Seewölfe - Piraten der Weltmeere 85. Roy Palmer
wenn auch veralteten Mittels. Wozu trug die Galeasse denn ihren furchterregenden Rammsporn?
Zwei, drei Spanier auf dem Oberdeck der mittleren Karavelle rappelten sich nach dem Einschlagen des Brandsatzes gleich wieder auf und eilten an die Backbordgeschütze. Aber sie gelangten nicht mehr zum Schuß. Sie sahen nur noch das große Ruderschiff direkt auf sich zugleiten, erblickten die Seewölfe, Siri-Tong-Piraten und Italiener, die sich zum Entern auf der Back versammelten – dann mußten sie sich vor dem Musketenfeuer der Galeasse in Deckung werfen.
Die Distanz zwischen den beiden Schiffen schrumpfte auf ein Nichts zusammen. Knirschend gab die Bordwand der Karavelle unter dem Druck des spitzen Sporns nach. Dann splitterte und knackte es, die Galeasse fraß sich tiefer und tiefer in das Feindschiff, das Loch wuchs und wurde zu einem Leck, in das gurgelnd die lehmbraunen Fluten eindrangen. Die Ruderer arbeiteten unausgesetzt, drückten die Galeasse weiter, und mit ihr die Karavelle, die nun wohl oder übel näher auf das dritte spanische Schiff zuglitt.
Hasard hatte sich auf der Back an die Spitze seines kleinen, entschlossenen Trupps gesetzt und rief: „Klar zum Entern!“
Siri-Tong war hinter ihm. Sie setzte ihm sofort nach, als er auf die Galion sprang und von dort aus zur Kuhl der Karavelle hinüberflankte. Blacky, Gary Andrews, Missjöh Buveur, Pedro Ortiz, Ferris, Shane und der alte O’Flynn drängten sich in ihrem Rücken. Sie stimmten ein Mordsgeschrei an.
Hasard hatte seinen Degen gezückt und säbelte sich den Weg quer über die Kuhl der Karavelle zum Achterdeck hin frei. Unter seinen Hieben kippten Gestalten mit verzerrten Gesichtern zu den Seiten weg, brachen zusammen, streckten sich auf den Planken aus. Wer sich Hasard in den Rücken werfen wollte, dem kam Siri-Tong zuvor. Sie focht wie ein Mann.
Old O’Flynn war der letzte, der über das Schanzkleid kroch und auf die Karavelle humpelte. Sein Holzbein und die Krücken behinderten ihn – aber nicht soweit, daß er an diesem Tanz nicht teilnehmen wollte. Er beherrschte das Kunststück, trotz seiner hölzernen Hilfsmittel noch einen Schiffshauer zu führen. Und den ließ er surren, daß es eine Freude war!
Die Spanier kapitulierten, sie nahmen vor dieser tobenden Bande Reißaus. Wer noch kriechen oder gar aufrecht gehen konnte, rettete sich aufs Achterdeck und von dort aus in die trüben Amazonasfluten.
Hasard war auf dem Steuerbordniedergang zum Achterdeck. Er drängte mit sichelnden Degenhieben einen bulligen Spanier zurück, Stufe um Stufe. Am Ende des Achterdecks stand der Kapitän, seine gellende Stimme war deutlich durch den Kampflärm zu vernehmen.
Er brüllte gegen Meuterei und Fahnenflucht an, aber das nutzte ihm nichts. Seine Männer ergriffen die Flucht. Lieber sprangen sie zu den Kaimanen, Piranhas und Zitteraalen in den Strom und trachteten, die erste, brennende Karavelle zu erreichen, als sich von den Seewölfen totschlagen zu lassen.
Hasard führte eine Parade gegen den bulligen Spanier, mußte im nächsten Augenblick aber blitzschnell zurückweichen, weil der Gegner immer noch nicht genug hatte und auf Teufel komm ’raus gegen seine Attacken anfocht. Er hielt einen mächtigen Säbel und wollte durch seine Holzhackermethode seine mangelnde Fecht-Erfahrung ausgleichen.
Siri-Tong klomm mit dem Gros des Trupps am Backbordniedergang zum Achterdeck hoch. Zwei, drei unerschrockene Spanier stürzten unter ihren Waffenhieben.
Auf der Kuhl lieferte Old O’Flynn den Beweis, daß er noch lange nicht zum alten Eisen zählte. Ein Spanier, den sie totgeglaubt hatten, richtete sich plötzlich vom mit Leibern übersäten Deck auf und legte eine Steinschloßpistole auf den Alten an.
Old O’Flynn hieb ihm mit der linken Krücke die Pistole aus der Hand. Dann schnallte er sich – statt den Schiffshauer zu benutzen – mit geradezu unheimlicher Behendigkeit sein Holzbein ab und ließ es auf Kopf und Rücken des verzweifelt schreienden Spaniers tanzen.
