Seewölfe - Piraten der Weltmeere 417. Fred McMason
den braunen Umschlag.
„Er ist der Bankert eines Deutschen und einer Spanierin. Logischerweise ist dieser Bastard dann nicht als Engländer, sondern als ein spanischer Feind anzusehen, ein Feind der Krone.“
„Beweise?“
Dem Lordrichter, der den braunen Umschlag bereits im Geiste geöffnet hatte, quollen Pfundnoten entgegen. Seine Lippen zuckten.
Der Duke grinste süffisant. Seine Stimme klang immer noch hämisch. Der Earl nickte bei jedem Satz bestätigend.
„Ein Beweis dafür, daß dieser Bastard auf der Seite Spaniens steht, ist sein Verhalten nach der ruhmreichen Schlacht gegen die spanische Armada. Er hat spanischen Schiffbrüchigen geholfen und ihnen sogar die Flucht nach Spanien ermöglicht, statt sie sofort aufzuknüpfen, wie sich das gehört.“
Der Lordrichter nickte. Aber sein Blick wurde etwas grämlicher, denn in dem braunen Umschlag war doch nicht soviel drin, wie er erhofft hatte. Er hatte es zwar noch nicht gesehen, aber das anfangs dick scheinende Bündel war wohl doch etwas mager ausgefallen. Hatte der Duke nicht eine riesige Erbschaft angetreten? Da waren doch Ländereien, mehrere Schlösser, Haus- und Grundbesitz.
„Soso, das ist allerdings sehr schwerwiegend. Aber es gibt sicher noch mehr Fakten?“
„Mehr als genug“, versicherte der Duke mit dumpfer Stimme. „Dieser Killigrew-Bastard hat in der Karibik einen geheimen Stützpunkt errichtet, wo er unvorstellbare Schätze hortet. Er könnte damit ganz England und noch ein paar weitere Länder kaufen.“
Der Lordrichter hörte auf zu blinzeln. Er öffnete den Mund und starrte die beiden durchlauchten Herren gierig an. Nein, in dem Umschlag ist viel zu wenig drin, entschied er. Wenn es um derartig unvorstellbare Reichtümer ging, dann konnte man sich nicht mit einem lächerlichen Almosen bescheiden. Da mußte schon eine größere Schatulle gefüllt werden, denn schließlich mußte er ja den Kopf bei Hofe für die ehrenwerten Gentlemen hinhalten. Und sie würden sicher noch mit ganz besonderen Wünschen an ihn herantreten.
„Er mißbraucht also eindeutig seinen von der Königin ausgestellten Kaperbrief“, führte der Duke weiter aus. „Er betrügt die Krone, hortet die Schätze selbst und denkt nicht daran, diese Reichtümer bei Hofe abzuliefern. Das ist Betrug und Unterschlagung Ihrer Majestät, der Königin, gegenüber.“
„Dazu kommen Hochverrat, Landesverrat, Pflichtvergessenheit“, sagte der Earl mit scharfer Stimme. „Dieser Bastard ist im Juni vergangenen Jahres mit insgesamt sechs Schiffen aus der Mount’s Bay verschwunden. Das ist jetzt fast ein Jahr her, aber er ist seither nicht mehr zurückgekehrt, um seine Schätze der Krone zu übergeben. Das beweist also“, fuhr der Earl mit erhobener Stimme fort, „daß dieser Betrüger tatsächlich über einen Stützpunkt verfügt, und zwar über einen recht großen für sechs Schiffe. Dort räubert, mordet und plündert er weiter, immer im Namen der Krone, bevollmächtigt durch den Kaperbrief Ihrer Majestät. Kein einziges seiner Schiffe ist bisher zurückgekehrt, kein einziges, obwohl zwischenzeitlich mindestens eins einen Beuteanteil nach London hätte bringen können.“
„Das alles sind schwerwiegende Vorwürfe“, sagte der Lordrichter. „Aber was können wir tun? Dieser Bastard ist nicht greifbar und kann daher auch nicht abgeurteilt werden.“
Earl und Duke sahen sich blasiert an. Offenbar zog der Lordrichter noch nicht so richtig.
„Vorwürfe?“ fragte Sir Andrew fast beleidigt. „Was wir hier zur Sprache bringen, sind eindeutige Beweise.“
Wieder sah der Lordrichter den Umschlag vor sich. Ein lächerliches, winziges Ding mit geringem Inhalt. Nein, das mußte unbedingt aufgepolstert werden, sonst konnte er mit den „Beweisen“ überhaupt nichts anfangen. Er trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Platte und sah die beiden ehrenwerten Gentlemen erwartungsvoll an.
Sir Andrew Clifford, Earl of Cumberland, blickte den Duke gleichfalls erwartungsvoll an. Begriff der nicht, auf was der Lordrichter abzielte, oder begann er zu knausern?
