Seewölfe - Piraten der Weltmeere 588. Sean Beaufort
und einem Gruß, der ebenso stolz wie herzlich ausfiel. Er beherrschte sich, weil es sinnlos war, im Hafen zu fluchen und zu toben, wenn sich die Probleme weit draußen auf dem Wasser zeigten.
Daß beide Kapitäne und auch Recalde auf der „San Leon“ ihr Äußerstes geben würden, stand für ihn fest. Bevor er seine Eintragungen machte, ging er hinaus auf die Terrasse, die von Blumen überwuchert war. Er stützte sich schwer auf das steinerne Geländer und sah zu, wie die Kapitäne an Bord gingen, hierhin und dorthin deuteten und Befehle ausriefen.
Die Taue zwischen den Schleppjollen und den Karavellen strafften sich. Die Männer legten sich schwer in die Riemen. Planken ratterten an Land, Kommandos hallten von den Mauern der schmalbrüstigen, weißgekalkten Häuser wider. Nacheinander schwangen die Schiffe ihre Hecks herum. Langsam lösten sie sich von den wuchtigen Pollern. Der Wind begann die Segel zu füllen, aber die Leinwand hing schwer durch.
Einige hundert Ellen weit mußten die Karavellen ins Fahrwasser geschleppt werden.
„Leinen los. Wir schaffen es jetzt!“
„Nach Backbord. In die Strömung!“
Schwerfällig drifteten die Schiffe in weitem Abstand hintereinander aus dem Hafenbecken hinaus und ins freie Fahrwasser. Einige Fischerboote wichen hastig aus. Noch war der Wind nicht umgesprungen. Er wehte von See her, und die Mannschaften hatten zu tun, um die Kommandos der Offiziere zu befolgen. Schließlich brachten die Rudergänger die Karavellen in den Bereich eines kräftigen Windes, der die Segel füllte und ein einwandfreies Manövrieren ermöglichte.
Die ersten Sterne schienen zu flackern und verschwanden vom Himmel. Im Osten zeigte sich ein dünner, grauer Streifen. Der Südwestwind pfiff und heulte. Die Takelage gab summende Geräusche von sich, die im Rauschen der Bugwelle untergingen. Hart und prall spannten sich die Segel.
Das Licht der Laternen, die beide Schiffe gesetzt hatten, verblaßte langsam. Von Anbruch der Abenddämmerung an hatten die Karavellen unerwartet guten und kräftigen Wind gehabt und waren die lange Märznacht hindurch hart, aber sehr schnell gesegelt.
Ruiz Coillar richtete das Spektiv auf die beiden winzigen Lichtpunkte und den grauen Schatten, der an Steuerbord durch die Wellen glitt. Gischt, Bugwelle und Kielwasser bildeten hellere Streifen in einer verwaschenen Umwelt. Die Luft schnitt eiskalt in die Haut, die Kälte kroch durch die Falten der schweren Jacke und ließ den Kragen gegen den Hals flattern.
„Ich sehe keine Schwierigkeiten“, sagte er und wandte sich an seinen Ersten Offizier. „Ich gestatte mir, auf Freiwache zu gehen. Du übernimmst. Für drei Stunden.“
Er gähnte und gab Manuel, als wäre es eine geweihte Flagge, sein fast unersetzliches Linsenrohr. Auf dem Achterdeck waren sie deckungslos der Kälte ausgesetzt. Die Wassertropfen vom Bug und den Backbordplanken zischten waagerecht durch die Luft und verwandelten sich auf der Haut zu spitzen Geschossen.
„Raumer Wind“, sagte Manuel mit halb erfrorenen Lippen. „Ich denke, er wird uns noch ein paar Stunden vorwärtsbringen. Wir haben zweifellos aufgeholt.“
Ruiz nickte und schüttelte sich.
„Wenn du eins der drei Schiffe recht voraus siehst, möchte ich geweckt werden. Und lasse den Rudergänger ablösen, sonst erfriert er noch.“
„Verstanden. Wir sollten zuerst auf Jorges ‚San Leon‘ aufschließen.“
„Es sollte mich nicht wundern“, sagte Ruiz Coillar, schlug seinem Ersten kurz auf die Schulter und polterte den Niedergang hinunter. Er warf einen letzten Blick auf die dick vermummten Gestalten der Seeleute, suchte den Horizont unterhalb der Segelkanten ab und zuckte mit der Schulter. Grimmig wünschte er sich, daß der starke Wind nur den spanischen Verfolgern, nicht aber den anderen Schiffen helfen würde. Daß es ein frommer Wunsch war, wußte er selbst.
Capitán Coillar warf sich, ohne die Jacke abzulegen, in die Koje, wickelte sich in eine Decke und überließ sich den einschläfernden Bewegungen der Karavelle.
