Seewölfe - Piraten der Weltmeere 85. Roy Palmer
2.
Die Spanier auf der ersten Karavelle am Nordufer mußten über den Regenguß hocherfreut sein. Er löschte nämlich das Feuer in der Takelage im Handumdrehen. Nur noch wenige Fetzen Zeug hingen von den langen Gaffelbäumen der lateinergetakelten Karavelle, Relikte, die die Bezeichnung Rigg nicht mehr verdienten. Hasard stellte aber fest, daß die Spanier Abhilfe schafften. Als er sich kurz umdrehte und zum Nordufer schaute, sah er wie sie mit fliegenden Fingern Notsegel setzten.
Er wandte sich wieder um.
Sein Hauptinteresse galt der dritten, im Süden plazierten Karavelle. Als grauer Schatten nahm sie sich in dem niederstürzenden Regen aus. Der Kanonendonner war verstummt, denn die Spanier befanden sich in der gleichen üblen Lage wie die Seewölfe und ihre Verbündeten.
Jedes Schiffsgeschütz, jede Handfeuerwaffe mit Luntenschloß wurde bei Regen unbrauchbar. Nur die mit Steinschlössern versehenen Musketen und die Pistolen verschiedener Bauart konnten jetzt noch eingesetzt werden.
Hin und wieder blaffte ein Musketenschuß von der Karavelle zur „Isabella“, zum schwarzen Segler oder zur Galeasse herüber. Aber weder Bleikugeln noch gehacktes Eisen konnten Schaden anrichten. Die Entfernung war zu groß zum exakten Zielen. Der Regen ließ alles, was weiter als in zwei, drei Yards Abstand lag, verschwimmen und verblassen.
Big Old Shane kauerte nach wie vor im Hauptmars der Galeasse, Batuti im Vormars der „Isabella“. Sie waren pitschnaß, schickten aber ihre Pfeile weiterhin unverzagt auf den Gegner los. Die Spitzen ließen sich nicht mehr in Brand setzen, der Guß verhinderte es. Aber dennoch setzten die Pfeile dem Gegner immer noch arg zu.
„Darauf!“ rief Hasard. „Wir rammen auch den dritten Kahn der Dons. Wäre doch gelacht, wenn wir ihn nicht genauso zu packen kriegen würden wie den anderen!“
Er stand immer noch auf der Back der Galeasse. Das Regenwasser troff von seinen durchweichten Haaren und perlte über seinen halbnackten Körper auf die Planken. Seine linke Hand umspannte den Griff des wieder im Wehrgehänge steckenden Degens, seine Rechte lag auf dem Kolben der Radschloßpistole. Waffen, auf die er sich trotz des Wassers verlassen konnte. Er bereitete sich innerlich auf ein neues Entermanöver vor.
Siri-Tong trat neben ihn.
„Hasard, sieh doch mal“, sagte sie plötzlich. „Die Karavelle – bin ich blind, oder liegt sie wirklich schief im Wasser?“
Hasard beugte sich unwillkürlich vor, senkte den Kopf etwas und spähte aus schmalen Augenschlitzen.
„Tatsächlich“, sagte er dann. „Du hast recht. Die Kugeln der ‚Isabella‘ und deines Schiffes haben sie leckgeschossen. Sie krängt immer mehr nach Backbord und treibt querbeet.“
Unter dem Einfluß der Strömung hatten die Schiffe beider Parteien inzwischen die Biegung erreicht, die Hasard mit der venezianischen Galeasse zu Beginn des Gefechts passiert hatte. Wäre der Niederschlag nicht gewesen, hätten die „Isabella“ und das Schwarze Schiff jetzt ohne Behinderung manövrieren und den Spaniern auch ihre Steuerbordbreitseiten präsentieren können. So aber, im trommelnden Regen mußten sie darauf verzichten.
Die Partie war aber auch so entschieden.
Grauschwarz schälten sich die Konturen der dritten Karavelle vor Hasard und Siri-Tong aus der dampfenden Wand. Sie sahen jetzt die Männer, die sich von den Schanzkleidern ins Wasser fallen ließen. Wieder gab eine Besatzung ihr Schiff auf, wieder zog sie es vor, mit den Alligatoren um die Wette zu schwimmen, statt sich dem Nahkampf mit Hasards Crew zu stellen.
Das Heck der Karavelle wurde allmählich stromabwärts gedrückt, der Bug stemmte sich gegen die Strömung. So bot der Segler der Galeasse die Steuerbordseite dar, während er immer weiter nach Backbord krängte.
Diesmal krachte es nicht so laut, als sich der Rammsporn in die Bordwand des Feindes bohrte. Der Regen schien den Laut zu dämpfen. Der Sporn malmte, mahlte, preßte und durch den heftigen Aufprall erhielt die Karavelle jetzt völlig das Übergewicht.
