Seewölfe Paket 30. Roy Palmer
donnerte die Baßstimme auf den Händler nieder. „Sicher werden Sie mir jetzt erzählen, daß dieses sonderbar biegsame Etwas erst heute morgen vor Sonnenaufgang von einem fleißigen Bäuerlein geerntet wurde. Und völlig selbstverständlich erwarten Sie, daß ich Ihnen diesen Humbug glaube.“ Sie ließ die Gurke fallen.
Das schon etwas schrumpelige Stück Gemüse hüpfte wie ein geräucherter Aal und blieb neben dem etwa gleich alten Seeteufel liegen.
Die schnurrbärtige Signora packte den Händler am Kragen und zog ihn zu sich heran.
„Damit Sie es nur wissen, Sie kleiner Betrüger“, sagte sie leise und drohend. „Ich bin kein dummes Ding, das gerade die ersten Ehe- und Hausfrauentage hinter sich hat. Mit mir können Sie so etwas nicht tun. Mit mir nicht!“ Sie stampfte mit dem Fuß auf, daß Porfirio Nócciolo glaubte, der Boden unter seinem Verkaufsstand bebe. „Ich hole jetzt meinen Mann. Er wird Ihnen sagen, mit welchen Konsequenzen Sie zu rechnen haben.“
Sie stieß den fülligen kleinen Händler von sich, so daß er mit dem Rücken gegen die Ladeklappe des Karrens prallte. Mit energischem Griff nahm sie die Gurke und den kantenköpfigen Seeteufel an sich, wandte sich ruckartig um und stapfte los.
Der Händler schüttelte sich, richtete sich auf und schrie: „Signora Breganza! Was Sie da mitnehmen, haben Sie noch nicht bezahlt!“
Die mächtige Frau blieb in zehn Schritten Entfernung stehen, als sei sie gegen eine Wand gelaufen. Mit ungläubigem Gesichtsausdruck drehte sie sich um.
„Seit wann werden Beweismittel bezahlt?“ brüllte sie im nächsten Moment. „Sie kriegen die seltenen Stücke wieder, Nócciolo, darauf können Sie sich verlassen! Und Sie werden noch Ihre helle Freude daran haben – wenn Sie damit vor Gericht antanzen dürfen!“ Nach einer abermaligen Kehrtwendung marschierte sie endgültig davon, durch die Gasse, die die grinsenden Schaulustigen eilfertig bildeten.
Porfirio Nócciolos Mund stand noch immer offen, als der Drachen schon außer Sichtweite war. Dem grauhaarigen kleinen Mann fehlten die Worte. Zugleich spürte er Unbehagen in sich heraufkriechen. Wo, zum Teufel, steckte Gigliola? Suchend sah er sich um. Seine Tochter wußte fast immer Rat in den schwierigen Situationen, in die er sich selbst brachte.
„Jetzt braucht er mich“, sagte Gigliola Nócciolo lächelnd. Sie lehnte an einem Stapel leerer Kisten, hinter dem ihr Vater sie nicht sehen konnte. „Jetzt weiß er nämlich nicht mehr weiter. Und trotzdem versucht er immer wieder, einen Dummen zu finden, dem er seinen alten Kram andreht. Dabei müßte er langsam begriffen haben, daß er sich unnötigen Verdruß bereitet.“
„Aber irgendwie muß der arme Kerl doch seine Unkosten decken“, sagte der schwarzhaarige Seefahrer, der bei der jungen Frau einen rosig-zarten Pfirsich gekauft und ein Gespräch mit ihr begonnen hatte. Erst waren es die Blicke der hübschen Signorina gewesen, die ihn davon abgehalten haben, herzhaft in die Frucht zu beißen, und dann der Auftritt des zürnenden Riesenweibs.
Gigliola lachte. Ihr gefiel dieser kräftig gebaute Fremde, der mit seinen schwarzen Haaren, seinen dunklen Augen und dem braunen Teint aussah wie ein Landsmann. Sein Italienisch war nicht gerade perfekt, aber man konnte sich gut mit ihm unterhalten.
Ein Engländer. Einer von diesen Männern, denen man nachsagte, sie seien die rauhesten und verwegensten auf den Weltmeeren. Es bereitete Vergnügen, sich mit ihm zu unterhalten. Denn er wußte eine Menge mehr als die jungen Burschen, die über Cagliari und die Umgebung nie hinausgelangt waren.