Als er geweckt wurde, befand sich die „Los Monteros“ weitab vom Land. Der Wind hatte in der Morgendämmerung aufgefrischt und war umgesprungen. Jetzt wehte er von Südost und zwang die Verfolger, weit vom Land auf Nordwestkurs zu segeln. Erst später konnten sie wieder mit einem weiten Schlag dort weitersuchen, wo sich nach ihren Schätzungen die „San Leon“ und die verdammte, rätselhafte „Fidelidad“ befanden – und diese Schebecke, die der Teufel holen sollte.
Von der Galion turnte Philip Hasard Killigrew langsam nach achtern. Er rief seinen Mannen aufmunternde Bemerkungen zu und sagte sich, daß jeder an Bord tüchtig durchgefroren war. Zwar wärmten mittlerweile die Sonnenstrahlen, aber der Wind schnitt eiskalt in die Gesichter.
„Wartet noch eine Stunde!“ rief er, als er auf der Höhe des Hauptmastes angelangt war. Er schob das Spektiv in den breiten Gürtel und klammerte sich an einem Tau fest. „Dann hat der Kutscher seine heiße Suppe fertig.“
„Laß lieber eine Ration Schnaps austeilen, Sir!“ rief der Profos. „Das muntert uns auf.“
„Würde euch so passen“, gab Hasard zurück. „Schon am frühen Morgen besoffen segeln!“
„Ist ja schon fast Mittag“, meinte Old Donegal.
„Vielleicht denkt einer von euch an unsere Kameraden auf der Prise. Und an die Verfolger.“
„Ich sehe keine Verfolger“, sagte der Profos grimmig.
Der Seewolf lachte. „Aber ich werde sie wahrscheinlich gleich sehen. Voraus habe ich sie nirgendwo entdeckt. Aber sicher hinter uns.“
„Früher oder später werden wir die Dons wohl sichten!“ rief Al Conroy.
„Früher!“ meinte der Seewolf und balancierte auf den Planken des schrägliegenden Decks nach achtern. „Wir haben nicht jeden Tag soviel Glück wie beim Entern der ‚Fidelidad‘, die übrigens brav und tapfer auf gleicher Höhe dahinstampft.“
Weit im Westen bauten sich wieder Gewitterwolken auf. Sie schienen direkt über den Inseln der Azorengruppe aufzusteigen. Seit Mitternacht war der Himmel klar und wolkenlos. Der gestrige Dunst hatte sich vollständig aufgelöst.
Der Seewolf war unruhig, weil er fürchten mußte, daß der gute Wind nicht anhalten würde. Diese Wolken waren ein erstes Zeichen dafür. Hasard turnte hinüber nach Steuerbord, um die Stufen des Niederganges zu erreichen. Er schwang sich auf das Achterdeck und nickte Dan O’Flynn zu, der am Ruder stand.
„Ich bin sicher, daß wir in einigen Stunden Schwierigkeiten bekommen“, meinte er und kletterte hinauf aufs achtere Grätingsdeck.
„Der Wind?“
„Vielleicht ein schweres Gewitter. Auf jeden Fall starke Winde oder ein Sturm. Und dann die Spanier, die bestimmt nicht aufgeben werden. Es ist durchaus möglich, daß die Mannschaft der ‚Fidelidad‘ mittlerweile das Land erreicht hat.“
„Zerbrich dir nicht den Kopf, Sir.“ Dan versuchte, trotz der Kälte und der gemeinsamen Befürchtungen gutgelaunt zu wirken. „Wenn wir die Spanier sehen, ist es Zeit genug, sich zu ärgern.“
„Darüber denke ich ein wenig anders.“
Hasard kannte die Unruhe seiner Mannschaft. Schließlich lag England praktisch direkt voraus. Ein paar Tage mit gutem Wind brachten sie nach Plymouth oder an die Küste Cornwalls. Aber zwischen diesem Ziel und heute lagen noch viele Seemeilen. Die Strecke von La Coruña bis Brest, bekannt wegen der launischen Stürme und der schiffevernichtenden Wellen, jagte jedem erfahrenen Seemann schon beim Gedanken daran Schauder über den Rücken. Im Heck sicherte sich Hasard an den Wanten des Besanmastes und holte das Spektiv aus dem Gürtel.
Er suchte die dreieckigen Segel der spanischen Karavelle, deren Laternen sie in der Nacht mehrmals gesichtet hatten.
An Steuerbord zeichnete sich Land ab. Über der Kimm entdeckte Hasard einige auffällige Rauchsäulen. Es mußten große Feuer sein, die dort brannten. Aber der Rauch wurde nicht, wie es dem Wind auf dem Meer entsprach, nach Osten oder wenigstens