschrocken.
»Ich gehe.«
»Es wäre unvernünftig, jetzt aufzubrechen.«