Seewölfe Paket 1. Roy Palmer

Seewölfe Paket 1 - Roy Palmer


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bezweifelte der Seewolf. Ein solches Kaliber war der Mann nicht. Vielleicht mußte er aufpassen, während der andere zu Werk ging. Das war durchaus denkbar. Nur das Motiv war ein Rätsel. War jemand so wahnsinnig, das Schiff und damit unter Umständen sich selbst zu vernichten? Fast sah es so aus. Nur hatte diese Überlegung den Haken, daß Hasard Gordon Brown zwar jede Gemeinheit zutraute, aber nicht den Mut zur Selbstvernichtung. Hasards Gedanken drehten sich im Kreis. Sie beschäftigten ihn und hielten ihn wach.

      Unter ihm schnarchte Gordon Brown, und Hasard fragte sich, ob er sich mit seinen Überlegungen nicht auf dem Holzweg befand. Aber sein Instinkt sprach dagegen.

      Die Gestalt huschte wie ein flüchtiger Schatten über die Kuhl, verschmolz mit dem Vormast, löste sich wieder und glitt zur Kombüse. Sie bewegte sich völlig lautlos und geschmeidig.

      Hasard preßte sich flach auf das Kombüsendach und wartete voller Grimm, was sich weiter tat.

      Die Kombüsentür knarrte, schwang auf und wurde wieder leise geschlossen.

      Gordon Brown hatte Besuch erhalten. Als die Gestalt zur Kombüsentür gehuscht war, hatte Hasard sie erkannt. Es war der Taubstumme.

      Aber er war weder taub noch stumm.

      „Wach auf, Gordon“, flüsterte der Mann. Er sprach Englisch, aber mit einem fremden Akzent. „Wach auf, Amigo.“

      Amigo?

      In Hasards Kopf klickte es. Verdammt, der Kerl war ein Spanier – ein Spanier an Bord eines englischen Schiffes, das von Francis Drake geführt wurde! Mein lieber Mann, dachte Hasard, das ist ja heiter.

      Gordon Browns Schnarchen war inzwischen abgebrochen. Hasard hörte, wie er gähnte und sich die Brust kratzte. Dann schien er wütend zu werden.

      „Mann, bist du wahnsinnig?“ zischte er.

      Ein leises Lachen ertönte.

      „Hast du Angst, Amigo?“

      „Ich hab die Schnauze voll, du armer Irrer. Erst erstichst du John Johns, weil er uns bei den verdammten Wasserfässern erwischte, dann muß ich dir bei dem Bugspriet helfen – das ging ja noch –, aber wozu ich dir den Holzbohrer klauen sollte, das habe ich leider zu spät kapiert. Mann, wir wären beinahe abgesoffen.“

      „Die Golddublonen hast du gern eingesteckt, nicht wahr, Amigo?“ sagte der Spanier sanft.

      „Scheiß auf die Golddublonen. Wenn ich absaufe, habe ich nichts mehr davon. Als ich dich an Bord brachte, hattest du gesagt, du wolltest weiter nichts, als Drake abservieren. Das sei dein Auftrag. Und was tust du? Leerst Wasserfässer, säbelst am Bugspriet rum und bohrst den Kasten an.“

      „Und wie war das mit der Ratte?“ fragte der Spanier scharf. „Hier bestimme ich. Laß die Finger von solchen Spielereien. Sie schaden uns nur. Ja, ich wollte das Schiff absaufen lassen, nachdem mein erster Plan, Drake beim Enterkampf zu erschießen, nicht geklappt hatte. Leider war dieser Killigrew schneller. Er ist ein sehr gefährlicher Mann.“

      „Bring ihn doch auch noch um“, sagte Gordon Brown gehässig. „Einen größeren Gefallen kannst du mir gar nicht tun.“

      „Vielleicht“, sagte der Spanier dunkel. „Aber erst ist Drake dran. Sobald er sich auf das nächste spanische Schiff stürzt, erhält er eine Kugel, die bereits für ihn gegossen ist. Im Durcheinander wird niemand bemerken, wer der Schütze ist. Dazu mußt du mir aber den Rücken freihalten, Amigo. Wenn Drake tot ist, haben wir es geschafft. Niemand wird mehr kämpfen wollen, und dann werden meine Landsleute die ‚Marygold‘ entern.“

      „Und mir die Kehle durchschneiden, wie?“

      „Du stehst unter meinem Schutz. Mein König wird dir ein Landgut schenken. Du wirst leben wie ein Grande, die Senoritas werden dir zu Füßen liegen und dir jeden Wunsch von den Augen ablesen ...“

      Na, na, dachte Hasard, jetzt trägst du aber ziemlich dick auf, mein Freund, zu dick, als daß es wahr sein könnte. Aber Gordon Browns Mißtrauen schien wie Schnee in der Sonne wegzuschmelzen. Hasard hörte, wie er keuchte.

