DSA: Rabenbund. Heike Wolf
fiel mit einem unterdrückten Fluch wieder zurück, als die Knie unter ihm nachzugeben drohten.
»Es ist unvernünftig«, wiederholte Amato, der keine Anstalten gemacht hatte, ihn zu stützen. »Bleib hier. Es macht für dich keinen Unterschied, und morgen wirst du vielleicht schon wieder so weit bei Kräften sein, dass du Donna Shantallas Häschern entkommen kannst.«
»Ich dachte, die lauern alle vorm Anwesen des Zornbrecht«, gab Said giftig zurück, aber er sah ein, dass der Grande recht hatte. Es war ohnehin nur der Magie des Hausmagus zu verdanken, dass er überhaupt schon wieder soweit hergestellt war, und es wäre mehr als leichtsinnig, sich in diesem Zustand auf die Straßen zu begeben. Er musste seine Schwester retten, die von Emilia Bonareth gefangen gehalten wurde, und er nützte Inion gar nichts, wenn er sich von dem nächsten Gassenschläger niederprügeln ließ.
»Morgen früh«, murmelte er resignierend und ließ sich auf die Kissen zurückfallen. »Morgen früh muss ich aufbrechen. Ich muss meine Schwester finden.«
»Du hast eine Schwester?«
»Ja«, antwortete Said knapp. Er griff nach dem Wasserglas. »Wenn ich schon bleibe, habt Ihr auch etwas zu essen für mich?« Jetzt, da die Anspannung langsam abklang, erinnerte ihn sein Magen schmerzhaft daran, wie ausgehungert er war.
Amato lachte erleichtert. »Natürlich. Ismene wird dir etwas bringen. Brauchst du sonst noch etwas? Der Heiler kann vielleicht ...«
»Nein. Nur etwas zu essen und meine Ruhe.«
»Sicher.« Fast erschrocken machte der Grande einen Schritt zurück, zögerte jedoch und schien einen Moment lang mit sich zu ringen, ehe er sich noch einmal Said zuwandte. »Bitte sag Bescheid, ehe du gehst«, sagte er leiser. »Mein Heiler sollte vielleicht doch noch einmal nach dir sehen, und ich ...«
»Ich brauche Euren Heiler nicht mehr, Don Amato«, unterbrach ihn Said. Erschöpft blinzelte er zu ihm hoch. »Danke für Eure Hilfe. Und nun lasst mich alleine. Ihr habt sicher noch anderes zu tun, als neben meinem Bett zu sitzen.«
Der Widerspruch stand Amato ins Gesicht geschrieben, aber er nickte, die Lippen fest aufeinandergepresst. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und verließ den Raum.
Said schloss die Augen und atmete tief durch. Er war wahnsinnig, dem Paligan zu vertrauen, trotz aller schönen Worte. Aber irgendetwas sagte ihm, dass er ihn nicht anlog. Vielleicht war es diese Art, wie er ihn ansah, die sich nicht entscheiden konnte, ob er entschlossen oder unsicher wirken wollte. Doch letztendlich war es gleichgültig. Morgen früh würde er weg sein, ehe jemand in diesem Haus erwachte. Was immer sich Don Amato von ihm erhoffte, es war besser, wenn er ging.
Amato
Mit der Dunkelheit war der Sturm gekommen. Blitze zuckten durch die Nacht und tauchten Al’Anfa in ein grelles, unwirkliches Licht. Der Wind heulte und toste, riss an Bäumen und Häusern, trieb Unrat vor sich her und alles, was man nicht in aller Eile in Sicherheit gebracht hatte. Es war nicht ungewöhnlich für diese Jahreszeit, und gewöhnlich begrüßte Amato Rondras grimmiges Toben. Der nächtliche Sturm hatte etwas Urtümliches, Reinigendes, und wenn er verklungen war, hatte er all die Fäulnis und Schwüle aus der Stadt gewaschen.
Heute jedoch fand Amato keine Ruhe. Seit Stunden schon saß er am Fenster und sah dem Unwetter zu, wie es über der Stadt wütete. Längst war er durchnässt vom Regen, der in feinen Rinnsalen über seine Stirn und seine Wangen rann, aber er spürte es kaum. Seine Augen brannten, während er in die Dunkelheit starrte, die immer wieder von grellen Blitzen durchbrochen wurde, und versuchte, nicht an den jungen Mann zu denken, der in seinem Gastgemach ruhte. Es gab Drängenderes, Wichtigeres, und er musste seine Gedanken auf anderes verwahren.
Irgendwo dort draußen im Dunkel lauerte ein Monster, das sich seinem Blick entzog. Es gab diese Verschwörung, dessen war er sich sicher, doch er tappte hilflos durch die Dunkelheit, blind und taub und ohne ein Ziel.
Er war deshalb an jenem Morgen sehr früh zu Rezzan Zornbrecht aufgebrochen, als die Unruhe ihm keine Ruhe mehr gelassen hatte. Er hatte mit ihm über seine Befürchtungen sprechen wollen, über den ehemaligen Rebellenführer Lucio, den er ins Vertrauen ziehen wollte. Doch dann war Said dagewesen, und seitdem hatte die Sorge um ihn alles andere gleichgültig werden lassen.