„Haben Sie die schriftlichen Beweise denn nicht mit sich, mein lieber Sir Henry?“ fragte er lauernd. „Ich sah doch einen weiteren Umschlag bei Ihnen.“
„Ja, richtig“, murmelte Sir Henry. Er zog einen weiteren Umschlag aus der Jacke und überreichte ihn dem Lordrichter, der ihn gnädig nickend in Empfang nahm und ebenfalls in der Schublade verschwinden ließ.
„Dann werde ich die Anschuldigungen unverzüglich weiterleiten, Gentlemen. Sie gehen noch heute dem Hofe zu. Es wird dann offiziell Anklage erhoben werden. Ich an Ihrer Stelle würde mich allerdings noch einmal genau vergewissern, ob dieser Bastard-Status stimmt, denn er ist einer der wichtigsten Punkte – ganz im Vertrauen gesagt.“
Die hochwohlgeborenen Gentlemen begriffen und nickten schweigend.
Der Lordrichter erhob sich und reichte jedem die Hand.
„Sie werden in den nächsten Tagen sicherlich noch auf meine Hilfe angewiesen sein“, sagte er, „aber ich verspreche Ihnen, daß ich alles unternehmen werde, um Ihnen behilflich zu sein. In jeder Sache, versteht sich.“
Auch im Geldabknöpfen, dachte Sir Henry. Aber ohne den Lordrichter und seine guten Verbindungen ging eben nichts.
Sie verabschiedeten sich und begaben sich nach draußen. Noch an der Tür hörten sie es leise rascheln. Der hohe Herr zählte jetzt offenbar ganz ungeniert die Möpse, nachdem er die beiden Umschläge geöffnet hatte.
„Der Anfang ist getan“, sagte Sir Andrew zufrieden. „Die Gerüchte haben Wirkung erzielt, und der Lordrichter wird Anklage erheben. Damit haben wir freie Hand und können die Jagd inszenieren, wenn wir ein paar weitere Klippen umschifft haben. Ich habe mich auf der Feste Arwenack bei Sir John nach dem Bastard erkundigt, doch uns fehlt der letzte Beweis. Sir John und seine beiden Söhne büßen im Kerker von Plymouth mehrjährige Gefängnisstrafen ab. Sie sollen damals schwere Gewalttaten verübt haben.“
„Ja, ich weiß. Der Alte hat das falsche Schiff versenkt und sich noch so allerlei geleistet“, sagte Sir Henry kichernd. „Wir sollten unverzüglich nach Plymouth reisen, mein lieber Sir Andrew, und den Alten selbst befragen. Für unsere Zwecke dürfte er der richtige Mann sein.“
„Da kann ich Ihnen nur zustimmen, mein lieber Sir Henry. Was steht uns also im Wege? Reisen wir nach Plymouth. Sir John ist sicher noch besser informiert als wir selbst. Wenn es uns gelingt, dem Bastard Killigrew die legendäre Schatzbeute abzujagen, können wir uns zu den reichsten Männern der Welt zählen.“
„Natürlich führen wir das alles an die königliche Schatulle ab“, sagte Sir Henry grinsend. „Wir sind doch gute Patrioten. Das Vaterland steht über allem.“
„Über allem“, versicherte der Earl. „Ich bin sicher, daß unsere gute Lissy das auch so sieht. Sie wird uns in ihrer Habgier bestimmt freie Hand lassen. Wir müssen das nur sehr geschickt aufziehen.“
Noch am selben Tag reisten die beiden ehrenwerten Gentlemen eilends in ihren Kutschen nach Plymouth.
Damit nahm das Verhängnis seinen Lauf.
Sir John, der Burgherr der Feste Arwenack, hatte sich so gut wie gar nicht verändert. Nur seine ehemals roten Haare hatten eine schmutzigfade Helle angenommen. Sein Genick war etwas bulliger und auch faltiger geworden. Geblieben aber war die bläulichrote Knollennase, die hellblauen Augen und das rote, stets versoffen wirkende Gesicht.
Sir John lebte nicht schlecht im Kerker von Plymouth, was sich auch auf seine beiden Söhne bezog. Er hatte seine Beziehungen spielen lassen und wurde gut versorgt. Er hatte sogar eine Art Sonderstatus im Kerker inne und sich zum Tyrannen über die anderen Gefangenen aufgeschwungen. Sein Essen und Trinken unterschied sich beträchtlich von der mageren Kost der übrigen Gefangenen.
Die ehrenwerten Gentlemen kannten sich nur vom Hörensagen. Sir Henry und Sir Andrew hatten keinerlei Schwierigkeiten gehabt, mit den Killigrews in einem gesonderten Raum eine Unterredung zu führen. Der Duke hatte nur mit ein paar Münzen geklimpert.
Etwas schockiert waren die Erlauchten