Die Galeasse stemmte sie förmlich hoch. Die Karavelle schlug nach Backbord quer, nahm Wasser, viel Amazonaswasser über und sank mit atemberaubender Geschwindigkeit.
„Zurück!“ schrie Hasard.
Wieder pullten die Männer auf den Ruderbänken im Gegenstrich. Ein Ruck lief durch die Galeasse. Sie schob sich zurück, bevor die Karavelle ihren Vorsteven mit in die Tiefe reißen konnte.
Der Rammsporn hatte nicht nur ein Loch in die Bordwand der Karavelle getrieben. Er hatte sie regelrecht von oben nach unten aufgeschlitzt. Mit gurgelnden und schmatzenden Geräuschen füllte sich der Schiffsbauch mit Wasser.
Von der „Isabella“ und dem schwarzen Schiff drangen Gejohle und schrille Pfiffe herüber. Hasards Gesicht zeigte den Anflug eines Grinsens, doch dann sanken seine Mundwinkel wieder herunter, denn er hörte das Schreien der Spanier, die sich auf die erste Karavelle zu retten versuchten.
Es waren grauenvolle Schreie. Todesschreie.
Hasards Züge verhärteten sich immer mehr. Die Spanier waren seine Todfeinde, und er empfand kein Mitleid mit ihnen. Trotzdem ging das, was sich im Strom abspielte, nicht wirkungslos an ihm vorbei.
Hermano Falla-Pueblos schwamm auf dem Rücken. In dieser Lage vermochte er sich im Wasser am besten fortzubewegen. Er war als erster von der zweiten, mittleren Karavelle gesprungen, als die Lage sich zugespitzt hatte. Der Capitàn hätte sich die Seele aus dem Leib schreien können, niemand konnte Falla-Pueblos noch stoppen. Ihm ging es nur um eins: sein persönliches Wohlergehen. Er war der erste Offizier auf der Karavelle gewesen, ein gutaussehender, schlanker Mann mit dunklem Vollbart, aber es war ihm völlig gleichgültig, was aus dem Schiff, dem Kapitän und den anderen Besatzungsmitgliedern wurde.
Falla-Pueblos arbeitete sich auf das Nordufer zu.
Nicht weit entfernt von sich entdeckte er den untersetzten Augusto de Guaramas. Der Mann betätigte sich als Brustschwimmer, hatte aber Mühe, sich überhaupt über Wasser zu halten. Sein fleichiges Gesicht drückte Panik und Wut aus.
De Guaramas, Steuermann der Karavelle, hatte gleich nach Falla-Pueblos schmählich das Schiff im Stich gelassen. Er hatte die gleiche Einstellung wie der Erste, und dieser Egoismus machte die beiden zu Verbündeten in der Not.
De Guaramas stieß einen erstickten Hilferuf aus. Falla-Pueblos kümmerte sich nicht darum. Er ruderte mit den Armen, bewegte die Beine auf und ab und kannte nur ein Ziel: das Ufer.
Nein, auf die noch intakte Karavelle konnte er nicht flüchten. Der Kapitän hatte garantiert mitgekriegt, wie er Hals über Kopf von Bord gesprungen war. Er würde ihn dafür bestrafen. Er, Falla-Pueblos, hatte sich der Fahnenflucht und der Feigheit vor dem Feind schuldig gemacht.
Und Augusto de Guaramas? Nun, dessen Handeln wurde von den gleichen Erwägungen bestimmt.
Zwei Schurken wie sie konnten ihr Heil nur in der Flucht in den Urwald suchen. Der Regen rauschte auf ihre Gestalten nieder und entzog sie den Blicken ihrer Landsleute und der Gegner. Sie hätten ihre Flucht problemlos abwickeln können – wenn die Kaimane nicht gewesen wären.
De Guaramas bemerkte zunächst noch nichts von den stillen, heimtükkischen Mördern. Als er sich in nicht allzu großer Entfernung vom Ufer umdrehte, gewahrte er nur einen dritten Mann, der sich prustend und schnaufend im Wasser hinter ihm her bewegte.
„Maldicho“, stieß der Steuermann aus. „Verdammter Hund!“ Er verstummte, denn das Naß drang ihm in die Mundhöhle. Zornig spuckte er es wieder aus. Er war ein schlechter Schwimmer, trotz seiner Körperfülle, die ihm eigentlich mehr Auftrieb verleihen mußte.
Der dritte gehörte zur Besatzung von de Guaramas’ und Falla-Pueblos Karavelle. Widerwillig verzerrte der Steuermann das Gesicht. Was bildete dieser Bursche sich ein? Daß er ihn mitnahm? Daß er ihn duldete?
„Santa Madre de Dios!“ rief der Seemann heiser. „Heilige Mutter Gottes, hilf mir, de Guaramas, steh mir bei, ich schaffe es nicht …“
„Still,