Seewölfe Paket 1. Roy Palmer
„So so, das Übliche“, wiederholte der Kapitän und fragte nicht, warum man für das „Übliche“ einen runden Holzkeil brauchte. Beim „Üblichen“ wurden nämlich die Nähte zwischen den Planken kalfatert, das heißt, man drückte dünnfaseriges Hanftauwerk oder Werg zwischen die Nähte und Fugen und verschmierte sie mit Pech oder Teer.
Ferris Tucker brachte den gewünschten Holzkeil und gab ihn dem Seewolf. Auch sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Hasard nahm mit den drei Fingern Maß und nickte. Sehr leise sagte er: „Kontrolliere mal deine Holzbohrer, Ferris. Das Loch ist kreisrund gebohrt und hat den Durchmesser meiner drei Finger.“
„Verdammt“, murmelte der Schiffszimmermann, als er begriff, was Hasards Worte bedeuteten. „Verdammt“ hatte er auch gesagt, als er erkannt hatte, daß der Bugspriet angekerbt worden war.
Hasard blieckte den Kapitän an und sagte: „So ist das also, Sir. Leider hatte ich die Mitternachtswache und stand am Ruder. Da konnte ich die Flöhe nicht husten hören.“
„Verstehe“, sagte der Kapitän zwischen zusammengepreßten Lippen.
Hasard blickte den Kapitän an und sagte: „So ist das also, befindet sich dicht über dem Kiel auf der Steuerbordseite, etwa einen Schritt hinter der Mastspur vom Großmast. Der Zugang dorthin sollte für die nächste Zeit abgeschlossen werden.“ Er grinste. „Um niemanden in Versuchung zu führen, nicht wahr?“
„Ein Verrückter“, flüsterte Ferris Tucker erschüttert.
„Vielleicht“, sagte Hasard und schwang sich wieder über das Schanzkleid. „Spätestens in fünf Minuten ist das Leck dicht.“
Unten auf der letzten Sprosse der Strickleiter stand das Bürschchen und blickte zu ihm hoch.
„Darf ich mit?“
„Klar, Dan. Hier, nimm den Holzkeil. Wir tauchen zusammen hinunter.“
Dan fing den Holzkeil auf und staunte.
„Mann, so ein Loch? Hat da jemand gebohrt?“
„Ja“, sagte Hasard hart und knapp. „Mach Platz.“
Das Bürschchen ließ sich ins Wasser gleiten und wartete, bis Hasard neben ihm schwamm. „Weißt du schon, wer’s ist?“
„Nein, noch nicht, aber ich werde es herausfinden. Komm mit.“ Hasard schwamm etwas zurück, peilte nach oben, nickte Dan zu und tauchte weg.
Dan holte tief Luft und tauchte hinterher. Hasard erreichte den Kiel, hielt sich fest und drehte sich um. Dan erschien wie ein Schatten neben ihm. Hasard deutete auf das Leck und den Holzkeil. Dan O’Flynn tauchte tiefer, tastete mit der Hand, führte die andere mit dem Holzkeil heran und rammte ihn, Spitze voraus, in das Loch. Hasard schob ihn sanft beiseite und trat kräftig mit dem Fuß auf den Keil. Dann legte er sich auf den Rücken, den Belegnagel in beiden Fäusten, und hämmerte das schwere Eisen gegen den Holzkloben, wieder und wieder.
Das Wasser hemmte seine Bewegungen, aber der Holzkeil drang tiefer ein, bis er noch eine Fingerbreite über die Beplankung herausragte. Hasard wies mit dem Daumen nach oben, und Donegal Daniel O’Flynn entschwand wie ein aufsteigender Frosch.
Der Keil saß fest, das stand außer Frage. Hasard tastete noch einmal über die Stelle, dann tauchte er auch auf und schwamm zur Strickleiter, auf der Dan bereits hochenterte.
Er folgte ihm, und als er über das Schanzkleid stieg, meldete Dan gerade: „Das Leck ist dicht, Sir. Hasard und ich haben die Lappalie geregelt, Sir. War wirklich Puppenkram, Sir, nicht der Rede wert, nur’n bißchen kalt, Sir. Nixen war’n auch keine da, die uns hätten wärmen können, Sir. Schottischer wärmt besser, Sir, ich meine ...“
„Donegal Daniel O’Flynn sagte Hasard warnend, „halt die Klappe und red nicht soviel, vor allen Dingen nicht von Nixen. Und wenn du frierst, dann trockne dich ab und arbeite an der Pumpe, da wird’s dir wieder warm – ohne Nixe, klar?“
„Aye, aye“, sagte das Bürschchen und feixte von einem Ohr zum anderen, denn der Kapitän hatte bereits Carberry in Marsch gesetzt, um ihn den „Orden“ holen zu lassen, der so feurig und dennoch herrlich durch die Kehle rann.
