DSA: Rabenbund. Heike Wolf

DSA: Rabenbund - Heike Wolf


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Brotos’ Braue ruckte nach oben. Er machte eine auffordernde Handbewegung. »Führt aus.«

      »Ihr wollt einen Umsturz, aber Ihr habt niemanden, der in der Lage wäre, die Führung zu übernehmen oder die Heeresmacht hinter Euch zu bringen.« Esmeraldo schlug einen Weg ein, der sie ein Stück von den Aufräumarbeiten fortführte. »Solange die Truppen vor den Toren lagern und Ihr die Offiziere nicht hinter Euch wisst, wäre es Wahnsinn loszuschlagen. Was auch immer einige Eurer Anhänger behaupten mögen. Ihr braucht die Offiziere, die Hafenmeisterei und die Stadtwache. Am besten kümmert Ihr Euch auch um die wichtigsten Lanistos und lasst die Commandanta der Rabengarde austauschen. Für einige dieser Aufgaben habt Ihr geeignete Leute. Verteilt die Verantwortlichkeiten entsprechend. Diesen jungen Kugres lasst Ihr besser verschwinden. Die Kriegsfakultät verteilt sehr bereitwillig Patente, aber eine schöne Urkunde macht keinen guten Commandante. Der Bursche ist gefährlich für Euer Unterfangen, weil er seine Fähigkeiten überschätzt und nicht bereit ist, Fehler einzugestehen. Stünde er unter meinem Kommando, hätte ich ihn längst entfernt.«

      Brotos nickte bedächtig. »Das werde ich nachholen. Ich danke Euch. Ich bin wahrscheinlich zu wenig Soldat, um den Wert dieser Patente einschätzen zu können. Das Übrige ist mir durchaus bewusst.« Er strich sich nachdenklich über das Kinn. »Es fließen bereits Gelder, um Notwendigkeiten anzustoßen. Allerdings hat die Erfahrung gezeigt, dass Geld allein nicht an jeder Stelle zu überzeugen weiß. Gerade unter Soldaten gibt es aufrechte Gestalten mit hehren Idealen, die sich in ihrer Ehre gekränkt sehen, wenn man ihre Treue über das übliche Maß hinaus entlohnen will. Solche Männer und Frauen brauchen andere Wege der Überzeugung. Wege, auf die Ihr Euch besser versteht als ich.«

      »Ihr habt mich hierherbestellt, damit ich Euch den Rückhalt der Truppen verschaffe?« Esmeraldos Gesicht blieb unbewegt, während er in Gedanken knapp überschlug, wie groß seine Erfolgsaussichten waren. Er kannte viele der Kommandanten noch aus der Zeit aus Port Corrad, aber es war schwer zu sagen, wie sie inzwischen zu General Oderin du Metuant standen. In fünf Jahren war viel geschehen, für ihn selbst und auch für jeden anderen.

      Brotos nickte. »Das will ich. Ihr seid der Einzige, den ich dazu befähigt sehe, Heer und Stadt zusammenzuhalten. Sobald wir den General gestürzt haben, tretet Ihr an du Metuants Stelle. Ich werde Euch zum Generalissimus machen, und Ihr werdet den Krieg in Kemi für das Imperium zu einem triumphalen Sieg führen. Mit den Anhängern Prinzessin Rhôndas bin ich bereits im Gespräch. Diesen Gestalten ist es gleichgültig, wer das Heer führt, das Nisut Ela und die Horasier aus dem Land fegt. Als Triumphator werdet Ihr dann gemeinsam mit mir über die Stadt herrschen, alle Macht vereint in den Händen des Hauses Paligan.«

      Esmeraldo hob eine Augenbraue. »Ihr seid Euch bewusst, dass Eure Anhänger etwas anderes erwarten? Die anderen Häuser werden es kaum hinnehmen, wenn Ihr sie übergeht. Shantalla Karinor sprach von der Vorstellung, Euch einen neuen Hohen Rat der Zwölf gleichberechtigt zur Seite zu stellen.«

      »Ich weiß.« Brotos’ Lippen formten ein schmales Lächeln, das seine Raubvogelzüge einen Herzschlag lang noch härter erscheinen ließ. »Sie fordern auch, dass Ihr nach Eurem Triumph selbstlos zurücktretet und die Zukunft Gestalten wie diesem jungen Kugres überlasst, dessen einzige Tat es ist, große Reden zu schwingen. Womöglich plant man für Euch bereits ein ähnliches Schicksal, wie es einst unseren Schwarzen General mit seiner Verbannung ereilt hat, als die Granden seine Macht fürchteten. Selem ist sicher ein guter Ort, um in Vergessenheit zu geraten. Man könnte Euch dorthin schicken, um die Grenzen des Imperiums gegen aufrührerische Echsen zu verteidigen. Ich bin überzeugt, dass Euch diese Aussicht ebenso wenig gefällt wie mir.«

      Esmeraldo lachte trocken auf. »Ich bitte Euch, Hochwürden Brotos. Warum sollte Euch mein Schicksal etwas kümmern? Als Patriarch ist Euch ein zerstrittener Rat doch wahrscheinlich lieber als ein starker General an Eurer Seite.«

