Seewölfe - Piraten der Weltmeere 588. Sean Beaufort
„Und das Silberschiff?“
„Die ‚Fidelidad‘ fällt zwangsläufig zurück. Wir werden uns um sie kümmern müssen.“
„Natürlich. Die Galeone ist langsamer als wir. Aber sie können sich wehren. Don Juan weiß, was er zu tun hat. Ich bin sicher, daß sie ihre Geschütze schon feuerbereit haben.“
„Das schon. Aber drüben haben sie keinen Al Conroy.“
Hasard starrte lange durch die vergrößernden Linsen und fand die Beobachtungen bestätigt. Er brauchte nicht mehr zu überlegen, um seine Taktik zu erklären.
„So lange es geht, halten wir weiter Nordkurs!“ bestimmte er. „Ed!“
„Sir?“ tönte es vom Mast her.
„Du hast mit Roger Brighton die Signale abgesprochen. Dort ist die Sonne. Erkläre der anderen Crew, was wir vorhaben.“
„Aye, Sir!“
Der Profos verschwand unter Deck. Hasard winkte seinen Leuten und stellte sich so auf, daß alle, auch der Rudergänger, mithören konnten. „Wie gesagt: immer nach Nord und gut freihalten vom Land.“
„Völlig klar!“ wiederholte der Mann an der Pinne.
„Wir bleiben in Sichtverbindung mit der ‚Fidelidad‘ und helfen ihr, wenn es sein muß. Seht ihr die Wolken? Wieder einmal ein Gewitter. In eineinhalb Stunden sind wir mitten drin.“
Carberry trat zum Mast, hörte sich an, was Hasard sagte und zog dann einen rahmenlosen Spiegel aus der Jacke. Die Glasfläche war etwa dreimal so groß wie eine Handfläche, also doppelt so groß wie seine eigene Pranke. Der Spiegel stammte aus einer venezianischen Manufaktur wie so manches andere, das sie gekauft oder eingehandelt hatten.
„Und was dann?“
Wieder wandte sich Hasard an Dan O’Flynn.
„Ich habe gesehen, daß die drei spanischen Karavellen nicht nur aufgeholt haben, sondern praktisch nebeneinander segeln. Das hast du auch beobachtet, nicht wahr? Hast du Signale gesehen?“
„Nein. Dazu sind sie noch zu weit entfernt.“
Also hatte er das gleiche wie der Kapitän gesehen.
„Sage denen dort drüben“, erklärte Hasard, „daß wir es uns nicht leisten können und nicht riskieren werden, daß sie uns gemeinsam angreifen. Wir können es nur mit einem Schiff aufnehmen. Sicher ist sicher. Dabei muß uns die ‚Fidelidad‘ helfen. Bringe es ihnen bei.“
„Bißchen viel Text“, brummte der Profos. „Aber ich kriege es schon hin, verlaß dich drauf.“
„Genau das tue ich.“
Edwin Carberry hatte ein einfaches System ausgeknobelt, um Signale und Antworten auszutauschen. Die Bedingung war allerdings, daß jedes Signal und jede Bedeutung genau abgesprochen sein mußte. Also hatte er, bevor die Prisencrew an Bord des Silberschiffes ging, zwei Listen geschrieben, von denen die Signale einfach abzulesen waren.
Seine Liste kannte er auswendig, hoffentlich hatte auch Roger seinen Text, die Striche und Punkte, gelernt. Carberry blinzelte nach der Sonne, kippte den Spiegel und schickte langsam einzelne Lichtblitze zur „Fidelidad“ hinüber, die in vierfacher Culverinenschußweite durch die harten Wellen stampfte.
„Du erklärst ihnen hoffentlich“, rief Hasard, „was sie gefälligst zu tun haben?“
„Nichts anderes, Sir.“
Zwei gegen drei also, jetzt wußten sie es. Die Karavellen waren schon mit bloßem Auge zu sehen. Sie kreuzten ebenso wie die Schebecke und rückten im gleichen Maße näher, wie sich die Wolke ausbreitete und höherschob. Es war nicht mehr viel Zeit für Blinksignale, denn die Sonne würde von der Gewitterwolke bald verdeckt sein. Jetzt erfolgten die ersten zögernden Antworten von der „Fidelidad“.