„Sicher“, sagte sie. „Er glaubt, es gäbe nur diese eine Methode, die ihm schon in jungen Jahren von seinem Vater eingebleut worden ist. Nur wenn der Warenbestand restlos geräumt ist, erzielst du einen Gewinn. Natürlich mußt du ein bißchen darauf achten, daß die Kunden zufrieden sind vor allem gilt das für Stammkunden. Aber in den seltensten Fällen werden sie merken, daß ein Fisch vor dreißig Stunden und nicht erst vor sechs gefangen wurde.“
„Im Fall der gewaltigen Signora“, sagte der schwarzhaarige Seefahrer lachend, „dürfte es sich um achtundsiebzig Stunden gehandelt haben.“
Gigliola hielt die flache Hand vor den Mund, um nicht loszuprusten.
„Er kann es einfach nicht lassen“, sagte sie. „Diesmal hat er wirklich maßlos übertrieben. Und er könnte es so einfach haben. Cagliari ist nämlich ein guter Platz für das Marktgeschäft. Aber Papa liegt mit seinen Verkaufspreisen zu niedrig, dabei könnte er den Verlust durch verdorbene Ware leicht ausgleichen, indem er sich dem Preisniveau der anderen angleicht.“
Blacky zog anerkennend die Mundwinkel nach unten. „Das hört sich fachmännisch an.“
„Ist es auch“, antwortete die hübsche junge Sardin und lächelte stolz. „Papa hat mich in ein Handelshaus geschickt, damit ich dort das Kaufmännische von Grund auf lerne. Es hat mir nicht geschadet. Ich könnte das Geschäft von heute auf morgen übernehmen. Und weil Papa keinen Sohn hat …“
„… hofft er auf einen brauchbaren Schwiegersohn?“
Gigliolas Lächeln wurde spitzbübisch. „So ist es, Marinero. Und ich tue alles, um ihn in der Hoffnung nicht zu enttäuschen. Das bedeutet, ich bin sehr wählerisch.“
„Ich heiße Blacky.“
„Ist das ein Name?“
„Eher ein Spitzname.“ Er tippte mit den Fingerkuppen auf sein Haar. „Die Leute bei denen ich als Rustabout gefahren bin, hatten keine Mühe, sich den auszudenken.“
„Was ist das – ein Rustabout?“
„Das jüngste Crewmitglied.“
„Und wie heißt du wirklich?“
„Keine Ahnung.“ Blacky zog die Schultern hoch und grinste verlegen. „Es ist wie mit dem alten Lied: ‚I’m nobody’s child‘ – ‚Ich bin niemandes Kind‘. Ich weiß nicht, woher und von wem ich stamme; ich war einfach irgendwann da.“
„Ein Findelkind also?“ In Gigliolas Miene zeigte sich das Mitgefühl einer Frau, die ihre Mutterinstinkte nicht verbergen konnte.
„Ich nehme es an“, brummte Blacky.
„Ach, kümmere dich nicht darum“, sagte Gigliola. „Namen sind Schall und Rauch. Und was meine und meines Vaters Hoffnung betrifft, spielen sie sowieso keine Rolle.“
Blacky zog überrascht die Brauen hoch. „Ist man hierzulande schon verlobt, wenn man ein Mädchen anspricht? Eins, dessen Namen man noch nicht einmal kennt?“
„Gigliola!“ ertönte eine laute Stimme, die einen Hauch Verzweiflung verriet. „Gigliola, wo steckst du denn?“
Blacky und die junge Sardin lächelten.
„Siehst du“, sagte sie, „so erspart man sich überflüssige Worte.“
„Lauf zu deinem Vater“, entgegnete Blacky. „Ich denke, er braucht wirklich Unterstützung.“
Sie nickte. „Geh nicht fort, Straniero.“
„Hör auf, mich Fremder zu nennen.“
„Oh, Verzeihung, Blacky. Also bleib noch ein bißchen. Du brauchst keine Angst zu haben. Ein Eheversprechen hast du mir nicht gegeben, ohne es zu wissen. Und sei beruhigt: Ungeprüft würde ich dich sowieso nicht nehmen. Wo gibt es ein Gesetz, das besagt, eine Frau müsse die Katze im Sack kaufen?“
Blacky hob beeindruckt die Augenbrauen und blickte ihr nach. Sie trug ein einfaches Leinenkleid, und doch war ihr Gang atemberaubend. Ihr Vater lugte um die Ecke des Kistenstapels. Seinem bestürzten Gesicht war anzusehen, daß er zur Zeit weniger an einen Schwiegersohn dachte als an einen Weg, sich aus dem Schlamassel herauszuwinden, in den er sich selbst hineingeritten hatte.
Blacky schlenderte ein Stück nach vorn, so daß er sehen konnte, was sich beim Fisch- und Gemüsestand von Vater und Tochter Nócciolo abspielte.
Die Mutter, Porfirios Frau, war nach Gigliolas Geburt, ihres einzigen Kindes gestorben. Eine Amme hatte das kleine Mädchen großgezogen,