Hasard verfluchte insgeheim die Manier des „Alten“, besondere Taten mit schottischem Whisky zu honorieren. So etwas gab Stunk, zumindest würden sich die Neidhammel regen. Außerdem hatte die ganze Besatzung eine Extraration verdient, denn alle hatten sie wie die Kesselflicker Stunde um Stunde gegen das Wasser angekämpft und taten es jetzt noch, um die „Marygold“ wieder leer und damit manövrierfähig zu kriegen.
Und das Bürschchen stand da wie ein Feldherr nach siegreich geschlagener Schlacht, die Brust herausgereckt, die Fäuste in die Hüften gestützt, pitschnaß und glücklich.
Aber seine Besatzung vergaß der Kapitän keineswegs. Er ließ von Mac Pellew ein Weinfaß anzapfen und den Wein austeilen. Sie tranken ihn wie Wasser. Erschöpft, ausgepumpt, übermüdet, wie sie waren, wirkte der Wein wie ein Stimulans. Sie lebten, nur das zählte. Die See hatte sie zu sich ziehen wollen, aber sie hatten gesiegt.
Die Leckstelle war absolut dicht. Nach einer Stunde lag die „Mary gold“ unter Segeln wieder auf dem alten Kurs, ihre Bilge war leergelenzt.
Niemand außer Hasard und der Kapitän erfuhr, was Ferris Tucker festgestellt hatte. Der Holzbohrer, von dem Hasard gesprochen hatte, befand sich zwar noch in der Werkzeugkiste, aber nicht an der Stelle, wo ihn der Schiffszimmermann zu deponieren pflegte. Jemand hatte ihn benutzt und nicht wieder dorthin zurückgelegt, wo er hingehörte.
„Irren Sie sich auch nicht?“ fragte der Kapitän den riesigen Schiffszimmermann.
Ferris Tucker stand mit Hasard und dem Kapitän auf der Heckgalerie, wo ihnen niemand zuhören konnte.
„Nein, Sir“, erwiderte Ferris Tucker. „Meine Werkzeuge haben seit Jahren ein und denselben Platz. Sie wissen, wie schnell ich manchmal im Notfall ein bestimmtes Werkzeug zur Hand haben muß. Da darf ich nicht erst lange suchen. Ein Irrtum ist völlig ausgeschlossen. Außerdem paßt der Bohrdurchmesser haargenau in die Leckstelle. Ich habe es überprüft, nachdem die Bilge leer war.“
Die drei Männer blickten sich stumm an und dachten alle das gleiche. Da war jemand an Bord – oder waren es mehrere? – der die Absicht zu haben schien, das Schiff zu zerstören. In der Wahl seiner Mittel war er keineswegs zimperlich. Ja, er war sogar rücksichtslos genug, das eigene Leben dabei zu riskieren.
Der Kapitän sagte: „Sie werden keine Wache mehr gehen, Killigrew.“
Hasard blickte ihn überrascht an.
Der Kapitän verzog das Gesicht und fügte hinzu: „Ich mag den Ausdruck nicht, aber ein besserer fällt mir nicht ein. Sie werden als Schießhund Wache gehen. Ist Ihnen klar, was ich damit meine, Sir. Aufpassen, wachsein, schnüffeln, zupacken, Standlaut geben.“
„Genau“, sagte der Kapitän.
8.
Philip Hasard Killigrew hatte einen Verdacht, und danach bestimmte er seine Taktik, die sehr einfach war und darin bestand, einen Mann ständig zu beobachten.
Dieser Mann war Gordon Brown.
Gordon Brown pflegte in der Kombüse zu schlafen, wenn er nachts keine Wache ging. Also legte sich Hasard auf dem Kombüsendach dicht an der Luke auf die Lauer. Nach der Schinderei der letzten Nacht schliefen die Männer der Freiwache wie die Toten. Hasard war in der Dunkelheit unbemerkt auf das Kombüsendach gestiegen und hatte sich flach hingelegt.
Eins war ihm ziemlich klar: Bereits in dieser Nacht konnte wieder etwas passieren. Der Versuch, das Schiff absaufen zu lassen, war fehlgeschlagen. Also war zu erwarten, daß er wiederholt würde. Vielleicht würde man bei einem erneuten Versuch nicht das Schiff anbohren, aber man konnte zum Beispiel Feuer anlegen oder ein bißchen mit Pulver spielen. Allerdings waren Pulver- und Waffenkammer abgeschlossen, wovon Hasard sich überzeugt hatte. Aber wer die Nerven hatte, ein