„Seht ihr? Sie haben’s begriffen!“ rief der Profos und versuchte zu verstehen, was die Prisencrew antwortete. Eine Viertelstunde lang blinkten die winzigen, grellen Blitze hin und her, von Schiff zu Schiff. Die Galeone segelte unter Vollzeug, aber sie würde nicht schneller werden können.
Carberry schob den Spiegel wieder unter die Jacke, grinste breit und erklärte: „Also, alles klar bei Don Juan und seinen Rübenschweinen. Ihre Kanonen sind geladen, und sie wissen, wo’s langgeht. Die Spanier haben sie gesehen. Sie werden uns helfen, wenn es Schiff gegen Schiff geht. Im Gewitter versuchen sie, auf Nordkurs zu bleiben. Werden sie abgetrieben, kreuzen sie wieder zurück. Wir sollen uns nicht zu weit von ihnen entfernen. Sie haben Angst, wenn ich sie allein lasse.“
Lautes Gelächter begleitete seinen letzten Satz. Unter Deck kläffte und bellte Plymmie, aber sie traute sich nicht den Niedergang hinauf. Der Schimpanse stieß aufgeregte Schreie aus.
„Du wirst sie schon richtig beschützen!“ rief Hasard lachend. Er verließ sich auf seine Leute wie sie auf ihn. Daß sie auf zwei so unterschiedliche Schiffe verteilt waren, ließ die Probleme allerdings nicht geringer werden.
„Bis auf die Freiwache alle Mann an Deck“, sagte er entschlossen. Es war mehr ein Vorschlag als ein Befehl. „Seht euch die Wolken an. Es wird nötig sein, daß vielleicht der eine oder andere von euch nach einem Tampen faßt.“
Während er sprach und seine Männer zu ihren Stationen turnten, verschwand die Sonne hinter der schwarzen Wand. Es schien schlagartig kälter zu werden. Die Farbe des Wassers, der Gischt und aller anderen Dinge änderte sich ebenso plötzlich. Die Segel wurden grau, und das Wasser, das über die Planken lief und vor den Speigatten gurgelte, sah schmutzig aus.
Hasard gab seine Befehle.
Die Crew bereitete sich darauf vor, die Segel zu reffen und einen Gewittersturm abzureiten. Bis zur Abenddämmerung waren es noch fünf Stunden. Als der Stückmeister an Deck erschien, warf er einen langen Blick auf die Verfolger und starrte lange in Hasards Augen.
„Ich brauche zwei Culverinen auf dem Grätingsdeck und eine neben dem Fockmast. Wir müssen zusammen anpacken und die Rohre dort hinauf schleppen.“
„Du weißt, was du tun willst?“
„Ziemlich genau, Sir“, erwiderte der Stückmeister. „Ich habe lange genug darüber nachgedacht. Und früher“, er grinste halb skeptisch, halb zuversichtlich, „habe ich schon mal den einen oder anderen Schuß abgegeben und sogar getroffen.“
„Dann fangen wir sofort damit an! Los, Arwenacks! Schleppt die Artillerie an ihre Plätze!“
Die Schebecke trug hinter dem Schanzkleid ein Dutzend Geschütze. Nacheinander wuchteten die Männer drei Culverinen auf ihren niedrigen Blockräderlafetten über Deck, zerrten sie auf schmalen Planken ins Heck und in den Bug – und zurrten sie fest. Al Conroy eilte hin und her, packte mit an und half mit dem Richthebel nach, schob und zog an der Lafette und riß schließlich den Arm hoch.
„Alles klar!“ schrie er über die Länge des Decks. „Jetzt können wir sie aus allen Lagen und Richtungen packen. Sie sollen nur antanzen, die Dons, mit ihren verdammten Hinterladern!“
Die zwölf Siebzehnpfünder waren gereinigt, vorbereitet und mit Leinwandhüllen verschlossen. Jetzt erst dachte Al Conroy daran, die Bronzerohre zu laden und die Ladungen zu berechnen. Das dauerte seine Zeit.
Schweigend und nachdenklich kletterte Al Conroy unter Deck und öffnete seine Truhen.
Als der erste Deckel schwer gegen die Planken schlug, richtete sich die Schebecke auf und verlor an Fahrt.
Das Gewitter war heran. Die Wolkenfront brachte keine Blitze, keinen Donner oder Regen mit sich, aber die erste kurze Flaute. Die Dunkelheit nahm zu.
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