Seewölfe Paket 1. Roy Palmer
hätten Sie in Spanien als Piraten abgeurteilt. Aber lassen wir das. Ich möchte mich für die Behandlung bedanken – wenn auch die letzten Stunden in dem Frachtraum nicht sehr angenehm waren ...“
„Für die Neger waren es nicht Stunden, sondern, wie ich hörte, über zwei Wochen“, unterbrach ihn Hasard, „und zwar unter Bedingungen, gegen die ein Schweinestall ein Paradies ist.“
„Ich weiß“, sagte der Spanier leise. Dann reckte er sich und frage: „Darf ich erfahren, wer mich besiegt hat?“
Hasard ritt der Teufel. „Man nennt mich den ‚Seewolf‘.“
„Oh!“ Der Capitän lächelte leicht. „Ein Kriegsname, nehme ich an, oder?“
„Führen wir denn Krieg?“ frage Hasard spöttisch zurück.
„Warum überfallen Sie dann unsere Schiffe?“
Jede Frage wurde mit einer Gegenfrage beantwortet.
„Was tun denn die Spanier in der Neuen Welt, Senor Capitan? Man spricht davon, daß dort ganze Völker überfallen und ausgeraubt werden. Wer sind denn wohl die Piraten?“
Der Spanier biß sich auf die Lippen. Er verbeugte sich wieder, grüßte mit einer Handbewegung und wandte sich zum Schanzkleid.
Als Ferris Tucker ein Messer zog und es ihm hinhielt, blickte er ihn verwirrt an.
„Ein Geschenk meines Kapitäns“, sagte Ferris Tucker und grinste.
„Ein bemerkenswerter Mann, dieser Seewolf“, murmelte Capitan de Pordenone. „Gracias.“
Er klemmte das Messer zwischen die Zähne, schwang sich auf das Schanzkleid hoch und sprang mit einem Satz außenbords.
„Alle raus?“ rief Hasard.
„Ja – nur dieser verdammte Giftzwerg fehlt noch.“
„Dann hol ihn. Wenn wir hier noch lange herumtrödeln, laufen wir auf. Smoky! Was zeigt das Lot an?“
„Vier Faden.“
Ferris Tucker verschwand in der Frachtluke. Kurz darauf quiekte und schrie jemand – Juan Descola. Dazwischen ertönte der Baß des Schiffszimmermanns, dann Klatschen von Ohrfeigen. Eine Minute später enterte er die Jakobsleiter hoch – mit dem Capitan. Den hatte er sich unter den rechten Arm geklemmt.
„Er hockte in der hintersten Ecke“, sagte Ferris Tucker zu Hasard hoch.
Der Capitan strampelte mit Händen und Füßen.
„No, no!“ schrie er.
„Doch“, sagte Ferris Tucker und trug ihn zum Schanzkleid. „Auf diesem Schiff ist deine Reise nämlich jetzt zu Ende, du Wanze.“
Er packte ihn an Hosenboden und Kragen, stemmte ihn hoch und warf ihn über das Schanzkleid ins Wasser.
„Vier Faden!“ rief Smoky.
„Hoch mit Fock und Besan“, befahl Hasard. „Blacky, fall mehr ab, damit wir wieder Fahrt aufnehmen. Beeilung, Leute – hopp, hopp!“
Juan Descola planschte im Wasser herum und schrie wilde Flüche nach oben.
Ferris Tucker spuckte außenbords und sagte ergrimmt: „Du Scheißkerl!“
Juan Descola schüttelte drohend die Fäuste, dann geriet er in das Kielwasser der abdrehenden Galeone und wurde auf das Land zugetrieben. Er begann zu paddeln, schien aber anscheinend bestrebt, nicht dort zu landen, wo sich bereits ein Teil der anderen Spanier versammelt hatte.
Hasard beobachtete sie kurz. Merkwürdig, dachte er, keiner kümmert sich um Descola, er wird geschnitten, und das deutet darauf hin, daß er wohl kaum noch etwas zu sagen hat.
Er zuckte mit den Schultern und spähte zur „Santa Barbara“ hinüber. Ja, Ben Brighton hatte ebenfalls wieder Fahrt aufnehmen lassen und drehte auf sie zu.