      „Senoritas, sagtest du?“

      „Senoritas“, bestätigte der Spanier, „so viele du willst und eine hübscher und rassiger als die andere. Sie werden vor dir tanzen und die Hüften schwenken ...“

      „Nackt?“ fragte der schmierige Gordon Brown hechelnd.

      „Verschleiert“, erwiderte der Spanier, „aber ein Schleier nach dem anderen wird fallen.“

      „Ah!“ Es klang widerlich, und Gordon Brown schmatzte noch dazu wie ein Ferkel an den Zitzen der Muttersau.

      Hasard hatte genug gehört. Er überlegte, ob er das aufschlußreiche Gespräch brutal unterbrechen und die beiden Kumpane weichklopfen oder damit noch warten solle. Er entschloß sich, abzuwarten. Zumindest bis zur nächsten Gefechtsberührung waren Schiff, Besatzung und der Kapitän nicht gefährdet. Der Spanier hatte wohl eingesehen, daß seine Sabotageunternehmungen sinnlose Kraftakte waren. Zumindest hatten sie ihn seinem eigentlichen Ziel, Drake zu ermorden, nicht nähergebracht.

      Hasard verließ leise wie eine Katze das Kombüsendach und schlüpfte ins Vordeck. Er schlief in dieser Nacht fest und ruhig.

      Es war tatsächlich so, wie es Hasard vermutet hatte. Die Tage vergingen, ohne daß noch etwas passierte. Hasard verfluchte seine Untätigkeit und fragte sich immer wieder, ob er nicht doch schon die Bombe platzen lassen sollte. War es überhaupt richtig, daß er dem Kapitän nichts von dem erlauschten Gespräch sagte? Schließlich war er der Schiffsführer – und das Gesetz. Aber der Seewolf hatte seinen eigenen Kopf. Das Gespräch war ein klarer Beweis für das Komplott. Aber der Spanier und Gordon Brown konnten es ableugnen. Der Spanier hatte noch dazu den Vorteil, „taubstumm“ zu sein. Und der Kapitän hielt ihn für einen guten Mann.

      Nein, Hasard wartete auf seine Chance, und sie kam nach sechs Tagen, nachdem er das Gespräch belauscht hatte.

      Die „Marygold“ kreuzte südwestlich der Azoren auf jener Route, auf der die spanischen Schatzschiffe aus der Neuen Welt zurück nach Spanien segelten. Häufig liefen sie die Azoren an, um dort Frischwasser und Proviant zu übernehmen, bevor sie nach Cadiz weitersegelten. Immerhin waren sie etwa zwei Monate unterwegs, und die Azoren oder die Kanarischen Inseln waren dann die ersten festen Stützpunkte nach langer Fahrt. Immerhin auch erfuhren die Spanienfahrer dort, ob sich Seeräuber in der Gegend herumtrieben, vor allem, auf welchen Positionen sie vermutet wurden.

      Daß wieder ein Wolf die See abstreunte, um Beute zu reißen, konnte man auf den Azoren nur vermuten, falls man das Einlaufen einer bestimmten spanischen Galeone erwartete, aber Tag und Tag verging, ohne daß sie eintraf. Daß sich diese Galeone allerdings auf der Fahrt nach Plymouth befand, konnte noch nicht bekannt sein.

      Sonst war die „Marygold“ noch niemandem begegnet. Sie hatte um sich die freie See und stand nun in ihrem Jagdgebiet, bereit, die von Westen heransegelnde Beute vor den Azoren oder den Kanarischen Inseln abzufangen.

      Das kalte Herbstwetter des heimatlichen Hafens war längst vergessen. Die Männer arbeiteten mit nacktem Oberkörper an Deck, waren braungebrannt und vermißten nichts – es sei denn mehr Trinkwasser oder die weichen Arme einer Frau.

      Wieder war es Donegal Daniel O’Flynn, der im Ausguck bewies, was für scharfe Augen er hatte.

      Es war genau in der Mittagszeit, als sein Ruf vom Hauptmars hinunter über das Deck schallte.

      „Segel ho! Genau voraus!“

      Die „Marygold“ segelte genau Westkurs, der Wind stand gleichmäßig von Norden. Ein glitzernder Schimmer lag über der See, der sich in der Unendlichkeit der Dünung verlor. Aber hinter dieser Dünung wirkte die Kimm bei der klaren Sicht dieses Sonnentages wie eine scharfe Kante gegen den Himmel.

      Die Mastspitze, die zunächst sichtbar wurde, stand wie eine feine, fast durchsichtige Nadel an der Kimm.

      Die Stimme des Kapitäns knallte wie ein Peitschenhieb über das Deck.

      „Klarschiff


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