      Brotos schmunzelte flüchtig. »Es gefällt mir, wie Ihr denkt, Esmeraldo. Und ich beginne zu verstehen, warum mein Bruder Euch ausgewählt hat. Aber in dieser Sache kann ich Euch versichern, dass mich Euer Schicksal sehr wohl etwas kümmert. Ich bin alt, Esmeraldo. Wenn Boron mir noch ein paar Jahre gibt, werde ich sie nutzen, um aus Al’Anfa das Imperium zu machen, das es einst war, bevor es die Honaks von einer Niederlage in die nächste geführt haben. Doch wenn ich gehe und niemand an meiner Seite steht, der mein Werk fortsetzt, werden sich die Raubtiere auf mein Vermächtnis stürzen und es vernichten. Daher wird es auch Euer Werk sein, dem Imperium Größe zurückzugeben und es unter Borons Herrschaft zu stellen. Es gibt übrigens eine junge Geweihte, die ich Euch bei Gelegenheit vorstellen will. Sie hat den Geist, die Stärke und das Potenzial einer Paligan, die Großes zu bewirken vermag. Ihr werdet Euch ihrer annehmen, wenn die Zeit reif ist, wie ich mich Eurer nun annehme, und ihr helfen, mir nachzufolgen. Wenn man etwas von Bestand schaffen will, braucht man mehr als ein Paar Schultern, es zu stemmen. Und mehr als ein Leben, um es zu wahren.«

      »Eine junge Paligan? Kenne ich das Mädchen?«

      »Wahrscheinlich, auch wenn Ihr sie lange nicht gesehen habt. Es handelt sich um meine Nichte Boronita, die Tochter unseres verehrten Goldo mit seiner zyklopäischen Braut. Ein überaus kluges Kind und hübsch.« Brotos schmunzelte erneut auf diese flüchtige, düstere Weise. »Sie wird Euch sicher gefallen.«

      Esmeraldo nickte, während er beschloss, die Zweideutigkeit, die in Brotos’ Worten mitschwang, vorerst zu übergehen. In dem engen Familiengeflecht der acht großen Häuser war es nicht unüblich, dass auch nahe Verwandte einen Bund eingingen, aber darüber würde er zu gegebener Zeit entscheiden, ob er bereit war, sich soweit in Brotos’ Lebenswerk einbinden zu lassen. Im Grunde plante der alte Geweihte nichts anderes als einen Staatsstreich, an dessen Ende das Haus Paligan über alle anderen Häuser triumphierte, indem es geistliche und weltliche Macht gleichermaßen in den Händen hielt. Ein hochtrabender Gedanke, der Esmeraldo erstaunlich gut gefiel, wenn es tatsächlich gelingen könnte, den Gedanken zur Tat zu machen.

      »Eine Sache habt Ihr bislang vermieden anzusprechen«, sagte er nachdenklich, nachdem sie einige Momente schweigend weitergegangen waren. »Don Goldo. Mir ist seine Rolle in Euren Plänen nicht ganz klar. Ich bezweifle, dass er zusieht, wenn wir nach der Macht greifen, ohne selbst die Hand auszustrecken.«

      »Natürlich. Deshalb wird er weichen müssen.« Brotos hielt unvermittelt inne. Die wasserblauen Augen, die trotz des Lächelns plötzlich unangenehm stechend wirkten, suchten Esmeraldos Blick. »Mein Bruder hatte seine Zeit. Für das, was vor uns liegt, braucht das Haus Paligan eine harte und vor allem entschlossene Hand. Wenn sein Kopf fällt, werdet Ihr das Haus führen. Das ist mein Angebot an Euch. Seid Ihr bereit, mir zu folgen?«

      Esmeraldo war ebenfalls stehengeblieben, und zu seiner Überraschung stellte er fest, dass er den alternden Geweihten keineswegs an Haupteslänge überragte, sondern ihm geradewegs in das von Leben und Alter gezeichnete Gesicht sah. Tiefe Entschlossenheit lag darin, und Esmeraldo wurde mit einem Mal bewusst, wie viel dieses Vorhaben dem greisen Geweihten bedeutete. Brotos Paligan hatte sein Leben lang gewartet, und er hatte nichts mehr zu verlieren. Wenn er scheiterte, dann mit dem letzten Versuch, sein Lebenswerk zu vollenden. Doch war dieser Versuch tatsächlich vielversprechend genug, um sein Geschick auf Gedeih und Verderb an das Schicksal seines Großonkels zu hängen? Seine Stellung unter Oderin bot ihm andere Möglichkeiten, und der General war ebenfalls alt, sodass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich ein Nachfolger durchsetzen musste. Alles deutete derzeit darauf hin, dass dies Alena Karinor wäre, doch Dinge konnten sich ändern, gerade wenn ein Krieg bevorstand. Und es gab kaum eine günstigere Gelegenheit, eine Konkurrentin zu beseitigen, als das Schlachtgetümmel, in dem nicht mehr auszumachen war, woher der tödliche Bolzen tatsächlich kam. Nach den Jahren in Sylla störte es ihn, dass er als Commandante unter Oderin du Metuant in die zweite Reihe zurücktreten musste, und ihn störte das Zögern und der Aufwand, den man um die kemsche Prinzessin und ihre unerträglichen Begleiter machte. Shantallas Versprechungen hatten ihn neugierig gemacht, sodass er sich bereit erklärt hatte, ihr zu diesem Treffen zu folgen. Brotos’ Rabenbund bot Möglichkeiten, aber er barg auch Risiken. Allerdings war Esmeraldo nicht so weit gekommen, weil er zauderte und zagte.

      Er nickte langsam und wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als sein Blick auf den hochgewachsenen Mann fiel, der auf sie


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