Seewölfe Paket 1. Roy Palmer

Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer


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das lose Ende und begann es aus der Verknüpfung zu lösen. Eine Minute später war die Fesselung so gelockert, daß Dan sie abstreifen konnte. Er rieb sich die Handgelenke, richtete sich auf und knüpfte seine Fußfesseln auf.

      „Wenn ihr schön artig sein“, erklärte er lässig, „bin ich vielleicht so großzügig und binde euch auch los.“

      „Dan O’Flynn“, mahnte Hasard, „halt keine Volksreden, Pete und Gary sind verletzt, nimm sie dir zuerst vor, und zwar hopp, hopp, wenn ich darum bitten dürfte.“

      „Aye, aye, Sir.“

      Das Bürschchen stand auf, tastete sich an den Säcken und Ballen vorbei zu Gary Andrews und befreite ihn von den Fesseln. Dann entknotete er die Riemen Pete Ballies und nahm sich den Seewolf vor. Gemeinsam lösten sie die Fesseln von Ferris Tucker und Ben Brighton, und kurz darauf waren sämtliche Männer frei.

      Ausnahmsweise fluchte einmal keiner über die Ratten, die zum lebenden Inventar eines Schiffes gehörten – wie die Maden, Kakerlaken und anderes Getier an Bord.

      3.

      Philip Hasard Killigrew hatte zwei Seidenballen aufgerissen und in einem Quergang für die beiden Verletzten ein weiches Lager hergerichtet sowie noch einmal ihre Wunden verbunden. Stoff hatte er dafür mehr als genug. Gary Andrews fieberte und redete im Halbschlaf wirres Zeug. Hasard wies den Kutscher an, sich um ihn zu kümmern.

      „Halte ihn fest, wenn er sich herumwirft“, sagte er. „Gary muß ruhig liegen, damit die Wunde nicht aufbricht und wieder zu bluten beginnt.“

      „Geht klar“, sagte der Kutscher, „hab da so meine Erfahrungen von den Krankenbesuchen her, als ich noch Kutscher bei Sir Anthony Abraham Freemont war.“

      Mit Ferris Tucker untersuchte Hasard dann das Türschott. Es war aus massiver Eiche und widerstand allen Versuchen, es aufzubrechen.

      Wie viele Stunden sie inzwischen in dem Frachtraum zugebracht hatten, wußten sie nicht. Nach ihrem Hunger und Durst zu urteilen, mußte bereits ein Tag vergangen sein. Der Durst setzte ihnen in dem stickigen Frachtraum am meisten zu.

      Hasard schätzte, daß die Spanier die Absicht hatten, seine Männer und ihn auf kleiner Flamme weichzukochen. Entkräftete Männer waren weniger gefährlich. Wahrscheinlich würden sie von Zeit zu Zeit eine Muck mit etwas Wasser und einen vergammelten Zwieback kriegen – zuviel zum Leben und zuwenig zum Sterben, eben ausreichend, um einen Mann nicht krepieren zu lassen.

      Donegal Daniel O’Flynn, stets hungrig und mit normalen Portionen nicht satt zu kriegen, litt am meisten. Aber er jammerte nicht. Dafür untersuchte er systematisch sämtliche Säkke im Frachtraum und entdeckte nacheinander Zimtstangen, Pfefferkörner, Lorbeer, Majoran, gemahlenen Koriander, Ingwerwurzeln, Basilikumsamen und Aniskörner.

      Die Aniskörner waren brauchbar, wie er beseligt feststellte. Sie schmeckten süß-würzig und ergaben mit zerkauten Ingwerwurzeln eine Ersatzmahlzeit, die durchaus genießbar war. Dann fand er noch einen Sack und öffnete ihn. Er griff hinein und hielt etwas in der Hand, das weder hart noch sehr weich war, ein daumenbreites dreieckiges Stück, von denen der ganze Sack voll war. Er nahm es heraus und roch daran.

      Was war das?

      Vorsichtig grub er seine Zähne in das Stück und kostete. Hm, nicht schlecht, etwas fettig, süß.

      „He, Ben!“ rief er. „Ich glaub, ich hab hier was, das man essen kann. Probierst du mal? Du bist doch schon bei den Dons gefahren und kennst dich aus.“

      Ben Bringhton kletterte über ein paar Säcke zu Dan, langte in den geöffneten Sack und holte ein Stück heraus.

      „Kokosnuß“, sagte er sofort, „das Fleisch von der Kokusnuß.“

      „Ist doch eßbar, oder?“

      „Klar, und man wird ziemlich satt davon. Junge, das ist ein Fang. Hilf mir mal. Wir stellen den Sack in den Mittelgang, damit alle ran können.“

      Sie hievten den Sack gemeinsam zwischen den anderen heraus und zogen ihn zum Mittelgang. Ben Brighton verteilte die Stücke, und für eine Weile war nur das Kauen und Schmatzen zu hören – eine Meute hungriger Wölfe, die ihre Zähne in das süße Fleisch hieben und es zermalmten. Der Ölgehalt in dem Fleisch reichte aus, ihren gröbsten Durst zu stillen.

      Hasard schaute nach den beiden Verwundeten. Pete Ballie war eingeschlafen. Gary Andrews phantasierte und hatte einen glühendheißen Kopf.

      „Verflucht, hoffentlich steht er das durch“, murmelte Hasard besorgt.

      „Er ist von der zähen Sorte“, sagte der Kutscher.

      „Dennoch, wir müssen hier raus. Wir könnten natürlich Krach schlagen und die Dons hereinlocken. Aber ich will nicht noch mehr Verletzte haben. Außerdem hat keiner von uns eine Waffe.“ Er schwieg einen Augenblick und fragte dann: „Weiß jemand, wie viele Dons es waren, die uns überrumpelt haben?“

      „Ich hab zehn gezählt“, sagte Ferris Tucker.

      „Ich auch“, erklärte Ben Brighton.

      Hasard überlegte. „Pete und Gary sind kampfunfähig, dann steht das Verhältnis also vierzehn zu zehn. Einem der Dons habe ich zumindest die Kinnlade zerschlagen. Jedenfalls sind wir in der Überzahl – nur leider waffenlos. Ferris?“

      „Ja?“

      „Du solltest mal auf die Säcke hier steigen und Zoll für Zoll die Planken über uns untersuchen. Vielleicht sitzt eine locker oder ist verrottet. Über uns befindet sich das Unterdeck, sei also leise, falls du das Holz abklopfst. Ben, du bleibst beim Schott und lauschst, ob sich draußen was rührt. Stell dich so, daß du sofort zupacken kannst, sobald ein Don seine Nase hier hereinsteckt. Dann haben wir einen der Kerle als Geisel, ganz abgesehen von seinen Waffen. Blacky und Smoky, ihr geht mit Ben zum Schott und schnappt euch den nächsten, falls er auch neugierig wird. Sie dürfen aber nicht schreien. Sammelt die Riemen auf und steckt sie ein. Wir brauchen sie bestimmt noch. Alle anderen gehen in den Quergängen in Deckung, damit die Dons nicht auf Anhieb merken, daß wir nicht mehr gefesselt sind. So, Ferris, fang an.“

      Der Riese begann auf der Backbordseite beim Schott und stieg dort auf die Ballen. Die Männer verhielten sich mucksmäuschenstill. Nur Gary Andrews lallte unverständliche Worte und atmete stoßweise. Hasard wußte, daß der Kutscher ihm unablässig den Schweiß vom Gesicht wischte.

      Alles in der Dunkelheit des Frachtraums war unwirklich. Die schwachen Lichtschimmer zwischen den Ritzen des Türschotts waren verschwunden.

      Es mußte Nacht sein.

      Die „Santa Barbara“ lag nach Backbord über. Also segelte sie mit dem Wind von der Steuerbordseite. Hasard versuchte, sich die Situation oben auf dem Deck der Galeone vorzustellen. Zweifelsohne steuerte die „Santa Barbara“ östlichen, wahrscheinlich aber nordöstlichen Kurs, denn sie hatten unterhalb der Azoren gestanden, als von den Dons der „Wachwechsel“ erzwungen worden war. Verdammte Dons! Dieser Capitan mit dem langen Namen war als Gegner nicht zu unterschätzen.

      Hasard vergegenwärtigte sich das Gesicht des Mannes – hager, dunkelbraun gebrannt, Adlernase, ein schmales, freches Bärtchen über der Oberlippe, das Kinn aber glattrasiert. Mit dem schmalen Ding über der Oberlippe hatte der Capitan sogar noch mehr als frech ausgesehen. Verwegen. Na ja, Bärte konnten alles mögliche vortäuschen, aber eines zeichnete diesen verdammten Miguel Lopez trotz allem aus: Er war strikt dagegen gewesen, einem Wehrlosen Fußtritte ins Gesicht verpassen zu lassen. Ein Gentlemen, dachte Hasard. Aber dieser Knebelbärtige, der ihm die Fußtritte zu kosten gegeben hatte, der war einr ganz miese Type.

      Ferris Tucker unterbrach seine Gedanken. Er befand sich links hinter Hasard.

      „Bisher nichts“, sagte er erbittert. „Hätte nie gedacht, daß die Dons so exakt bauen. Dieses Deck hier über uns ist nach Maß gezirkelt und gefugt. Alles gesundes Holz. Verdammter Mist. Wie kriegen die das nur hin. Da müßte man direkt noch mal in die Lehre gehen, wie die bauen.“


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