Amato schloss gequält die Augen, während seine Gedanken erneut abglitten. Etwas an dem Bastard berührte ihn auf eine Art, die er nur schwer ertragen konnte, und gleichzeitig mit einer Heftigkeit herbeisehnte, die ihn selbst erschreckte. Es war töricht, was er tat, und gefährlich. Dennoch war es da, wie dieser Sturm, der alle Vernunft hinwegfegte und ihn durchnässt und verzagt am Fenster sitzen ließ, während das Monster irgendwo dort draußen seine Krallen wetzte.
Amato atmete tief in die Kühle des Regens, spürte die Nässe auf der Haut und in den Haaren. Er durfte sich nicht verwirren lassen, nicht jetzt, da er all seine Kraft brauchte. Er musste etwas tun, und dennoch saß er hier und fühlte sich wie gelähmt, zerrissen zwischen dem, was er wollte, und dem, was er tun musste. Und immer wieder lockte der Gedanke, das alles hinter sich zu lassen und seinem Vetter Esmeraldo Platz zu machen. Es schien so einfach gerade, so betörend nah. Ein friedliches Ende und Ruhe, die es ihm erlaubte zu tun, was sein Herz ihm gebot.
Ein Regentropfen rann zwischen Amatos Wimpern, sodass er blinzeln musste, als er die Augen wieder öffnete. Sein Vater hatte gelächelt, als er gestorben war. Weil er geglaubt hatte, in ihm den Sohn zu haben, der nicht in seinem Schatten verblasste, sondern aus ihm hervortrat und verwirklichte, wofür es für Irato nach den Jahren im Exil zu spät gewesen war. Das Raubtier, das sein Vater in ihm gesehen hatte. Und Goldos Erbe.
Amato atmete schwer ein. Ein Blitz zuckte über dem fernen Silberberg, tauchte den Rabenfelsen für den Bruchteil eines Herzschlags in ein gleißendes, kaltes Licht. Er war seines Vaters Sohn, er war ein Grande. Er hatte die Macht zu gestalten, die Welt zu formen. Stattdessen wartete er ab, was andere über ihn verfügten, ließ sich umherschieben, benutzen, weil er nützlich war. Goldo, dem Hohen Rat, dem General ... Er saß dort, wo er heute war, weil er niemandem wehtat und es nicht wagte, selbst Hand an die Welt zu legen, um sie nach seinem Willen zu formen. Nicht einmal in seinem eigenen Haus.
Amato biss sich auf die Lippen, als der Gedanke fast schmerzhaft gegen seine Kehle drückte. Er musste ein Raubtier sein, wenn er etwas erreichen wollte und nicht nur verflossenen Gelegenheiten hinterhertrauern, die viel zu schnell vergingen und nichts als wehmütige Erinnerungen zurückließen.
Amato sprang auf. Wasser rann aus seinen Haaren und hinterließ zusammen mit dem tropfnassen Hemd kleine Pfützen, als er das Gemach durchquerte und auf den Flur hinaustrat. Einen Moment zögerte er, dann straffte er die Schultern und drückte entschlossen die Klinke hinab.
Das andere Zimmer lag ruhig. Ismene hatte die hölzernen Läden geschlossen, wie sie es immer tat, wenn Sturm aufkam, sodass man nur das Heulen des Windes und das Donnern vernahm. Amatos Herz schlug schneller, als er einen Schritt in den Raum hineinmachte. Ein eisernes Band hatte sich um seine Brust gelegt, das ihm den Atem nahm. Alles in ihm schrie danach, wieder zu gehen, wie er es all die Jahre getan hatte, bei Reto und allen, die sein Herz zu berühren drohten. Dennoch trat er näher, Schritt für Schritt bis an das Bett, auf dem Said schlief.
Er lag halb auf die Seite gelehnt, den Kopf auf den Arm gebettet. Eine Strähne seines schwarzen Haars war ihm ins Gesicht gefallen und schmiegte sich an die Wangenlinie, die im Zwielicht der Sturmnacht weicher schien als sie es war. Amato wagte kaum zu atmen, während er ihn stumm betrachtete und das Band um seine Brust das Klopfen seines Herzens zu ersticken schien. Vorsichtig beugte er sich vor und hob die Hand, zögerte erneut, ehe er die Fingerspitzen sacht an Saids Wange legte, um die Strähne beiseitezuschieben.
Im nächsten Moment drückte sich die Spitze des Dolchs an seinen Hals. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Said ihn an. »Was wollt Ihr?«, zischte er.
»Ich ...« Amato verstummte und versuchte, den Dolch beiseitezuschieben, aber die Klinge folgte ihm unnachgiebig. »Ich wollte nach dir sehen. Ich meine, dich sehen.«
»Das hat Eure Sklavin bereits getan.«
»Ich weiß.«
Er