Seewölfe Paket 1. Roy Palmer
klar, Ben?“
„Aye, aye“, erwiderte der Bootsmann.
„Ferris, sieh zu, daß alle Luken gut abgedichtet sind“, sagte der Seewolf. „Hast du schon mal das Bilgewasser kontrolliert, hat das Schiff irgendwelche Leckstellen?“
„Bis jetzt habe ich noch nichts entdecken können, der Stand des Bilgewassers ist normal. Aber bei diesen verdammten spanischen Kästen weiß man das ja nie. Wenn ich den Vormast noch mehr abgesichert habe, gehe ich unter Deck nochmals das ganze Schiff durch.“
„Gut. Überprüfe auch den Frachtraum mit den Seidenballen und den Gewürzsäcken. Ich will nicht, daß die Ladung irgendwie verrutscht und wir Schlagseite kriegen.“
„Geht klar“, sagte Ferris Tucker und holte sein Werkzeug.
Ben Brighton ließ die Fock bergen und statt dessen das Sturmsegel anschlagen.
Inzwischen brach die Dämmerung herein. Im letzten Tageslicht zeigten sich weit im Südosten hoch am Himmel faserige Wolkengebilde, die wie zerrupfte Federn wirkten. Hasard beobachtete sie mißtrauisch, bis die Dunkelheit keine Sicht mehr zuließ.
Auch die Dünung rollte aus Südosten heran. Der Wind rührte sich noch immer nicht, und die „Santa Barbara“ wälzte sich träge von Backbord nach Steuerbord, wieder zurück, verneigte sich tief, stieg hoch, legte sich über. Es war eine schauerliche Schaukelei, die entnervend wirkte. Dazu ächzte und stöhnte die Galeone in ihren hölzernen Verbänden, das Tauwerk knarrte, an die Bordwände klatschte das Wasser – Geräusche, denen die Männer der „Santa Barbara“ beklommen lauschten, weil sie unter die Haut gingen.
Denn ohne Winddruck auf den Segeln war die „Santa Barbara“ ein totes Schiff, keine Kraft wirkte auf das Ruder, es war ein steuerloses Dümpeln und Torkeln in der Dünung, ein erzwungenes Warten auf etwas Ungewisses, das im und über dem Wasser lauerte, bereit, irgendwann brutal zuzuschlagen.
Hasard ließ die zwölf Kanonen auf dem Mitteldeck – je sechs auf jeder Seite – mit Brooktauen doppelt absichern. Bei dem ständigen Überholen und Arbeiten des Schiffes brauchte sich nur eine aus den Laschungen zu lösen – sie würde wie ein übergroßes Geschoß lossausen, das Schanzkleid zertrümmern oder ins Vor- oder Achterkastell krachen.
Keiner der sechzehn Männer schlief. Eine unerklärliche Spannung lag in der Luft. Sie waren alle hartgesotten, aber als auf den drei Mastspitzen und den Rahnocken plötzlich rötlichviolette Lichtbüschel zu tanzen begannen, bekreuzigten sich einige.
Smoky, der vor dem Seewolf auf der „Marygold“ Decksältester gewesen war, ein eiserner Brocken von Mannskerl, schnaufte entsetzt und deutete die flackernden Lichter als Vorzeichen des Feuerteufels.
Und der Kutscher schnatterte mit den Zähnen und vertrat die stotternde Ansicht, der Weltuntergang stünde bevor.
Es sah auch weiß Gott gespenstisch genug aus. Die Lichter geisterten wie winzige Kobolde auf den Mastspitzen, es knisterte unheimlich, zuckende Funken sprangen hierhin und dorthin, schickten ihre Lichtblitze über das Deck und beleuchteten für Bruchteile von Sekunden die emporgereckten Gesichter der Männer an Deck.
Donegal Daniel O’Flynn indessen nutzte die Gelegenheit und verholte sich hinter dem palavernden Kutscher klammheimlich in die Kombüse. Mit sicherem Spürsinn steuerte er den Sack an, der im hinteren Winkel der Kombüse zwischen zwei Backskisten stand und mit getrockneten Früchten vollgestopft war.
Er löste das Bändsel, das den Sack oben zusammenhielt, langte hinein und begann zu futtern. Höhepunkt der lukullischen Genüsse waren süße Feigen und Datteln, die man daheim in Falmouth allenfalls vom Hörensagen kannte. Das Bürschchen verging vor Wonne, kaute auf beiden Backen, lauschte dem Palaver der Männer draußen vor der Kombüse und segnete die funkelnden Lichter auf den Mastspitzen und an den Rahnokken. Von ihm aus konnten die lustigen Blitze dort bis zum nächsten Morgen herumtanzen, für ihn bedeuteten sie weder Weltuntergang noch Feuerteufel, sondern einen mit süßer Kost gefüllten Magen.