Etwa eine halbe Stunde hatte es gedauert, um die Spanier auszusetzen. Inzwischen war es dunkel geworden. Ein paar Meilen südlich von ihnen ragten die Umrisse von Flores aus dem Wasser. Die Insel war noch zu erkennen. Die „Santa Barbara“ segelte auf Rufweite heran.
Ben Brighton winkte.
„Bist du sie los?“ rief er.
„Ja.“ Hasard trat an die Backbordseite. „Es ist zu spät, um jetzt noch einen Landeplatz zu finden, Ben. Wir gehen an die Südspitze von Flores und ankern dort. Nach einer Karte, die ich hier habe, muß dort eine Bucht sein. Wir bleiben vor der Bucht, klar?“
„Klar“, tönte es zurück.
Die „Santa Barbara“ folgte der „Barcelona“. Der Wind stand von Südwesen, und sie mußten mehrere Male über Stag gehen, bis sie mit dem letzten Schlag die Südspitze der Insel anliegen konnten.
„Ferris, laß den Anker klarmachen. Wir loten uns an die Insel bis auf dreineinhalb Faden heran. Dann laß ich in den Wind drehen, und ihr werft den Anker. Smoky soll sich mit dem Lot bereithalten.“
„Aye, aye.“
Ferris Tucker bewegte sich zum Vorschiff. Hasard hörte, wie er Batuti zu sich rief und die Ankervorrichtung erklärte.
„Inselspitze in Sicht!“ rief Dan vom Hauptmars nach unten. „Knapp Steuerbord voraus, etwa zweihundert Yards entfernt.“
„Fall etwas ab, Blacky“, sagte Hasard, „bis wir mit halbem Wind segeln.“
„Aye, aye.“
Sie segelten immer noch unter Fock und Besan und jetzt mit dem letzten Schlag zur Insel über Backbordbug. Die „Santa Barbara“ folgte in ihrem Kielwasser.
„Hundert Yards!“ rief Dan O’Flynn.
„Lotung?“ rief Hasard nach vorn.
„Fünf Faden!“
Sie steuerten im schrägen Winkel auf die Insel zu, Hasard ließ wieder anbrassen, bis sie am Wind lagen und fast parallel zur Insel segelten, die ihnen ihre Westseite zeigte.
„Viereinhalb – vier!“
„Geit die Fock auf, Leute!“ rief Hasard. „Wir gehen in den Wind. Ferris, ist der Anker klar?“
„Klar!“ tönte es zurück.
Noch ein Ruderkommando, und die „Barcelona“ drehte ihren Bugspriet in den Wind, die Fock wurde aufgegeit, die Besanschot losgeworfen.
„Dreieinhalb Faden!“ rief Smoky.
Hasard nickte zufrieden. Die Galeone verlor an Fahrt. Hasard trat ans Schanzkleid und starrte ins Wasser. Als die „Barcelona“ fast stand, rief er: „Fallen Anker – schmeiß weg, Ferris!“
Der Anker platschte ins Wasser und nahm die Ankertrosse mit, die durch die Steuerbordklüse auslief. Die „Barcelona“ begann achteraus zu sacken. Wenn der Anker nicht faßte, saßen sie in spätestens fünf Minuten auf Grund, denn der Wind trieb sie jetzt auf die Insel zu.
Er faßte. Ein leichter Ruck lief durchs Schiff, es schwang etwas nach Backbord, dann nach Steuerbord.
„Wie zeigt die Trosse, Ferris?“
„Schräg nach Steuerbord voraus. Sie kommt steif.“
„Steck noch mehr Trosse, damit wir den Anker nicht herausbrechen.“
„Aye, aye.“
Hasard blickte achteraus. Auch die „Santa Barbara“ war mit ihrem Ankermanöver beschäftigt. Sie lag etwa sechzig Yards hinter ihnen. Hasard peilte eine Klippe vor der Küste an und wartete, während Ferris Tucker noch mehr Ankertrosse steckte. Langsam wanderte die Klippe aus der Peilung, als die „Barcelona“ noch etwas achteraus sackte. Dann stand die Peilung.
Die „Barcelona“ lag vor Anker. Hasard ließ eine Ankerwache aufziehen, schärfte ihr ein, regelmäßig die Peilung zu kontrollieren und Land und See zu beobachten.