Unterdessen dauerte das Gefecht zwischen der dritten Karavelle, der „Isabella“ und dem schwarzen Segler immer noch an. Dumpf rollte der Kanonendonner vor dem Wind flußaufwärts.
Hasard hatte jetzt die Bestätigung, daß die Karavellen auffallend gut bestückt waren. Sie führten sogar 17-Pfünder. Diese hier, die wegen ihres Lecks bereits zu krängen begann, trug allein sechs Culverinen auf dem Hauptdeck, des weiteren 12-Pfünder, 9-Pfünder und Serpentinen auf Vor- und Achterdeck.
Hasards Geduldsfaden riß. Entschlossen säbelte er die Deckung des bulligen Spaniers nieder, brachte ihm eine Schramme an der linken Schulter bei – und hebelte ihm mit einem gewaltigen Schlag den Säbel aus der Hand.
Entsetzt wich der Mann zurück. Rückwärts schritt er bis zu seinem Capitàn, dem letzten, einsamen Mann auf der erhöhten Heckpartie des Achterdecks.
„Hierher!“ schrie der spanische Kapitän. „Hilf mir, du Bastard!“
Der Bullige prallte neben ihm gegen die Reling. Hasard hatte ihn noch vor dem Eintreffen von Siri-Tong und den anderen bis hierher getrieben. Jetzt knallte seine Degenklinge auf den Lauf der Serpentine, die der Kapitän gerade herumschwenken und auf die Angreifer richten wollte.
„Das läßt du schön sein, Don Filippo von der traurigen Gestalt“, sagte Hasard in bestem Spanisch. „Streich die Flagge, du Satansbraten, oder du trittst den Sprung ins Jenseits an.“
Der Bullige kletterte über die Reling und ließ sich mit einem gurgelnden Laut ins Wasser fallen. Der Kapitän rollte mit den Augen, als Hasards Degenspitze seinen Hals berührte.
„Wenn du dem Beispiel deines Mannes folgen willst – bitte schön“, sagte Hasard.
Der stolze Capitàn unternahm eine Kehrtwendung auf dem Stiefelhakken, jumpte gleichfalls über die Achterdecksreling und schwamm kurz darauf seinem Landsmann nach.
Alle überlebenden Spanier hielten auf die erste Karavelle zu.
Ihre Segel drohten durch den Brand vollständig vernichtet zu werden. Da halfen auch die Bestrebungen der Mannschaft wenig. Pützen und Kübel voll Wasser wurden von Mutigen, die in die Wanten hochgeklommen waren, über den Feuerstellen ausgeleert. Aber die Flammen drohten die Oberhand zu gewinnen.
Von den Sandbänken hatten sich baumlange, schattenhafte Gestalten gelöst. Ungeachtet des Geschützfeuers glitten sie zwischen der „Isabella“ und dem Schwarzen Schiff hindurch, ignorierten das Toben und Wüten der Kämpfenden zu beiden Seiten und steuerten träge auf die schwimmenden Spanier zu.
Krokodile. Darunter auch einige Schwarzalligatoren, wie Hasard mit einem raschen Blick sah. Schwarzalligatoren waren die mit Abstand gefährlichsten geschuppten Echsen des Amazonas’.
Hasard lief ein Schauer über den Rücken. Er wandte sich ab. Die Karavelle krängte weiter – nach Backbord. Damit brachte sie auch die Galeasse in Gefahr. Sie war noch immer mit ihrem Rammsporn in den Schiffsleib verkeilt.
Hasard stellte fest, daß der Abstand zwischen dieser und der dritten Karavelle höchstens noch zehn Yards betrug. Er wirbelte zu seinen Männern herum und rief: „Los, zurück auf die Galeasse!“
Sie stürmten zurück an Bord des Ruderschiffes. In diesem Augenblick fielen die ersten Regentropfen vom Himmel. Der Wind hatte gedreht, blies jetzt feuchtwarm vom Flußoberlauf her und preßte die Wolken zu drohend geklumpten Gebilden zusammen. Der Regen, den nach Meinung der Amazonen Hasard als Günstling der Götter gebracht hatte! Der Himmel öffnete seine Schleusen binnen Sekunden vollständig. Ein rauschender Guß ging auf die Schiffe und ihre Besatzungen nieder.
Della Latta schrie knappe Befehle. Die Ruderer arbeiteten im Gegenrhythmus, knirschend löste sich der Rammsporn aus dem Rumpf der sinkenden Karavelle. Die Galeasse glitt zurück, verhielt, stieß wieder vor und an der besiegten Karavelle vorbei auf die dritte zu.
Hasard schob sich die doppelläufige Radschloßpistole tief unter den Hosenbund.
„Die Geschütze abdecken!“ rief er. „Bewegt euch, beeilt euch!“
In aller Eile warfen die Männer der Galeasse Segeltuch über die Kanonen, aber es nutzte nicht viel. In kurzer Zeit hatte der tropische Wolkenbruch den Stoff aufgeweicht, das Wasser drang bis auf Lunten und