Etwa zu dieser Zeit erschien Ferris Tucker auf dem Deck vor dem Achterkastell und berichtete Hasard von einer Eigentümlichkeit im Vorschiff der Galeone, die ihm Kopfzerbrechen bereitete. Dort befände sich nämlich, so sagte er, unter dem Holz des durchs Deck geführten Bugspriets ein Raum, der entgegen der sonstigen Bauweise total abgeschlossen sei.
„Na und?“ fragte der Seewolf.
„Ich weiß nicht, was dahintersteckt“, erwiderte Ferris Tukker. „Dieser letzte Teil im Vorschiff ist regelrecht abgeschottet, da verlaufen von der Deckshöhe bis anscheinend hinunter zum Kiel sauber verfugte Bohlen so dick wie meine Faust, aber ich begreif nicht, was das soll. Warum lassen die Dons das Unterdeck nicht offen bis zum Bug durchlaufen, damit man überall ran kann, wenn’s mal nötig ist? Ich habe gegen die Bohlen geklopft – es klingt hohl dahinter.“
„Muß es doch auch“, sagte Hasard. „Die können doch nicht das Vorschiff aus Vollholz bauen.“
„Natürlich nicht“, sagte Ferris Tucker, „nur kapier ich gottverdammt nicht, warum die Dons diesen ganzen Raum abschotten. Da könnte man doch alles mögliche verstauen und unterbringen, wie das überall getan wird. Man verschenkt keinen Raum, verstehst du?“
„Ferris“, sagte Hasard sanft, „ich bin kein Spanier und habe diesen Kasten nicht gebaut, Mein Problem ist zur Zeit dieser Sturm, der in zwei, drei Stunden losbrechen wird und überstanden werden muß. Ist die ‚Santa Barbara‘ dicht, oder ist sie es nicht?“
„Dicht ist die alte Tante, da freß ich einen Besen.“
„Gut“, sagte Hasard, „mehr interessiert im Moment nicht. Wenn wir den Sturm hinter uns haben, säg von mir aus ein Loch in die Bohlen, die das Vorschiff abschotten, und studier dann die Schiffbaukunst der Dons. Hast du die Luken verschalkt?“
„Alles klar“, sagte Ferris Tucker. „Meinst du, daß es dick wird?“
„Noch dicker“, erwiderte der Seewolf grimmig. „Schau dir doch mal die niedlichen Feuerchen auf den Toppen und an den Rahnocks an. Von meinem Alten weiß ich, daß diese Erscheinungen vor knüppeldicken Stürmen aufzutreten pflegen.“
„Da hat Sir John recht“, sagte der riesige Schiffszimmermann. Genau zwei Stunden später sprang plötzlich Wind auf, fegte von Süden in die Takelage, daß es nur so pfiff, drehte ebenso urplötzlich auf Südost und knallte mit doppelter Wucht auf das Schiff.
Die „Santa Barbara“ legte sich über, richtete sich stöhnend wieder auf und raste jäh wie ein durchgehender Ackergaul los – trotz der verminderten Segelfläche. Über Backbordbug schob die Galeone schnaubend durch die aufgewühlte See. Die Luvwanten wirkten wie straffgespannte Saiten, über die der Wind geigte. Ein Pfeifen, Tosen und Donnern erfüllte die Luft, dann stoben Regenböen waagerecht über das Schiff, und zuckende Blitze beleuchteten das grandiose Inferno aufgewühlter, schäumender Wassermassen.
Die See war entfesselt und schlug zu.
Vier Männer standen am Kolderstock achtern unter dem Kastell und stemmten sich gegen das schwere Holz, das den Ruderdruck aus der Waagerechten in die Senkrechte übertrug.
Hasard brüllte ihnen zu, nach Steuerbord hochzudrehen, um die Sturmstöße nicht direkt von achtern nehmen zu müssen. Langsam, ganz langsam luvte die „Santa Barbara“ an und drehte ihren Bug schräg gegen den Wind.
So nahmen sie auch die anrollenden Seen. Der Bugspriet der „Santa Barbara“ stieß in endlose Tiefen vor und erkletterte wieder schwindelnde Höhen. Dort oben auf den Kämmen, die ein brodelndes Chaos waren, tanzte das Schiff wie auf einem Seil, verharrte Sekunden und stürzte jäh wieder in die Tiefe.
Hasard ließ sich von Ben Brighton festbinden und brüllte ihm zu, auch die Männer an Deck mit Tampen zu sichern. Ben Brighton nickte ihm zu und verschwand am Niedergang zur Kuhl in einer Gischtwolke.
Dafür hangelte sich Ferris Tucker zum Quarterdeck hoch, rutschte quer über die Planken und wurde gerade noch von Hasard am Kragen gepackt und hochgehievt. Der riesige Mann klammerte sich an den Seewolf und sagte keuchend: